Tatvorwurf: Nötigung im Straßenverkehr - das neue Massendelikt

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Vorgehensweise gegen den Vorwurf der Nötigung im Straßenverkehr - mit Praxisbeispiel

Lichthupe und Drängeln

Die Nötigung (§ 240 StGB) im Straßenverkehr ist zwar ein Delikt, das es so lange gibt, wie Autos auf Deutschlands Straßen. Dennoch haben die Ermittlungsverfahren in den vergangenen Jahren, nämlich seit es flächendeckenden Mobilfunkempfang gibt, stark zugenommen. Grund hierfür ist, dass jeder, der sich genervt fühlt, heutzutage schnell mal einen Anruf, oft bereits vom Auto aus, bei der Polizei machen kann, in dem er Strafanzeige gegen den Fahrer des anderen Fahrzeugs stellt.

Der Grund liegt zumeist in Verhaltensweisen wie Lichthupe-Geben oder zu nahes Auffahren, sehr oft auf Schnellstraßen oder Autobahnen.

Wenn also die Strafanzeige gestellt wurde, sind Polizei und Staatsanwaltschaft gesetzlich verpflichtet, dieser Anzeige durch Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens nachzugehen; so schreibt es die deutsche Strafprozessordnung (§ 160 StPO) eben nunmal vor. Dass dies oft ein mühsames und zeitraubendes Unterfangen ist, und dass auch Polizei und Staatsanwaltschaft angesichts der Flut von Strafanzeigen ächzen, ist bei einem Gespräch meinerseits mit den Strafverfolgungsorganen deutlich geworden. Dennoch - das Legalitätsprinzip erfordert eben entsprechende Ermittlungen.

Was tun, wenn Ihnen dieser Tatvorwurf gemacht wird?

Nun sitzen Sie nichtsahnend zu Hause, es klingelt an der Tür, und Ihnen wird polizeilich mitgeteilt, dass Sie jemand angezeigt hat, weil Sie ihn oder sie während einer Fahrt von "A" nach "B" genötigt haben sollen. Dies geschieht machmal schriftlich, manchmal mündlich durch Polizeibeamte. In beiden Fällen fallen Sie aus allen Wolken und fragen sich: "Was mache ich denn jetzt? Soll ich meine Aussage dazu machen? Oder sie lieber verweigern? Und wie geht es dann weiter? Was droht mir?"

Solche und ähnliche Fragen gehen den Beschuldigten also durch den Kopf. Hier mein Ratschlag für die richtige Vorgehensweise:

1. Vorerst nicht zur Sache aussagen.

Das kann auch nicht, wie das oft durch Polizeibeamte angedeutet wird, zu Ihren Lasten ausgelegt werden.

2. Einen Rechtsanwalt aufsuchen, der weiß, was zu tun ist.

Dieser Anwalt wird nun bei der Polizei seine Vertretung anzeigen, das staatsanwaltschaftliche Aktenzeichen erfragen und Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft nehmen. Das Ganze dauert 1-2 Wochen und ist absolut essentiell. Obwohl dies vom höchsten Europäischen Gericht bereits mehrfach bemängelt wurde, erhält in Deutschland ausschließlich ein Rechtsanwalt die Ermittlungsakte zur Einsicht.

Vor allem aus diesem Grund ist es ESSENTIELL WICHTIG, dass Sie einen Verteidiger haben, denn nur so können Sie wissen, was genau Ihnen vorgeworfen wird, ob Sie erkannt wurden (denn die Tat muss Ihnen selbstverständlich nachgewiesen werden) und ob sonstige Gründe bestehen, gegen den Tatvorwurf vorzugehen.

Ihr Verteidiger wird dann anhand der Tatsachen aus den Akten die Verteidigungsstrategie wählen. Z.B. kann auf eine Einstellung des Verfahrens hingewirkt werden, wenn der Fahrer nicht erkannt wurde von dem Anzeigenerstatter bzw. von anderen Zeugen.

Die Praxis zeigt, dass in über 50 Prozent aller Fälle der Fahrer nicht oder nicht ausreichend identifiziert werden kann, was natürlich schnell zu einer Einstellung oder später auch zu einem Freispruchs mangels Beweisen führen kann. Sollte es tatsächlich eine Hauptverhandlung geben, so ist nicht zuletzt die Kreativität des Verteidigers gefragt. Man kann z.B. beantragen, dass der Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung im Publikum Platz nehmen kann, damit der Zeuge bzw. die Zeugen ihn unter den verschiedenen Personen identifiziert bzw. identifizieren. Gelingt das nicht, kann in der Regel - in dubio pro reo - nur ein Freispruch folgen.

Auch reicht in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht jedes Verhalten aus, um den Tatbestand der Nötigung zu bejahen. Es muss vorgetragen und bewiesen werden, dass wirklich das geschützte Rechtsgut - die Freiheit der Willensentschließung und - bestätigung - verletzt wurde durch ein sog. "Zwangsmittel", im Rahmen der Nötigung im Straßenverkehr kommt nur "Gewalt" in Betracht.

