Was dürfen Lehrer - und was ist nicht erlaubt?

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Bestrafung, Verbote, Maßnahmen: Was dürfen Lehrer und wie können Schüler sich wehren?

Den Schüler über das Knie legen - das gibt es schon lange nicht mehr. Trotzdem greifen Lehrer auch heute noch zu Strafen, wenn sie sich nicht anders zu helfen wissen. Wann dürfen Lehrer Schüler strafen, in welchem Rahmen? Darf ein Handy auch nach Schulschluss noch einbehalten werden, kann ein einzelner Lehrer über den Schulausschuss bestimmen? Was dürfen Lehrer generell und was nicht? Können Eltern eingreifen und wie? 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt Thomas Herz.

Jede Strafe muss ein Erziehungsmittel oder eine Ordnungsmaßnahme darstellen

123recht.de: Herr Herz, muss die Strafe einen konkreten Zweck verfolgen?

Thomas Herz
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Rechtsanwalt Herz: Sowohl Erziehungsmittel als auch Ordnungsmittel in der Schule erfüllen ganz konkrete Zwecke: Erziehungsmittel sollen auf den Schüler erzieherisch einwirken und ihn zur Beachtung der für einen ordnungsgemäßen Schulbetrieb unerlässlichen Vorschriften anhalten. Ordnungsmaßnahmen dienen sowohl der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schule als auch dem Schutz von Personen und Sachen innerhalb der Schule. Sie sind jedoch nur anzuordnen, wenn andere pädagogische Maßnahmen oder Erziehungsmittel nicht angemessen oder ausreichend sind. Diese können schlimmstenfalls bis zum Schulverweis führen.

123recht.de: Darf sich der Schüler weigern, die Strafarbeit zu machen oder sich gegen eine Strafe wehren?

Rechtsanwalt Herz: Grundsätzlich werden Ordnungsmaßnahmen durch ein Gremium beschlossen. Hierüber werden die Eltern des minderjährigen Schülers zunächst informiert und können Widerspruch einlegen, um die Anordnung der Ordnungsmaßnahme zu überprüfen. Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung. Die Maßnahme kann also nicht vollzogen werden. Nur wenn einzelne Schüler durch ihr Verhalten die Sicherheit anderer Schüler, Lehrkräfte oder Dritter ernstlich gefährden und die Entscheidung über eine Ordnungsmaßnahme deshalb keinen Aufschub duldet, können Schulleiter die notwendige Maßnahme selbst vorläufig anordnen. Dann kann nur hinterher geklärt werden, ob die Anordnung rechtmäßig war. Soweit jedoch noch keine Erledigung der Maßnahme eingetreten ist, kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherstellen. Ist die Maßnahme schon erledigt, was bei im Unterricht angewendeten Erziehungsmitteln häufig der Fall ist, muss für eine gerichtliche Klärung ein besonderes Feststellungsinteresse dargelegt werden können. Dies ist nur eingeschränkt möglich und kann etwa bei Wiederholungsgefahr, Rehabilitationsinteresse oder bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen der Fall sein.

Jede Maßnahme muss die pädagogische Zweckmäßigkeit und die Menschenwürde des Schülers beachten!

123recht.de: Nachsitzen oder die Schulordnung abschreiben - sind das Relikte oder als Strafe auch heute noch möglich?

Rechtsanwalt Herz: Bei jeder sanktionierenden Maßnahme muss die pädagogische Zweckmäßigkeit und die Menschenwürde des Schülers beachten werden. Insofern besteht zwar ein Ermessensspielraum, jedoch sind Maßnahmen, die allein darauf ausgerichtet sind, Schüler vorzuführen, sie also zum bloßen Objekt zu machen, generell unzulässig. Die Grenze für die Auferlegung besonderer Pflichten endet dort, wo unverhältnismäßig in Freiheitsrechte der Schüler eingegriffen wird. Das Abschreiben der Schulordnung wird noch zulässig sein. Ein völlig an den Haaren herbeigezogenes Nachsitzen, kann aber durchaus einen Anfangsverdacht für eine Freiheitsberaubung darstellen. In der Regel wird hier aber ein erzieherischer Spielraum zu beachten sein. Nachsitzen ist also nicht per se unzulässig, wen dadurch versäumte Unterrichtszeit nachgeholt werden soll.

