Rechtliche Problematiken der so genannten Scheinselbstständigkeit

Mehr zum Thema: Sozialrecht, Scheinselbständigkeit, Betriebsprüfung, Sozialversicherungsbeiträge, Pflichtversicherung, Statusverfahren
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Wenn die Kostenersparnis für den Unternehmer zum Bumerang wird

Bewusst oder unbewusst – in vielen Unternehmen, insbesondere in Branchen wie der Gastronomie, im Bau-, Transport- und Reinigungsgewerbe, aber auch in vielen anderen Bereichen ist eine Vielzahl so genannter Scheinselbstständiger tätig. Was zum einen dem Beschäftigten oft entgegenkommen, zum anderen dem Unternehmen Kosten sparen soll, kann sich im Endeffekt zu einer erheblichen Kostenfalle für den Unternehmer entwickeln. Unter Umständen ist das sogar verbunden mit strafrechtlichen Konsequenzen.

Was bedeutet „Scheinselbstständigkeit"?

Scheinselbstständige sind Beschäftigte eines Betriebs oder Unternehmens, die als Auftragnehmer durch vertragliche Vereinbarung mit dem Unternehmer als Auftraggeber wie Selbstständige auftreten oder als solche bezeichnet werden, nach den tatsächlichen Voraussetzungen aber eigentlich als abhängig beschäftigt gelten. Die Problematik der Scheinselbstständigkeit entsteht dabei deshalb, da das Sozialrecht vorrangig auf die tatsächlichen Verhältnisse der konkreten Beschäftigung abstellt und nicht auf das vertraglich Vereinbarte, wenn dies nicht mit dem tatsächlichen Arbeitsablauf übereinstimmt.

Abgrenzungskriterien – Scheinselbstständigkeit / abhängige Beschäftigung

Um festzustellen, ob es sich bei einem Beschäftigten nun um einen tatsächlich selbstständig Tätigen handelt oder um einen abhängig Beschäftigten, hat die Rechtsprechung, allen voran das Bundessozialgericht, zahlreiche Kriterien aufgestellt. Anhand dieser Kriterien lässt sich das tatsächliche Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung und damit eventuell einer Scheinselbstständigkeit erkennen. Nachfolgend seien kurz die wichtigsten Kriterien genannt:

  1. Persönliche Abhängigkeit, die sich
    a.) in der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers und/oder
    b.) in der Eingliederung in den Betrieb zeigt (Betriebskleidung, Arbeitszeit etc.).
  2. Fehlende Befugnis des Beschäftigten, Arbeitsleistungen auf andere zu delegieren.
  3. Weitreichende Kontroll- und Mitspracherechte des Auftraggebers
    a.) bezüglich Produktions- und Betriebsmittel,
    b.) bezüglich Ablehnung von Aufträgen,
    c.) bezüglich Preiskalkulation,
    d.) bezüglich Werbung und Akquise.
  4. Umfangreiche Berichtspflicht.
  5. Fehlende Beschäftigung eigener Arbeitnehmer.
  6. Fehlende eigene Betriebs- und Produktionsmittel
  7. Keine Rechnungsstellung durch Auftragnehmer.
  8. Fehlen einer eigenen Betriebsstätte.

Diese Kriterien sind einzeln zu prüfen und entsprechend gegenüberzustellen. Entscheidend für die Feststellung des Status als Selbstständiger oder abhängig Beschäftigter ist letztendlich, welches Gesamtbild sich nach der Gegenüberstellung ergibt. Gerade auf der Frage nach der persönlichen Abhängigkeit und den Mitspracherechten des Auftraggebers liegt hier ein besonderer Schwerpunkt.

Mögliche Folgen der Beschäftigung eines „Scheinselbstständigen"

Die Problematik der Scheinselbstständigkeit entfaltet sich übergreifend auf mehrere Rechtsgebiete; zum einen auf das Sozialrecht, zum anderen auf das Arbeits- und Steuerrecht. Durch Scheinselbstständigkeit werden sozialversicherungsrechtliche Vorschriften umgangen, in der Regel, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen, die aufgrund der aktuellen verschärften Wettbewerbs- und Arbeitsmarktlage zu vermeintlichen wirtschaftlichen Vorteilen für Auftragnehmer und Auftraggeber führen sollen.