Dass der Gewaltbegriff sehr dehnbar ist, zeigen die höchstrichterlichen Entscheidungen, in denen das Vorliegen von Gewalt bejaht wurde:

Verhindern des Überholens durch Ausscheren nach links, Kolonnenspringen trotz Gegenverkehrs, Blockierung der Überholspur durch beharrliches Linksfahren auf der Autobahn, Schneiden nach Überholen, oder, der Klassiker: dichtes, bedrängendes Auffahren mit erheblicher Zwangseinwirkung und Gefährdung.

Dauer und Intensität des Zwangs entscheidend

Auch, wenn sich diese Beispielsliste noch weit fortsetzen ließe, es gilt stets: 

Um eine psychische Gewaltausübung im Straßenverkehr zu bejahen, muss die Einwirkung von gewisser Dauer und von solcher Intensität sein, dass von ihr eine körperliche Zwangswirkung ausgeht.

Wann das zu bejahen ist, ist natürlich vom Einzelfall abhängig. Von Verteidigerseite muss also dahingehend argumentiert werden, dass diese Voraussetzungen im konkreten Fall nicht vorliegen.

So genügt es z.B. nicht zur Bejahung der Nötigung, wenn  eine Behinderung durch kurzes, wenn auch bedrängendes Auffahren samt Lichthupe vorlag. Oder, wenn gehupt wird, um jemanden zum Weiterfahren zu veranlassen. In solchen Fällen, die sicherlich die Mehrheit aller behaupteten Nötigungsdelikte im Straßenverkehr darstellen, sollte unbedingt entsprechend vorgetragen werden, weil eine Strafbarkeit hier zu verneinen ist.

Praxisfall

Ein Mandant, ein LKW-Fahrer, wurde mit dem Tatvorwurf der Nötigung konfrontiert. Er war am Faschingsdienstag nachts um 1 Uhr in Thüringen unterwegs auf der A71 in Richtung Erfurt. Eine ältere Dame hatte ihn angezeigt, er sei ihr (sie war mit einem PKW unterwegs) ständig zu nah aufgefahren und habe auch 3 Mal die Lichthupe betätigt. Das sei v.a. in den Tunneln geschehen (auf dieser Strecke gibt es mehrere Tunnel, u.a. den 8 Kilometer langen Rennsteigtunnel). Die Polizei hatte, so zeigte die Akteneinsicht, bereits die Überwachungsaufnahmen der Tunnelkameras besorgt, auf einer dieser Aufnahmen war tatsächlich ein Aufblenden der Lichthupe zu sehen. Der Abstand der Fahrzeuge betrug bei einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h (Baustelle, linke Spur versperrt) allerdings zumeist um die 30-40 Meter, war also nie unterschritten.

Mein Mandant erzählte mir auch, dass er sich noch genau an die Situation erinnern könne: Die Dame war zu einer Uhrzeit, zu der die Autobahn absolut leer war, mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h (erlaubt waren 80 km/h aufgrund des Tunnels) unterwegs, was schlicht zu langsam war. Daher hatte mein Mandant aufgeblendet, insgesamt vielleicht wirklich 3 Mal, weil die Dame so unglaublich langsam fuhr und er daher gezwungen war, sich ihrer Geschwindigkeit anzupassen. Dies über eine Strecke von ca. 20 Kilometern.

Das Schreiben an die Staatsanwaltschaft war entsprechend eindeutig zu formulieren; zum Einen war darauf hinzuweisen, dass die nötige Einwirkung weder von ausreichender Dauer  noch von ausreichender Intensität war (nachzuweisen war lediglich einmal "Lichthupe"). Zum Zweiten: Wenn überhaupt, dann hat die Anzeigenerstatterin und nicht der Beschuldigte die Nötigung begangen. Denn sie war es, die ihn dauerhaft und grundlos daran gehindert hat, eine angemessene Geschwindigkeit aufzunehmen. Und zum Dritten: Wenn das eine Nötigung gewesen sein soll, so müsste mein Mandant an jedem Arbeitstag 20-30 Strafanzeigen stellen, denn solche Situationen kommen einfach ständig vor.

Die beantragte Einstellung des Verfahrens kam prompt.

Fazit

Der Tatvorwurf der Nötigung im Straßenverkehr wird zwar immer häufiger, aber dennoch sollte man ihn ernst nehmen. Ihn als Kavaliersdelikt abzutun wäre falsch, denn dafür sind die Rechtsfolgen, die sich von einer Geldstrafe bis hin zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren gehen, zu hart. Zudem, und das wird oft die eigentliche Krux sein, hängt hierüber noch das Damoklesschwert der Verhängung eines Fahrverbots oder gar der Entziehung der Fahrerlaubnis.

Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes ist daher sehr ans Herz zu legen. Das gilt auch, wenn man bei einer Einstellung des Verfahrens die Kosten des Anwaltes selbst tragen muss (in der Regel zahlt der Staat die Kosten nur bei einem Freispruch), die, sofern nach RVG abgerechnet wird, zwischen 300 € (wenn im Rahmen des Ermittlungsverfahrens dieses eingestellt wird) und 500 - 600 € (wenn im Rahmen einer Hauptverhandlung eingestellt wird) liegen; denn die Strafe, die durch ungeschickte Selbstvertretung meist verursacht wird, ist oft ungleich höher.

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