Vorratsdatenspeicherung: Die Überwachung ist zurück

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Der Bundestag hat dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Vorratsdatenspeicherung zugestimmt. Ist das Überwachungsgesetz auch diesmal wieder angreifbar?

Den ersten Spuk einer Vorratsdatenspeicherung hat das Bundesverfassungsgericht 2010 beendet, jetzt ist sie wieder da: Der Bundestag hat den aktuellen Gesetzentwurf zur anlasslosen Speicherung von persönlichen Daten durchgewunken, unauffällig und fast unbemerkt im Rauschen der Flüchtlingsthematik. Was hat sich inhaltlich geändert seit 2010, gibt es weitere Kritik- und Angriffspunkte? 123recht.de im Interview mit Fachanwalt für IT-Recht Krischan Lang über persönliche Daten, Speicherfristen, Whistleblower, Berufsgeheimnisträger und die Europäische Kommission.

123recht.de: Herr Lang, der Bundestag hat am 16.10.2015 die umstrittene Vorratsdatendatenspeicherung abgesegnet. Was genau versteht man unter einer Vorratsdatenspeicherung?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Unter einer Vorratsdatenspeicherung versteht man die Speicherung von personenbezogenen Daten für oder durch öffentliche Stellen ohne konkreten Anlass. In der aktuellen Diskussion geht es meist um die Speicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten, so genannte Verkehrsdaten auf Vorrat.

Hierzu gehören im aktuellen Gesetzesentwurf bei Telefongesprächen u.a. die Rufnummer des anrufenden und angerufenen Anschlusses, das Datum, Uhrzeit und Dauer der Verbindung. Im Falle von Internet–Telefondiensten werden auch die IP-Adresse des anrufenden und angerufenen Anschlusses nebst zugewiesenen Benutzerkennungen gespeichert. Bei der Übermittlung von Kurz- und Multimedia Nachrichten auch die Zeitpunkte der Versendung und des Empfangs der Nachricht. Bei der Nutzung des Internets wird neben der IP Adresse u.a. auch eine eindeutige Kennung sowie die zugewiesene Nutzerkennung des Anschlusses gespeichert, sowie Datum und Dauer der Nutzung.

Zweiter Anlauf für die anlasslose Speicherung von Daten

123recht.de: Der letzte Versuch, die Vorratsdatenspeicherung zu legalisieren, ist vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Warum?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Das Bundesverfassungsgericht erklärte die damaligen deutschen Vorschriften (§§ 113a, 113b des Telekommunikationsgesetzes) zur Vorratsdatenspeicherung im März 2010 wegen Verstoß gegen Artikel 10 I Grundgesetz (Fernmeldegeheimnis) für verfassungswidrig und nichtig. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass das Gesetz zur anlasslosen Speicherung umfangreicher Daten sämtlicher Nutzer elektronischer Kommunikationsdienste keine konkreten Maßnahmen zur Sicherheit der gewonnen Daten vorsehe und zudem die Hürden für staatliche Zugriffe auf die Daten zu niedrig seien.

Die damaligen Regelungen des §§ 113a, 113b TKG sahen eine anlasslose Speicherung über einen Zeitraum von sechs Monaten vor.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatte auch die Nichtumsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) zur Folge. Es wurde deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, was nicht weiter schlimm war, da die Richtlinie vom EUGH im April 2014 für ungültig erklärt wurde.

123recht.de: Jetzt gibt es also einen neuen Versuch, die Vorratsdatenspeicherung rechtlich zu legitimieren. Wie ist der derzeitige Stand im Gesetzgebungsverfahren?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten" wurde am 16. Oktober 2015 vom Bundestag beschlossen und damit abgesegnet.

Inwiefern auf EU-Ebene neue Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung geschaffen werden, ist derzeit nicht absehbar.

Bundesrat kann noch Vermittlungsausschuss anrufen

123recht.de: Muss der Bundesrat noch zustimmen?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Bei dem Gesetz handelt es sich nach Ansicht der beteiligten Gesetzgebungsorgane um ein so genanntes Einspruchsgesetz, d.h. das Gesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates.

In einem ersten Durchgang Mitte Juni 2015 hat der Bundesrat keine Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf abzugeben. Der Bundesrat kann jedoch noch im so genannten zweiten Durchgang am 06. November 2015 beschließen, den Vermittlungsausschuss anrufen.

123recht.de: Wurden die Kritikpunkte des Bundesverfassungsgerichts im aktuellen Gesetzentwurf berücksichtigt und entschärft?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Nach Ansicht des Bundesjustizministers wurden die rechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofes eingehalten. Es sein ein besonderes Augenmerk darauf gelegt worden, die Freiheitsrechte der Bürger und den Datenschutz zu sichern.

Ob dies wirklich der Fall ist, werden die Gerichte klären müssen.

