Der Versöhner

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Nelson Mandela: Wenn Träume wahr und Wolkenkuckucksheime bewohnbar werden

Wir betrauern einen der ganz Großen unserer Zeit. Jeder Mensch kann die Welt verändern, aber Nelson Mandela konnte nicht nur - er tat es auch. Wir gedenken einem Freiheitskämpfer, einem Demokraten, einem Verfechter der Chancengleichheit, einem Versöhner.

Nelson Mandela ging für seine Überzeugung fast drei Jahrzehnte ins Gefängnis, die Todesstrafe vor Augen. Trotzdem blieb er immer unbeugsam, integer, und damit innerlich frei - so paradox das klingen mag. Nelson Mandela ließ sich nicht verbiegen, vereinnahmen, bestechen oder kaufen.

Er bekam Zuspruch aus weiten Teilen der Weltbevölkerung - aber auch heftigen Widerspruch der Führungsebenen der so genannten freien Welt. In den 80er Jahren noch hatte der amerikanische Präsident Ronald Reagen den African National Congress als Terrororganisation auf seine "Watchlist" gesetzt und Veto eingelegt gegen den Antrag des US-Kongresses, Mandelas Freilassung zu fordern. Margeret Thatcher bezeichnete den ANC als "typische Terrororganisation." Und wer glaube, Südafrika regieren zu können, lebe in einem "Wolkenkuckucksheim", so die Eiserne Lady.

Franz Josef Strauß hielt 1988 die Abschaffung der Apartheid für unverantwortlich und die Gleichstellung von Schwarzen in Südafrika für nicht wünschenswert.

Nelson Mandela, anfangs noch gewaltfreies und später auch gewaltbereites Mitglied des ANC, wurde nach fast drei Jahrzehnten Gefängnis erst Friedensnobelpreisträger und dann Präsident von Südafrika. Mandelas Wolkenkuckuksheim wurde Realität. Auch und gerade, weil Mandela nicht für sich, sondern für etwas Größeres stand. Er kam nicht verbittert aus dem Gefängnis, blickte nicht im Zorn zurück, sondern nach vorn. Mandela reichte die Hand. Versöhnung wurde seine Lebensaufgabe.

Nelson Mandela starb am 5. Dezember 2013, in einer Zeit, in der sein Leben und gleichzeitig seine Bescheidenheit bereits wie eine Legende aus ferner Zeit anmuten. Wir leben heute in einer Welt, in der Edward Snowden von den USA als Whistleblower und Staatsfeind geächtet und unsere Freiheit geopfert wird. In der 560 Schriftsteller den totalen Überwachungsstaat verurteilen und uns aufrütteln wollen. Uns, die Bürger, die wir schlafwandelnd durch das Leben wabern, mit einer Regierung, die schweigend den Kopf in den Sand steckt.

In einer Zeit, in der Peter Schaar seine Abschiedsrede als oberster Datenschützer Deutschlands hält und sich ironisch bei den Geheimdiensten für die Aufmerksamkeit bedankt, die der Datenschutz durch NSA, Prism und Co. bekommen hat. Peter Schaar war Mahner, Kritiker und parteiübergreifender Störenfried der Sicherheitfanatiker. Doch auch er konnte den krassesten Eingriff in Freiheitsrechte durch den Staat weder verhindern noch beenden.

Schaar hatte während seiner Amtszeit auch die Regierung und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich kritisiert und dafür nun die Quittung bekommen: Friedrich lehnte es ab, dass Schaar bis zum Antritt eines Nachfolgers übergangsweise seine Arbeit fortsetzte. In Zeiten des größten Datenschutzskandals der Geschichte ist der momentan führungslose deutsche Datenschutz ein klares Zeichen des Innenministers: Datenschutz kotzt mich an, Versöhnung auch, und Freiheitsrechte sowieso.

Nelson Mandela war innerlich frei, jederzeit unbeugsam und sich selbst treu. Wir sind das nicht. Wir überlegen uns, was wir in privaten Mails, Twitter, Facebook und Skype posten, und was besser nicht, denn alles wird überwacht - und wir wollen nächstes Jahr zum Urlaub in die USA einreisen. Könnte eine Kritik an Obama oder der NSA die Einreise verhindern oder erschweren?

Selbst unsere Gedanken werden heute überwacht, denn das, was wir im Internet in Suchmaschinen eingeben, offenbart unser Inneres. Wir haben ja nichts zu verbergen - bis die Abmahnung für einen Pornostream ins Haus flattert - oder das Wissen um vergleichbare Aktivitäten anderweitig ausgenutzt wird.

Annähernd 100 Staats- und Regierungschefs haben Nelson Mandela in Johannesburg die letzte Ehre erwiesen. Laut Südafrika ist das die größte Anzahl an Oberhäuptern, die jemals zusammengetroffen ist. Das könnte positiv für die Zukunft stimmen. Eigentlich. Aber welcher dieser Politiker hat die Größe eines Mandela? Wo sind die Träumer und Erbauer von Wolkenkuckucksheimen, die auch in Zukunft die Welt versöhnen, in Demut und Bescheidenheit?

Freiheit und Versöhnung sind auch heute dringend nötig, auch in einer Demokratie wie der unseren. Daran sollten wir immer denken und dafür sollten wir immer einstehen. Jeder von uns. Denn sonst werden unsere Träume immer Wolkenkuckucksheime bleiben.

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