Saatgut: "Es muss eine Garantie für Sortenvielfalt geben"

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Drohen uns Monokulturen und Monopole der Saatgutfirmen? Eine vorgelegte EU-Verordnung zur Harmonisierung des Saatgutverkehrsrechts mobilisiert derzeit besorgte Bürger. Ist die Kritik an der Verordnung berechtigt? Ein Interview mit Dr. Matthias Miersch, MdB.

123recht.de im Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Dr. Matthias Miersch über Sortenschutzrecht und Auswirkungen einer geplanten EU-Verordnung zur Einschränkung der Zulassung von Saatgut. Dr. Miersch ist u.a. ordentliches Mitglied im Ausschuss Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit des Deutschen Bundestages und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

123recht.de: Herr Dr. Miersch, was ist Sortenschutzrecht und worum geht es dabei?

Dr. Miersch: Der Begriff „Sortenschutzrecht" ist faktisch ein Oberbegriff, der mehrere Rechtsgebiete umfasst. Das Sortenschutzgesetz gehört zum gewerblichen Rechtsschutz und gibt dem Züchter einer neuen Pflanzensorte in Deutschland seit den 50er Jahren ein zeitlich begrenztes Recht, über die Verwendung dieser Sorte entscheiden zu können und Lizenzen für die Nutzung zu verlangen.

Dann gibt es das Saatgutverkehrsgesetz, das dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist. Dieses Gesetz regelt die Zulassung von Sorten und soll die Ernährungssicherheit gewährleisten. Daneben spielt zunehmend das Patentrecht eine Rolle. Hier gibt es zahlreiche Anträge bei den Patentämtern, sich z.B. bestimmte Gensequenzen ganzer Pflanzenarten schützen zu lassen.

Nachbau als Eingriff in den Erschöpfungsgrundsatz?

123recht.de: Wenn ein Bauer eine geschützte Sorte anbaut, darf er die Erträge nicht einfach erneut anbauen, sondern muss neue Saat kaufen oder den "Nachbau" lizenzieren. Bei Büchern, patentierten Produkten und selbst Softwareprogrammen gilt nach Verkauf, dass das Interesse der Rechteinhaber erschöpft ist der Käufer mit dem Produkt machen kann, was er will. Warum gibt es bei Saatgut keinen Erschöpfungsgrundsatz?

Dr. Miersch: Das ist eine berechtigte Frage, die zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppen kontrovers diskutiert wurde und wird. Im Rahmen eines internationalen Abkommens (UPOV 1991) wurde von den Vertragsstaaten, zu der auch die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union gehören, beschlossen, die Züchterinteressen im Hinblick des Nachbaus zu stärken. Daraus ergaben sich die Änderungen im Europäischen Recht (1994 und 1995) und im deutschen Sortenschutzrecht (1997). Von Teilen der Landwirtschaft wird diese Einschränkung des Nachbaus weiterhin als klarer Eingriff in den Erschöpfungsgrundsatz gewertet.

123recht.de: Im Jahr 2005 lief der Sortenschutz für die Linda Kartoffel aus und hatte einen Rechtsstreit zur Folge. Worum ging es da?

Dr. Miersch: Bei Kartoffeln läuft der Sortenschutz 30 Jahre – bei anderen Pflanzenarten teilweise 25 Jahre. Im Fall der Kartoffelsorte Linda hätte der Ablauf der Schutzdauer zur Folge gehabt, dass Linda beschränkungslos der Allgemeinheit zur Verfügung steht. Das ist bei älteren Sorten der Regelfall. Da Linda jedoch im Markt weiter sehr beliebt war, stellte sie eine Konkurrenz zur neuen Sorte des Züchters dar, so dass der Züchter kurz vor Ablauf des Sortenschutzrechts die Zulassung nach dem Saatgutverkehrsgesetz zurückgezogen hat. Das war nach meiner Ansicht ein missbräuchlicher Akt, da das Saatgutverkehrsrecht gerade dem Schutz der Allgemeinheit dient und nicht dazu benutzt werden sollte, den Anspruch der Allgemeinheit auf beschränkungslose Nutzung der Sorte nach Ablauf der Schutzdauer auszuschließen.

123recht.de: Von der EU-Kommission wurde nun am 06.05.2013 ein Vorschlag für eine neue Saatgut-Verordnung vorgelegt. Was ist Inhalt der Verordnung?

Dr. Miersch: Es geht darum, die unterschiedlichen Rechtsakte im Bereich des Saatgutverkehrsrechts neu zu ordnen. Vor allem sollen Zulassungsfragen von alten und seltenen Sorten geregelt werden.

123recht.de: Was ändert sich konkret durch die Verordnung? Haben sich die Befürchtungen bewahrheitet, die im Vorfeld durch die Medien gingen? Sollte die Verordnung so verabschiedet werden?

"Ich halte eine Verabschiedung in dieser Form nicht für sinnvoll"

Dr. Miersch: Die Verordnung soll das gesamte Saatgutverkehrsrecht auf europäischer Ebene harmonisieren. Die Regelung ist komplex. Ich halte eine Verabschiedung in dieser Form nicht für sinnvoll. Vielmehr sollte eine Grundsatzdiskussion darüber geführt werden, ob wir ein Saatgutverkehrsrecht in dieser Form überhaupt brauchen. Die am Markt überwiegend gehandelten Sorten weisen ohnehin eine sortenschutzrechtliche Zulassung auf. Alte Sorten haben diese Zulassung ebenfalls schon einmal bekommen, so dass aus Gesundheitsgründen eine derartige Regelung in Frage gestellt werden sollte. Völlig absurd wird die Situation, wenn z. B. im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen auch Rasenmischungen Homogenitätsmerkmale aufweisen sollen, was gerade dem Vorkommen in der Natur nicht entspricht, so dass naturschutzrechtliche Aspekte gegen saatgutverkehrsrechtliche stehen.