123recht.de: Was sieht das Gesetz denn konkret für Speicherfristen vor und welche Daten dürfen gespeichert werden?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Nach dem aktuellen Gesetzentwurf soll eine verdachtsunabhängige, anlasslose Speicherung über einen Zeitraum von 10 Wochen erfolgen.

Bei Mobilfunkgeräten (z.B. Handys) sollen zusätzlich die Standortdaten für einen Zeitraum von 4 Wochen gespeichert werden.

Von einer Speicherung ausgenommen sind ausdrücklich der Inhalt der Kommunikation, Daten über aufgerufene Internetseiten sowie E-Mail-Verbindungsdaten. Ob bei SMS-Nachrichten eine Speicherung der Verkehrsdaten ohne gleichzeitige Speicherung der Inhaltsdaten möglich ist, wird unterschiedlich beurteilt.

Auch Daten von Rechtsanwälten sollen gespeichert werden

123recht.de: Auch der aktuelle Gesetzentwurf wurde bereits von der Europäischen Kommission kritisiert. Was für Vorbehalte genau hatte die Kommission?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Die Kommission beanstandete insbesondere das Fehlen einer ausreichenden Begründung, die die geplante Speicherdauer von vier Wochen für Standort- und zehn Wochen für übrige Verkehrsdaten rechtfertigt.

Durch die Verpflichtung der Erbringer von elektronischen Kommunikationsdiensten zur Speicherung der Daten in Deutschland werden nach Ansicht der Kommission zudem Anbieter aus anderen Mitgliedsstaaten benachteiligt. Diese widerspreche dem Grundsatz des freien Warenverkehrs oder des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft.

123recht.de: Was ist mit Berufsgeheimnisträgern wie z.B. Rechtsanwälten? Sollen auch deren Daten und Gespräche gespeichert werden?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Auch dies war ein weiterer Kritikpunkt der Kommission. Sie ist der Ansicht, dass nicht recht verständlich sei, dass Berufsgeheimnisträger wie z.B. Rechtsanwälte in dem Entwurf nicht Behörden oder staatlichen Institutionen gleichgestellt werden, da sie sich in vergleichbaren Situationen befinden.

Rechtsanwälte haben ein Zeugnisverweigerungsrecht. Dennoch werden sie - ebenso wie viele andere Berufsgeheimnisträger - nicht von der Vorratsdatenspeicherung ausgenommen. Es soll lediglich ein Beweisverwertungsverbot geben.

Von der Vorratsdatenspeicherung ausgenommen sind jedoch ausdrücklich Anschlüsse von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen. Dies gilt jedoch nur, soweit die Bundesnetzagentur die angerufenen Anschlüsse in eine Liste aufgenommen hat.

Gespräche werden - nach wie vor - nicht gespeichert.

Whistleblower können sich strafbar machen

123recht.de: Das nun vom Bundestag beschlossene Gesetz wird auch "Anti-Whistleblower-Gesetz" genannt. Warum?

Rechtsanwalt Krischan Lang: In dem Gesetzesentwurf gibt es auch eine Regelung zur Änderung des Strafgesetzbuches. Es wird in 202d StGB der Straftatbestand der „Datenhehlerei" eingeführt.

Strafbar macht sich dann, wer Daten

„die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen".

Unterstützer von Whistleblowern wie Edward Snowden könnten sich in Deutschland nach diesem Straftatbestand strafbar machen.

Zwar gibt es Ausnahmen, u.a. für Amtsträger für den Ankauf von so genannten Steuer CDs und Journalisten. Ob die Ausnahme für den klassischen investigativen Enthüllungsjournalismus allerdings greift, wird uneinheitlich beurteilt.

"Eine Speicherung ohne gesetzliche Grundlage ist rechtswidrig."

123recht.de: Medienberichten zufolge werden, insbesondere von Mobilfunkanbietern, auch heute schon viele Daten von uns bis zu 6 Monate gespeichert. Das heißt ja, dass eine Vorratsdatenspeicherung bereits illegal stattfinden würde, ohne gültiges Gesetz. Stimmt das?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Zu unterscheiden ist zunächst, welche Daten auf welcher Gesetzesgrundlage gespeichert werden.

Nach aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen die Anbieter von Internetdiensten die IP-Adressen ihrer Kunden für interne Zwecke anlasslos bis zu sieben Tage lang speichern. Grund hierfür ist, dass nach dem derzeitigen Stand der Technik eine Speicherung von IP-Adressen während eines Zeitraums von sieben Kalendertagen die einzige Möglichkeit ist, i.S.v. § 100 Abs. 1 TKG Störungen der Telekommunikationsanlagen zu erkennen, einzugrenzen und notfalls zu beseitigen.

Zu Abrechnungszwecken kann es, je nach Tarif und Provider, durchaus zu längeren Speicherfristen von Verkehrsdaten kommen.

Eine Speicherung ohne gesetzliche Grundlage ist rechtswidrig.