Allerdings drohen den Auftraggebern hierbei erhebliche Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen, wenn der zuständige Rentenversicherungsträger, meist im Rahmen einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung, Kenntnis von den Umständen einer bestehenden Scheinselbstständigkeit erlangt. Wird dabei durch den Sozialversicherungsträger der Tatbestand der Scheinselbstständigkeit festgestellt, muss der Auftraggeber die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge für die letzten 4 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind, nachentrichten. Im Fall einer vorsätzlichen Vorenthaltung tritt die Verjährung sogar erst in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind, ein.

Bei den Beiträgen, die nachzuentrichten sind, handelt sich zudem nicht nur um die Arbeitgeberanteile, sondern auch um den Anteil des Arbeitnehmers, da der Unternehmer den Anspruch nach § 28g SGB IV, den er ursprünglich gegen den Beschäftigten hatte, nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend machen kann und ein nicht getätigter Abzug nur bei den nächsten drei Entgeltzahlungen nachgeholt werden darf. Im Falle der Beschäftigung mehrerer „Scheinselbstständiger", eventuell über einen längeren Zeitraum hinaus, würde sich das für ein Unternehmen möglicherweise existenzgefährdend auswirken. Für den Auftragnehmer besteht regelmäßig der Nachteil, dass er weder sozial- noch arbeitsrechtlich abgesichert ist (keine Kranken- und Rentenversicherung, kein Kündigungsschutz etc.). Im Übrigen droht dem Unternehmer unter Umständen auch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB.

Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten

Die negativen Folgen von Scheinselbstständigkeit lassen sich jedoch vorab abfangen. Zum einen besteht gemäß § 7a SGB IV die Möglichkeit, durch den Sozialversicherungsträger auf Antrag für jeden einzelnen Beschäftigten prüfen zu lassen, ob konkret eine abhängige Beschäftigung oder Selbstständigkeit vorliegt. Dies verschafft abschließende Klarheit über den Status und kann böse Überraschungen im Nachhinein vermeiden.

Bei rechtzeitiger Antragsstellung (innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit) besteht dabei sogar der Vorteil, dass eine eventuell bestehende Versicherungspflicht in der Sozialversicherung erst mit dem Tag der Bekanntgabe der Entscheidung über das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses eintritt, mit der Folge, dass für den Zeitraum davor keine Beiträge nachgefordert werden. Dies kann aufgrund der längeren Dauer, die ein solches Statusverfahren einnimmt, einige Ersparnisse mit sich bringen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass zwischen der Aufnahme der Beschäftigung und Bekanntgabe der Entscheidung eine Absicherung zur Altersvorsorge bestehen muss, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung entspricht.

Sollte jedoch von vornherein von Auftraggeber und Auftragnehmer eine selbstständige Tätigkeit gewünscht sein, lässt sich dies durch eine entsprechende Vertragsgestaltung im Hinblick auf die oben benannten Kriterien, ebenfalls einrichten. Wichtig ist dabei, dass sowohl Vertrag als auch tatsächlicher Arbeitsablauf im Einklang eine selbstständige Tätigkeit begründen.

Fazit

Beschäftigte als Selbstständige tätig werden zu lassen, bringt unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis auf den ersten Blick sicher vermeintliche Vorteile, kann sich jedoch im Nachhinein als unangenehmer Bumerang erweisen, wenn die tatsächlichen Verhältnisse für eine abhängige Beschäftigung sprechen. Die Rechtsanwaltskanzlei Iben bietet Ihnen mit der langjährigen Erfahrung auf diesem Gebiet die notwendige Unterstützung – sowohl bei Statusverfahren und Vertragsgestaltung als auch bei der Abwehr von Beitragsrückforderungen.