123recht.de: Sind nur gewerbliche Bauern von der Verordnung betroffen oder gibt es auch Auswirkungen für den heimischen Garten?

Dr. Miersch: Es gibt Abgrenzungen zwischen gewerblichen Bauern und Hobbygärtnern etc. Allerdings sind auch diese komplex. Mittelbar haben die Regelungen auf jeden Fall auch Auswirkungen auf die Sortenvielfalt für Gärtner und kleine Betriebe, wenn es z. B. um alte Sorten, seltene Sorten oder Erhaltungssorten geht.

123recht.de: Wie ist die Verteilung der Sortenschutzrechte kartellrechtlich einzuordnen? Auch kleineren Unternehmen muss es doch möglich sein, sich an der Wirtschaft zu beteiligen.

Dr. Miersch: Der Sortenschutz hat in der Vergangenheit die Vielfalt ermöglicht. Auch der Umgang mit alten und seltenen Sorten war in der Vergangenheit möglich. Ich hoffe nicht, dass sich die Lobby der großen Konzerne in Brüssel durchgesetzt hat und durch Beschränkungen im Zulassungsverfahren kleine Betriebe die Anforderungen nicht mehr erfüllen können. Das würde den Grundsätzen des Sortenschutzes widersprechen, wonach die Allgemeinheit nach Ablauf der Schutzdauer beschränkungslos partizipieren soll, da auch der Züchter seine Sorte zuvor aus dem Gut der Allgemeinheit gezüchtet hat.

123recht.de: Wird die Praxis der Zulassung von Saatgut dem Verbraucherschutz noch gerecht? Die Menschen und Bauern scheinen das Gefühl zu haben, es diene eher den Saatgutkonzernen.

"Saatgutverkehrsrecht dient an sich der Allgemeinheit"

Dr. Miersch: Ich teile die Sorge der Verbände und Verbraucher. Das Saatgutverkehrsrecht dient an sich der Allgemeinheit. Es darf nicht der Hebel für große Züchter und Konzerne sein, ihre Rechte durchzusetzen. Deshalb hoffe ich, dass im Europäischen Parlament eine grundsätzliche Diskussion über das Saatgutverkehrsrecht stattfindet. Hier muss es künftig eine Garantie für Sortenvielfalt geben.

123recht.de: Die Initiative avaaz.org, campact.de sowie weitere Organisationen haben im Vorfeld Stimmen gesammelt, um die Bundesregierung davon zu überzeugen, den Saatgut-Markt nicht zu monopolisieren. Wie ist die Position der Deutschen Regierung?

Dr. Miersch: Die Bundesregierung müsste sich nach meiner Auffassung viel stärker zugunsten der Verbraucher und Landwirte positionieren. Vor allem der Bereich der Biopatentierung von Pflanzen und Tieren ist ein großes Problem. Aber auch in der aktuellen Auseinandersetzung über das Saatgutverkehrsrecht höre ich zwar Sonntagsreden, aber keine konkreten Initiativen.

123recht.de: Was ist eigentlich mit Saatgut, das nicht gezüchtet wurde - darf es frei verwendet werden?

Dr. Miersch: Da wird es sehr auf den Begriff „Verwendung" ankommen. Wenn Material in den Verkehr gebracht wird, kann es problematisch werden, wenngleich es z.B. Saatgutmischungen gibt, die aus naturschutzrechtlichen Gründen gerade nicht einheitlich und homogen sind, so dass saatgutverkehrsrechtliche und naturschutzrechtliche Aspekte möglicherweise gegeneinander stehen. Hier gab es in der Vergangenheit gerichtliche Auseinandersetzungen. Hier wird es auf Einzelfälle ankommen.

123recht.de: Sie erwähnten eingangs auch das Patentrecht. Wie ist die Rechtslage bei Patenten auf Leben derzeit?

Patente auf Pflanzenarten oder Tiergruppen

Dr. Miersch: Über diese Frage könnten ganze wissenschaftliche Abhandlungen geschrieben werden. Grundsätzlich ist die Patentierbarkeit von Pflanzensorten und Tierrassen ausgeschlossen. Bestandteile von ganzen Pflanzenarten oder ganzen Tiergruppen sowie deren Produkte wurden jedoch teilweise schon mit Patenten belegt bzw. Patente hierauf beantragt. Auch insoweit ergibt sich die nicht hinnehmbare Situation, dass eine einzelne Pflanzensorte aufgrund der Kollision mit dem Sortenschutzrecht nicht patentierbar sein soll, ganze Pflanzenarten oder verschiedene Pflanzenarten und deren Produkte aber sehr wohl, wie gerade wieder bei einer konventionellen Chilipflanze durch das europäische Patentamt in der vergangenen Woche geschehen.

123recht.de: Herr Dr. Miersch, vielen Dank!

Zur Homepage von Dr. Miersch: http://www.matthias-miersch.de/

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