Die Realität an Daums Haaren herbeigezogen

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Es wird viel geredet in letzter Zeit. Viel zu viel. Einigen Leuten braucht man nur ein Mikrofon unter die Nase zu halten, und schon erzählen sie wirres Zeug. Andere geben ungefragt ihren Senf dazu. Auf einmal ist jeder ein Insider, der mit Daum auch schon mal ein paar Nasen gezogen haben will. Wichtige Leute sprechen wichtige Sätze, und unwichtige Leute reden trotzdem.

Es kommt einem vor wie in der Schule, wenn eine Frage des Lehrers gerade fehlerfrei von einem Schüler beantwortet wurde. Ein Kind gab es dann immer, das sich meldete, um diesen einen bahnbrechenden Satz von sich zu geben: "Das wollte ich auch gerade sagen."
Sie wenden sich ab, verurteilen den Überführten, reißen Wunden auf und streuen Salz hinein. Mit Geleitschutz von der Presse. Die Wahrheit wurde an den Haaren herbeigezogen, und jetzt, da es brennt, wirft jeder ein paar Kohlen ins Feuer. Die Daumaffaire wird skandiert.

Was aber ist eigentlich eine Affäre? Eine Affaire ist eine unangenehme Angelegenheit, ein peinlicher und skandalöser Zwischenfall. Und skandalös ist ein Geschehnis, dass Anstoß und Aufsehen erregt. Interessanterweise kann man jemanden sowohl in eine Affäre hineinziehen, als auch sich selbst aus der Affäre herausziehen. Wie man es dreht und wendet, eine richtig gute Figur gibt man dabei nie ab. Aber das ist ja auch nicht so schlimm, die Öffentlichkeit vergisst und verzeiht ja genauso schnell wie Fußballfans, wenn ihre Mannschaft auf einmal wieder gewinnt. Und eine Affaire ist immer dann am schönsten, wenn zumindest ein Kopf rollt. Gesellschaftliche Gladiatorenspiele.

Affairen lassen meist auch ein klares Bewußtsein entstehen: Das sind die Guten - und das die Bösen. So auch diesmal. Der Gute ist Rudi Völler, der neue Ritter auf der Suche nach dem heiligen Grahl, Retter der Nation. Wie lange? So lange es eben Sinn macht. Bis zum nächsten Skandal, oder bis die Mannschaft wieder verliert. Niemand kann das so genau sagen, aber eins ist sicher: Köpfe werden immer wieder rollen. Gute wie böse.