Geschäftsführerhaftung in der Insolvenz und Insolvenzantragspflicht

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Prozentualer Schwellenwert bei 10 %

Geschäftsführerhaftung in der Insolvenz und Insolvenzantragspflicht

BGH konkretisiert Zahlungsunfähigkeit und damit Voraussetzung der Antragspflicht

Von Rechtsanwalt Oliver Syren

Der Geschäftsführer einer GmbH in der Krise läuft Gefahr, verspätet Insolvenzantrag zu stellen und für nach so genannter Insolvenzreife – also nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – geleistete Zahlungen persönlich vom Insolvenzverwalter in Anspruch genommen zu werden. Wird der Geschäftsbetrieb trotz Insolvenzantragspflicht (§ 64 GmbH-Gesetz) fortgeführt, sind in der Praxis oft Masseschmälerungen in beträchtlichem Umfang festzustellen. Folge: der Insolvenzverwalter macht einen Ersatzanspruch gegen den Geschäftsführer geltend – parallel wird häufig ein Strafverfahren wegen Insolvenzverschleppung eingeleitet.

In den aufwändigen Zivilprozessen ist ein maßgeblicher Prüfungspunkt die Feststellung, wann Insolvenzreife der GmbH überhaupt eingetreten ist. Hier hatten die Prozessanwälte der Insolvenzverwalter häufig Erfolg vor Gericht mit der Darlegung und dem Nachweis, dass Zahlungen auf wesentliche Verbindlichkeiten trotz Fälligkeit nicht mehr geleistet worden seien. Ein enormer Wertungsspielraum – einhergehend mit einem hohen Risiko für die Geschäftsführer, denn was ist „wesentlich"? In der prozessualen Verteidigung der Geschäftsführer ist demgegenüber dargestellt worden, dass lediglich geringfügige Liquiditätslücken vorgelegen hätten. Auch hierfür hat es bisher keinen handhabbaren Maßstab gegeben.

Oliver Gothe-Syren
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Einhergehend mit dem vorbeschriebenen Prozessrisiko als Folge möglicherweise verspäteter Insolvenzantragstellung ergibt sich aus den begrifflichen Unschärfen die Schwierigkeit bei Liquiditätsengpässen (Liquiditätsbilanz und Zukunftsprognose) zu erkennen, wann das Stadium der Zahlungsunfähigkeit und damit die Antragspflicht eingetreten ist.

Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 24.05.2005; Az. : IX ZR 123/04 endlich einen genaueren Maßstab für die gesetzlich weder in Insolvenzordnung noch GmbH-Gesetz definierte Quantität (prozentualer Schwellenwert) der Zahlungsunfähigkeit geliefert und ergänzend die Zahlungsunfähigkeit von der bloßen (folgenlosen) Zahlungsstockung abgegrenzt.

Der Bundesgerichtshof gibt mit seinem Urteil eine zahlenmäßige Vorgabe an die Hand, um „die Praxis in die Lage zu versetzen, den Begriff der „geringfügigen Liquiditätslücke" zu handhaben". Liegt bei einem Unternehmen eine „Unterdeckung" von weniger 10 % vor, genügt diese nicht allein zum Beleg der Zahlungsunfähigkeit. Unterdeckung heißt, dass die liquiden Mittel nicht reichen, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu decken. Auf den Punkt gebracht heißt dies, dass dann der Insolvenzverwalter es schwer hat, eine Zahlungsunfähigkeit (über weitere Indizien) darzulegen und zu beweisen.

Genügen die liquiden Mittel demgegenüber nicht, um 10 % (oder mehr) der fälligen Verbindlichkeiten zu decken, wird es der Prozessanwalt der Geschäftsführung schwer haben Indizien anzuführen, dass die Liquiditätslücke in absehbarer Zeit beseitigt worden wäre.

Es handelt sich bei den 10 % also nicht um einen absoluten Schwellenwert, sondern um eine sog. „widerlegbare Vermutung", die bezüglich der Auftrags- und Ertragslage eine gewisse Flexibilität für die Zukunftsprognose lässt.

Keine Zahlungsunfähigkeit bei nur vorübergehender Zahlungsstockung

Bereits aus der Gesetzesbegründung des § 17 InsO (hier ist die Zahlungsunfähigkeit definiert) ergibt sich, dass eine vorübergehende Zahlungsstockung keine Zahlungsunfähigkeit darstellt. Auch für diesen zeitlichen Aspekt hat der Bundesgerichtshof Klarheit geschaffen: Ausgehend von der in § 64 Abs. 1 GmbH-Gesetz genannten 3-Wochen-Frist und weil zwei bis drei Wochen ausreichen würden, um einen Kredit zu beschaffen, sei bis drei Wochen lediglich eine Zahlungsstockung und noch keine Zahlungsunfähigkeit anzunehmen.

Ist nach diesen Maßstäben verspätet Insolvenzantrag gestellt worden, ist noch die Verteidigung der Geschäftsführung auf der subjektiven Seite des Verschuldens möglich. Entscheidend ist hier, ob im Zeitpunkt der Zahlungen die Insolvenzreife der Gesellschaft nach dem Maßstab der „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes" nicht erkennbar war. Nimmt der Insolvenzverwalter die Geschäftsführung in Anspruch, muss diese darlegen, dass etwa Zahlungen zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs im Hinblick auf zu erwartende Liquidität zulässig waren. Erfolg verspricht in diesem Zusammenhang auch die Verteidigung im Prozess, dass auf geleistete Zahlungen Eingänge zu verbuchen waren, weil diese Zahlungen quasi „investiv" und damit nicht „masseschmälernd" oder gläubigerbenachteiligend waren.

Fazit: Das vorbeschriebene höchstrichterliche Urteil hilft in der Praxis sowohl bei der dem Geschäftsführer obliegenden Liquiditätsbilanz zur Entscheidung über die Insolvenzantragstellung als auch bei Geschäftsführerhaftungs-Prozessen. Im Fall einer Liquiditätskrise – spätestens bei der Gefahr einer Inanspruchnahme durch Gläubiger oder in der Insolvenz sollten die Details mit einem im Insolvenzrecht fachkundigen und erfahrenen Rechtsanwalt besprochen werden.


Rechtsanwalt Oliver Syren
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