123recht.de: Darf der Lehrer den Schülern verbieten, während des Unterrichts auf die Toilette zu gehen?

Rechtsanwalt Herz: In der Regel ja. Wenn aber bei Doppelstunden die nächste Pause mehr als 45 Minuten entfernt ist oder eine Erkrankung oder Behinderung bei Schülern vorliegt, wäre ein absolutes Verbot wohl unverhältnismäßig.

123recht.de: Darf der Lehrer den Schüler während der laufenden Stunde vor die Tür setzen oder z.b. von Klassenfahrten ausschließen?

Rechtsanwalt Herz: Er darf sowohl das eine als auch das andere. In allen Bundesländern sind derartige Maßnahmen bereits als einfache Erziehungsmittel erlaubt.

123recht.de: Wie sieht es aus, wenn Lehrer die ganze Klasse bestrafen, weil niemand zugibt, etwas gemacht zu haben?

Rechtsanwalt Herz: Kollektivmaßnahmen dürfen nur dann angewandt werden, wenn sie durch das Verhalten aller Schüler einer Klasse oder Gruppe erforderlich werden. Es gibt insofern keine pauschale „Kollektivschuld“.

Vorlesen von Noten vor der ganzen Klasse sind nicht erlaubt

123recht.de: "Mensch Meier das war ja schon wieder eine 6, lernst du es nie? Sind Noten vor der versammelten Klasse vergeben erlaubt?

Rechtsanwalt Herz: Das Verlesen von schlechten Noten oder die Besprechung einer schlechten Klassenarbeit vor der ganzen Klasse, um den Schüler letztlich vorzuführen, ist bereits aus pädagogischer Sicht bedenklich. In allen Bundesländern ist das im Grundsatz schon deswegen nicht erlaubt. Nach den Stellungnahmen der meisten Datenschutzbeauftragten der Länder ist die Ansage von Noten auch ein Eingriff in den Datenschutz – ein grundlegendes Persönlichkeitsrecht.

123recht.de: Sind Lehrer berechtigt, den Schulranzen zu durchsuchen oder Briefe, die sich Schüler schicken, zu beschlagnahmen und zu lesen?

Rechtsanwalt Herz: Taschenkontrollen oder Durchsuchungen stellen Eingriffe in Freiheitsrechte dar. Sie sind selbst der Polizei nur in bestimmten Fällen erlaubt. Hier muss auch beim Tätigwerden durch die Polizei unterschieden werden, ob die jeweilige Maßnahme präventiven Charakter hat oder etwa zur Aufklärung von Straftaten dient. Präventive Durchsuchungen durch die Polizei bedürfen grundsätzlich eines konkreten Anlasses in Form einer Gefahr. Repressive Durchsuchungen, um Straftaten aufzuklären, erfordern in der Regel einen richterlichen Beschluss. Nur bei Gefahr in Verzug kann die Polizei sofort handeln. Gefahr in Verzug ist bei Lehrern allerdings nur im Falle einer strafrechtlichen relevanten Notwehr oder Nothilfe gegeben. Bei der Beschlagnahme von Gegenständen verhält es sich nicht anders. Allerdings ist das vorübergehende Einziehen von den Unterrichten störenden Gegenständen durch den Lehrer nicht schon eine Beschlagnahme im Rechtssinne und absolut unzulässig.

Smartphones einkassieren ist erlaubt ggf. sogar über das Wochenende

123recht.de: Darf der Lehrer Eigentum des Schülers wie z.B. das Smartphone einziehen, wenn der Schüler statt dem Unterricht zu folgen damit rumspielt? Wie lange dürfen Gegenstände des Schülers eingezogen werden?