123recht.de: Was ist eigentlich der Sinn und Zweck einer Vorratsdatenspeicherung?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Von den Befürwortern wird hierfür die Verhinderung und Aufklärung von schweren Straftaten, insbesondere von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Straftaten, die über das Internet begangen werden, angeführt. Insbesondere die Polizei, Strafverfolgungsbehörden, Nachrichtendienste und auch private Dritte, z.B. die Musik- und Filmindustrie (Stichwort Filesharing), sind sehr daran interessiert, Verkehrsdaten für ihre Zwecke auszuwerten.

Auf der anderen Seite haben die Telekommunikationsunternehmen kein großes Interesse an einer Vorratsdatenspeicherung. Die Umsetzung ist mit einem ganz erheblichen Zeit, Personal-, Speicher- und damit Geldaufwand verbunden. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. rechnet mit Implementierungskosten in Höhe von 600 Mio. Euro, die Bundesnetzagentur rechnet mit Kosten von 260 Mio Euro. Zwar beteiligt sich der Bund an den Kosten, ein Teil wird aber – wie üblich - auf die Nutzer umgelegt werden.

"Allein das Wissen, dass Verkehrsdaten gespeichert werden, kann das eigene Verhalten stark beeinflussen."

123recht.de: Was halten Sie von dieser Begründung und dem aktuellen Gesetzentwurf?

Rechtsanwalt Krischan Lang: Ich bin gegen den aktuellen Gesetzesentwurf einer Vorratsdatenspeicherung.

Die anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten greift massiv in die Grundrechte der Bürger ein. Es widerspricht dem Grundsatz der Unschuldsvermutung. Ob demgegenüber überhaupt ein angemessener Gewinn bei der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten besteht, ist hoch umstritten.

Insbesondere bei der Verhinderung von Terroranschlägen und organisierter Kriminalität hat die Vorratsdatenspeicherung nachweislich keine Auswirkungen.

Es besteht zudem eine sehr große Missbrauchsgefahr. Die gezielte Auswertung von Verkehrsdaten erlaubt Rückschlüsse über die gesamte Lebenssituation eines Betroffenen, bis in die tiefste Privatsphäre.

Whistleblower und staatskritische Bürger könnten davon abgehalten werden, auf Missstände hinzuweisen. Allein das Wissen, dass Verkehrsdaten gespeichert werden, kann das eigene Verhalten stark beeinflussen.

Im Übrigen werden Verkehrsdaten bereits zum jetzigen Zeitpunkt – anlassbezogen - gespeichert. Es wäre besser, diese gesetzlichen Erlaubnistatbestände zu konkretisieren.

123recht.de: Vielen Dank für das Gespräch!

Leserkommentare
von guest-12314.02.2017 12:55:29 am 23.10.2015 19:13:41# 1
Ich verstehe die ganze Kritik an diesem Gesetz nicht, die immer wieder von einigen vorgebracht wird.

Schließlich dient die sogenannte "anlasslose Datenspeicherung" doch nur zum Schutz der Bevölkerung und zur Verbrechensbekämpfung. Ich denke, es ist sicher sehr sinnvoll, wenn die zuständigen Behörden z. B. nachvollziehen können, von welchem Anschluss eine Bombendrohung erfolgt ist. Durch dieses Gesetz werden doch keine Telefongespräche mitgehört, sondern nur die reinen Verbindungsdaten aufgezeichnet. Und dies machen doch die Telekommunikationsunternehmen auch jetzt schon, um z. B. eine Rechnung im Nachhinein bei einer Kundenreklamation überprüfen zu können.
Schließlich sammeln doch z. B. auch alle Firmen Daten über alle Käufer und Rechnungskäufe und müssen diese sogar 10 Jahre aufbewahren. Was ist demnach dagegen einzuwenden, dass Kommunikationsdaten einige Wochen gespeichert werden? Schließlich dürfen diese doch nur bei schwerwiegenden Verbrechen auf ausdrückliche richterliche Anordnung an die Behörden herausgegeben werden.
Die Einschätzung der Sachlage von Rechtsanwalt Krischan Lang ist meines Erachtens daher teilweise falsch und ich kann diese nicht nachvollziehen.
Ein wenig mehr Sachlichkeit wäre daher zu dieser Thematik angebracht!

    
von klaus123mitglied am 24.12.2015 09:18:00# 2
" Von der Vorratsdatenspeicherung ausgenommen sind jedoch ausdrücklich Anschlüsse von Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen "

das heißt, die größten und schlimmsten kriminellen organisationen sind gleich mal ausgenommen


    
von klaus123mitglied am 24.12.2015 09:27:34# 3
Es wird in 202d StGB der Straftatbestand der „Datenhehlerei" eingeführt.

Strafbar macht sich dann, wer Daten

„die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen".

Ausnahmen, u.a. für Amtsträger für den Ankauf von so genannten Steuer CDs

auch hier zeigt die kriminelle vereinigung BRD ihr wahres gesicht,vor dem gesetz sind alle gleich, nur die "wahren verbrecher" sind gleicher!

    
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