Die Auflösung des Bundestags nach Art. 68 GG – ein Weg zu vorgezogenen Neuwahlen?
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Von Rechtsanwalt Andreas SchwartmannEine vorzeitige Auflösung des Bundestages sieht unsere Verfassung, das Grundgesetz, nur unter den Vorraussetzungen des Art. 68 vor. Danach kann der Bundespräsident "auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen", wenn "ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages" findet.
Allerdings steht es nicht im Belieben des Bundeskanzlers, auf diesem Wege jederzeit zur Auflösung des Bundestages zu kommen und vorzeitige Neuwahlen zu erreichen. Es müssen vielmehr die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Art. 68 GG gegeben sein.
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Im Jahre 1983 hatte sich Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Rahmen einer von mehreren Bundestagsabgeordneten angestrengten Organklage schon einmal mit der Verfassungsmäßigkeit der Auflösung des Bundestages zu befassen (Urt. vom 16.2.1983 - 2 BvE 1, 2, 3, 4/83; NJW 1983, 735). Hintergrund war damals die Absicht der neuen Regierung Kohl, nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Schmidt vorgezogene Neuwahlen zu ermöglichen. Helmut Kohl stellte dazu selbst die Vertrauensfrage, worauf ihm die Mehrheit der Abgeordneten bewusst zur Heibeiführung der Situation des Art. 68 GG die Zustimmung verweigerte. Der Bundespräsident löste daraufhin auf Antrag des Bundeskanzler Kohl den Bundestag auf und ermöglichte Neuwahlen.
Das Bundesverfassungsgericht hat gegen diesen "Schleichweg" zur Herbeiführung vorzeitiger Neuwahlen Bedenken erhoben und ausgeführt:
"[.. .]
6. Der Bundeskanzler, der die Auflösung des Bundestages auf dem Wege des Art. 68 GG anstrebt, soll dieses Verfahren nur anstrengen dürfen, wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiterzuregieren. Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, daß er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag. Dies ist ungeschriebenes sachliches Tatbestandsmerkmal des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG."
7. Eine Auslegung dahin, dass Art. 68 GG einem Bundeskanzler, dessen ausreichende Mehrheit im Bundestag außer Zweifel steht, gestattete, sich zum geeignet erscheinenden Zeitpunkt die Vertrauensfrage negativ beantworten zu lassen mit dem Ziel, die Auflösung des Bundestages zu betreiben, würde dem Sinn des Art. 68 GG nicht gerecht. Desgleichen rechtfertigen besondere Schwierigkeiten der in der laufenden Wahlperiode sich stellenden Aufgaben die Auflösung nicht.
8. a) Ob eine Lage vorliegt, die eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht mehr sinnvoll ermöglicht, hat der Bundeskanzler zu prüfen, wenn er beabsichtigt, einen Antrag mit dem Ziel zu stellen, darüber die Auflösung des Bundestages anzustreben.
b) Der Bundespräsident hat bei der Prüfung, ob der Antrag und der Vorschlag des Bundeskanzlers nach Art. 68 GG mit der Verfassung vereinbar sind, andere Maßstäbe nicht anzulegen; er hat insoweit die Einschätzungskompetenz und Beurteilungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten, wenn nicht eine andere, die Auflösung verwehrende Einschätzung der politischen Lage der Einschätzung des Bundeskanzlers eindeutig vorzuziehen ist.
c) Die Einmütigkeit der im Bundestag vertretenen Parteien, zu Neuwahlen zu gelangen, vermag den Ermessensspielraum des Bundespräsidenten nicht einzuschränken; er kann hierin jedoch einen zusätzlichen Hinweis sehen, dass eine Auflösung des Bundestages zu einem Ergebnis führen werde, das dem Anliegen des Art. 68 GG näher kommt als eine ablehnende Entscheidung."
Die nunmehr von Bundeskanzler Schröder vorgeschlagene Auflösung des Bundestages begegnet vor diesem Hintergrund erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag haben sich seit der letzten Bundestagswahl nicht verändert; insbesondere hat die derzeitige Bundesregierung eine ausreichende Mehrheit im Parlament. Wohl aber haben sich die Kräfteverhältnisse im Bundesrat entscheidend verändert. Dies allein kann aber die vorzeitige Auflösung des Bundestages nicht rechtfertigen. Es bleibt deshalb abzuwarten, ob sich das BVerfG erneut mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Parlamentsauflösung befassen muss, und zu welcher Entscheidung der zuständige 2. Senat dann kommen wird.
RA Andreas Schwartmann, Köln
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