Rechtsanwalt Herz: Die vorübergehende Einziehung des Handys ist ein erzieherisches Mittel, das eine Störung der Unterrichts- und/oder der Erziehungsarbeit unterbinden soll, Insoweit ist es unerheblich, ob der Lehrer das Handy einfordert, weil dieses während des Unterrichts vibriert oder weil Schüler ihre Aufmerksamkeit dem Handy widmen.

Ein Smartphone kann nur solange eingezogen werden, wie der damit verfolgte Zweck es erfordert. In der Regel wird es nach dem Unterricht wieder herauszugeben sein, wobei es zulässig ist, dieses nur den Erziehungsberechtigten zu übergeben. Der Verbleib des Handys über das Wochenende ist nur zulässig, wenn etwa die Einziehung an einem Freitag in der letzten Unterrichtsstunde stattfand und die Abholung durch einen Erziehungsberechtigten erst am darauf folgenden Montag erfolgen kann.

123recht.de: Was ist, wenn ein Lehrer einen Schüler ohrfeigt?

Körperliche Züchtigung jeder Art ist untersagt und hat schwerwiegende Folgen für den Lehrer

Rechtsanwalt Herz: Jede körperliche Züchtigung von Schülern ist unzulässig.

123recht.de: Was für Folgen drohen Lehrern, die über das Ziel hinausgeschossen sind?

Rechtsanwalt Herz: In wiederholten oder schwerwiegenden Fällen körperlicher Züchtigung kann das Verhalten eines Lehrers ein schweres Dienstvergehen darstellen, welches aufgrund des endgültigen Vertrauensverlustes zum Dienstherrn regelmäßig mit der Entfernung aus dem Dienst zu ahnden ist.

123recht.de: Wer ist für Eltern in derartigen Fällen der Ansprechpartner die Schulleitung, das Schulamt oder sogar die Polizei?

Rechtsanwalt Herz: Ansprechpartner ist die Schulaufsicht, die in der Regel bei den Landesschulämtern, Regierungspräsidien oder Bezirksregierungen angesiedelt ist. Im Falle von etwaigen Straftaten sind natürlich auch die Polizei und das Jugendamt zuständig.

Auch in sozialen Netzwerken darf die seelische/ körperliche Unversehrtheit sowie auch geistige Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit der Schüler nicht gestört werden

123recht.de: Gibt es Besonderheiten für Lehrer, die auf Social Media zu beachten sind?

Rechtsanwalt Herz: Die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern in sozialen Netzwerken wird von vielen Kultusministerien skeptisch betrachtet, aber grundsätzlich geduldet. Lehrer müssen auch hier beachten, dass seelische und körperliche Unversehrtheit wie auch geistige Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit der Schüler verpflichtend sind. Ebenso verbietet es etwa ein verantwortungsvoller Umgang mit Nähe und Distanz, Freundschaftsanfragen anzunehmen. Auch in der digitalen Welt müssen Privatsphäre, Datenschutzrechte und Urheberrechte gewahrt werden. Schüler sowie deren Eltern dürfen keine Nachteile erfahren, wenn sie an der Kommunikation über ein soziales Netzwerk nicht teilnehmen. Eine Chat-Gruppe sollte als „geschlossen“ oder „geheim“ eingestellt sein.

123recht.de: Gibt es Unterschiede zwischen Bestrafungen an privaten Schulen und staatlichen Schulen? Wie ist es bei kirchlichen Trägern, gibt es dort Besonderheiten?

Rechtsanwalt Herz: Im Sanktionsgefüge gibt es im Wesentlichen keine Unterschiede. Insbesondere gelten bei staatlich anerkannten Ersatzschulen dieselben Spielregeln wie bei staatlichen Schulen. Auch die nicht staatlich anerkannten Schulen sind nicht frei, da auch sie an den Leitauftrag der Schulen gebunden sind. Ihre Regelungen müssen sich an den Grundrechten der Schüler und Eltern messen lassen. Das gilt auch für kirchliche Träger. In der Praxis ist jedoch eine Besonderheit zu beachten: private Schulen schließen mit den Eltern einen Schulvertrag für den betreffenden Schüler ab. Oftmals enthalten diese Schulverträge beiderseitige Kündigungsrechte. Dies kann bei Differenzen verschiedenster Art dazu führen, dass ein Schulvertrag schneller als gedacht gekündigt wird. Der Schüler wird dann praktisch gesehen von der Schule verwiesen, was bei einer staatlichen Schule die „Höchststrafe“ wäre. Betroffene Eltern sollten sich hier auf jeden Fall fachkundig beraten lassen.

