Angeklagter im Strafprozess – Reden oder Schweigen?

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Angeklagter im Strafprozess – Reden oder Schweigen?

Von Rechtsanwalt Jens Jeromin

Der Staatsanwalt hat die Anklage verlesen. Der Richter sieht den Angeklagten an und sagt: “Sie haben gehört was Ihnen vorgeworfen wird. Als Angeklagter steht es Ihnen frei, sich zur Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Möchten Sie aussagen?“

Diese Entscheidung ist für den Angeklagten eine der, wenn nicht die wichtigste in der gesamten Hauptverhandlung.

Jens Jeromin
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Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht, Fachanwalt für Verkehrsrecht
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Der Angeklagte, der von einem Verteidiger vertreten wird, wird diese Frage vor der Verhandlung gründlich mit seinem Verteidiger besprechen.

Aber nicht jedem Angeklagten im Strafprozess steht ein Verteidiger zu Seite. Auch der verteidigte Angeklagte kann meist nicht abschätzen, wie er sich in dieser Frage verhalten soll. Welche Umstände sind daher für die Frage von Bedeutung, ob man zur Sache aussagen oder von seinem Schweigerecht Gebrauch machen will?

Zunächst stellt sich die taktische Frage, ob die Beweislage erdrückend ist und es deshalb im Prozess darum gehen soll, ein möglichst mildes Urteil zu erwirken, oder ob die Beweislage unklar und ein Freispruch das Ziel des Prozesses ist.

Will man ein mildes Urteil erreichen, kann das eigene Aussageverhalten und die Außendarstellung des Angeklagten ein wesentlicher Aspekt für eine wohlwollende Strafzumessung sein. Hier bietet sich eine umfassende, reumütige Aussage des Angeklagten an.

Schwieriger gestaltet sich die Frage nach der Aussage des Angeklagten, wenn der Freispruch das Ziel des Prozesses ist.

Denn es ist ein menschliches Grundbedürfnis, sich bei Vorwürfen zu rechtfertigen. Dabei besteht jedoch auch die Gefahr, sich selbst um “Kopf und Kragen“ zu reden.

Wichtig ist, dass keinerlei negative Rückschlüsse daraus gezogen werden dürfen, wenn ein Angeklagte zum Tatvorwurf schweigt, so bereits vor Jahren der BGHSt 20, 281.

Das Gericht darf aufgrund des Schweigens daher nicht vermuten, der Angeklagte habe “etwas zu verbergen.“

Folgende Frage sollte der Angeklagte mit seinem Verteidiger klären: Bin ich wortgewandt und gelassen genug, um unter dem Druck einer Hauptverhandlung überzeugend auf das Gericht zu wirken?

Dabei muss stets bedacht werden, dass die Vernehmung des Angeklagten nicht mit seiner Aussage zur Sache beendet sein wird. Nach der Sachverhaltsdarstellung des Angeklagten folgen regelmäßig umfangreiche und intensive Befragungen durch Gericht und Staatsanwaltschaft. Wer sich also in Ruhe seine Aussage überlegt und zurecht gelegt hat, kann dann völlig unvorbereitet auf diese Nachfragen treffen.

Auch auf diese muss dann aber geantwortet werden. Entweder der Angeklagte schweigt ganz - das ist zulässig. Wenn er aber aussagt, dürfen negative Schlüsse gezogen werden, wenn nur zu einzelnen Fragen geschwiegen wird.

Ein weiterer Aspekt liegt in der psychologischen Wirkung, die von einer Aussage des Angeklagten ausgeht.

Zum einen wird ein frühzeitiges und von ehrlicher Reue getragenes Geständnis immer strafmildernd vom Gericht berücksichtigt werden. Zum anderen kann diese Geständnis auch über die Frage entscheiden, ob eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht sind erfahrungsgemäß eher bereit, dem Angeklagten nochmals eine Chance zu geben, der durch eine offene Aussage das Gefühl vermittelt, einsichtig zu sein.

Auch wenn es darum geht, dem Gericht besondere Umstände, wie persönliche Drucksituationen zur Tatzeit, Drogensucht oder Beeinflussung durch Dritte mitzuteilen, bietet sich die Aussage des Angeklagten an.

Denn diese Situationen kann vor allem der Angeklagte selbst nachvollziehbar schildern. Durch seine Aussage bekommt das Gericht die Gelegenheit, sich einen Eindruck von der Persönlichkeitsstruktur und der individuellen Situation des Angeklagten zur Tatzeit machen zu können - Umstände, die für die Höhe der Strafe von entscheidender Bedeutung sein können.

Die Frage “aussagen oder nicht“ muss vor jeder Verhandlung gut überlegt werden. Ob Reden dabei wirklich nur Silber, Schweigen aber immer Gold ist, ist stets eine Frage des Einzelfalls.

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