123recht.de: Wir bedanken uns ganz herzlich für das informative Interview.

Rechtsanwalt Thomas Herz

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Leserkommentare
von Bromine am 03.08.2017 15:56:05# 1
Dieser Artikel beschäftigt sich vor allem mit dem Schutz der Schüler/innen gegenüber Lehrern.
Ins Auge gefallen ist mir der Satz aus dem Artikel "Lehrer müssen.... beachten, dass seelische und körperliche Unversehrtheit wie auch geistige Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit der Schüler verpflichtend sind."
Nun frage ich mich aber doch, wie ist denn an vielen Schulen mit der seelischen und körperlichen Unversehrtheit wie auch geistigen Freiheit der Lehrer aussieht. Wie kann sich ein Lehrer schützen, wenn zum Beispiel an vielen Hauptschulen der Bundesrepublik es mittlerweile gang und gebe ist, dass Schüler/innen ihren Lehrern fast täglich mit Sätzen wie "Eh Alter, fick dich in den Arsch, du hast mir garnichts zu sagen" und ähnlichem begegnen, so dass jede solche Äußerung eigentlich schon den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt, an manchen dieser Schulen von älteren Schülern Lehrern sogar Prügel angedroht werden, so dass man das Gefühl hat, man könnte dort nur noch als "Chuck Noris" oder "Bruce Lee" oder wie ein Aufseher eines amerikanischen Gefängnisses unterrichten. Mich würde einmal interessieren, welche rechtlichen Möglichkeiten denn seitens der Lehrer gegenüber ihren Schülern hier bestehen, beziehungsweise wie dieses Problem der zunehmenden Verrohung unter Schülern/Schülerinnen denn gelöst werden soll?
    
von go403762-40 am 03.08.2017 17:11:05# 2
ich gebe Bromine völlig Recht ! Meiner Meinung nach müsste/sollte jeder, der eine Lehrerstelle anstrebt, zuerst Ausbilder bei der - sowieso viel zu bequemen und moderaten - Bundeswehr sein ! Die Gesetze schützen die armen Schüler - vor was ? Heute müssten höchstens einige wenige vor ihren Klassenkameraden geschützt werden. Jedenfalls geht jede rechtlich orientierte Diskussion an der Realität weit vorbei !
    
von BonaXj6 am 03.08.2017 21:00:14# 3
Zum Thema "Toilettengang verbeiten" bin ich leider anderer Meinung:

Wurde daran gedacht, dass folgende Punkte eingreifen:

-Art. 3 EMRK: Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. - Wer dringenst auf die Toilette muss, wird unmenschlich behandelt, wenn er nicht gehen darf. Es besteht die möglichkeit, dass die Person den Druck nicht aushält und die blase nachgibt. Es wäre eine Erniedrigung der Person.

Hinzu kommt: Körperverletzung im Amt, § 340 StGB; Misshandlung Schutzbefohlener § 225 I StGB; Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht, § 171 StGB; Nötigung, § 240 I StGB

Und auch zum Thema "Schüler vor die Tür setzen" habe ich vor einer Weile mal gelesen, dass dies nicht zulässig ist, da es sich ebenfalls um eine Erniedrigung handeln soll. Bei Störungen des Schülers soll es aber zulässig sein, diesen nach hause zu schicken, wenn ich das noch richtig im Kopf habe.

Aber den ersten Fall sehe ich ganz klar und kann ihn mit dieser Seite hier sogar nachweisen, ist nämlich Grundrecht:
https://www.anwalt.de/rechtstipps/schulrecht-toilettenverbot-an-der-schule-rechtsmaessig_060575.html