Guten Abend,
ich bitte darum, diesen Fall einzuschätzen:
Ein junger Mann, 24 Jahre, gerät in eine temporäre Lebenskrise.
Er spielt mit de Gedanken, sich das Leben zu nehmen.
Bevor er Suizid begeht, sucht er eine psychiatrische Ambulanz auf.
Nach einem Gespräch mit einer Ärztin dort wird er wieder entlassen.
Im Gespräch hat er mitgeteilt, dass er mit dem Gedanken spiele, sich vor einen Zug am nahegelegenen Hauptbahnhof in M zu werfen.
Nach einigen Rückfragen geht die Ärztin aber davon aus, dass der junge Mann nach Hause kann.
Was der junge Mann aber nicht weiß: Die Ärztin hat vorsichtshalber die Bundespolizei informiert, damit diese am Hbf etwas aufmerksamer ist.
Das alles geschah kurz nach Ostern 2023.
Nun hat sich der junge wieder stabilisiert, eine neue Partnerin gefunden.
Anfang Juni wird er am frühen Morgen von mehreren bewaffneten Polizisten verhaftet.
Er wird nach einer Anhörung beim Amtsrichter in den sogenannten Maßregelvollzug gebracht.
Man wirft ihm eine Störung des öffentlichen Friedens in mittelbarer Täterschaft (durch die damlige Klinikärztin) vor.
Der junge Mann habe einen gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr angedroht und billigend erhebliche Beunruhigungen der Fahrkäste in Kauf genommen.
Gegen die Verbringung des Beklagten in die Psychiatrie bringt ein sofort konsultierter Anwalt eine Beschwerde ein.
Der Anwalt argumentiert:
1) Es ist bei einem Gespräch zwischen einem psychiatrischen Notfallpatienten und einer diensthabenden Ärztin nicht von einer billigenden Inkaufnahme auszugehen. Der junge Mann musste nicht davon ausgehen, dass die Suizidabsichten und die Art der Suizidbegehung der Öffentlichkeit bekannt werden.
2) Es liegt keine Androhung einer Tat nach 315 Abs. 3 Strafgesetzbuch vor, da der junge Mann keinen Unglücksfall herbeiführen wollte.
Heute lehnt das Landgericht die Beschwerde ab.
Es begründet:
1) Angesichts der möglichen Auswirkungen einer Umsetzung des angekündigten Suizids war es naheliegend, dass die Ärztin die Polizei in Kenntnis setzt. Und zwar um sowohl den jungen Mann als auch andere Fahrgäste und das Bahnpersonal vor den Folgen des Suizids zu schützen. Das Landgericht geht dann auf die möglichen Folgen ein, die es haben kann, wenn Menschen sehen, wenn ein anderer Mensch Suizid begeht. Es bezeichnet diese Folgen als schwere seelische Schädigungen im Sinnes des §63 StGB.
2) Die Absicht, einen Unglücksfall herbeiführen zu wollen, stellt nicht allein auf eine Schädigung dritter Personen ab. Der junge Mann habe die Herbeiführung des Unglücksfalls vielmehr dadurch angekündigt, dass er sich selbst töten wollte. Dadurch wäre durch die Umsetzung der Absicht ein Unglücksfall eingetreten, der mit "einiger Wahrscheinlichkeit zu einer tiefgreifenden Störung des öffentlichen Friedens geführt" hätte.
Meinungen dazu sind sehr erwünscht.
Vor allem vergleichbare Urteile, Entscheidungen u.a.
Danke und allen einen schönen Freitagabend!
Androhung von Straftaten und einstweilige Unterbringung
Notfall oder generelle Fragen?
Notfall oder generelle Fragen?



Ich kann die Begründung des Gerichtes nachvollziehen ...
Allerdings frage ich mich, warum nach so langer Zeit eine Verbringung in die Psychiatrie als geboten erscheint, immerhin folgte der Ankündigung keine Umsetzung.
In sofern wäre der Wortlaut der Begründung des Gerichtes hier mal interessant.
Das hier ist der Wortlaut:
Gegen den Beschuldigten ... wird gemäß § 126a StPO die einstweilige Unterbringung in
einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Der Beschuldigte ist auf Grund der polizeilichen Ermittlungen dringend verdächtig
in M.
am 21.04.2023
in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
eine gemeingefährliche Straftat, namentlich einen gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr durch Herbeiführen eines Unglücksfalls, angedroht zu haben
indem er
am 21.04.2023 gegen 21:15 Uhr die Zentralambulanz (ZI) in M. aufsuchte und gegenüber der diensthabenden Ärztin Dr. ... angab, er spiele ernsthaft mit dem Gedanken, sich am Hauptbahnhof M. vor einen einfahrenden Intercity Express zu werfen und dadurch seinen eigenen Tod herbeizuführen.
Gründe
Am 21.04.2023 um ca. 21:15 Uhr suchte der Beschuldigte die Zentralambulanz (ZI) in M. auf und teilte mit, dass er sich mit Suizidgedanken trage. Er führte ein etwa 45-minütiges Gespräch mit der diensthabenden Ärztin Dr. ... In Absprache mit dem Oberarzt Dr... entließ Dr. .... den Beschuldigten nach der fachärztlichen Untersuchung am Abend des 21.04.2023 in die eigene Wohnung. Der Beschuldigte hatte zuvor versichert, von Suizidhandlungen abzusehen. Dr. ... teilte anschließend der Bundespolizeidienststelle in M. den Sachverhalt mit.
Am 25.04.2023 wurde Dr ... auf dem Polizeipräsidium M. zeugenschaftlich vernommen. Sie gab an, der Beschuldigte habe labil, aber absprachefähig gewirkt. Deshalb sei es zu verantworten gewesen, ihn in die eigene Wohnung zu entlassen. Sie habe mit dem Beschuldigten zudem einen Nachsorgetermin für den 09.05.2023 vereinbart.
Mit Schreiben vom 11.05.2023 erbat die Staatsanwaltschaft M. bei der Zentralambulanz (ZI) um weitere Mitteilungen in der Sache, soweit der Patient erneut dort vorstellig werden sollte.
Am 24.05.2023 teilte die Zeugin Dr. ... der Staatsanwaltschaft postalisch mit, der Beschuldigte habe den vereinbarten Nachsorgetermin wahrgenommen. Er habe stabilisiert gewirkt und von einer neuen Beziehung berichtet. Es sei ein weiterer Nachsorgetermin für den 06.06.2023 vereinbart worden.
Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand sind dringende Gründe für die Annahme gegeben, dass die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. §63 StGB angeordnet wird.
Zwar habe er im Rahmen des Nachsorgetermins stabilisiert gewirkt, doch dürfte diese Stabilisierung der neuen Paarbeziehung geschuldet sein, die der Beschuldigte eingegangen ist.
Ausweilich den Angaben der Zeugin Dr. ... war eine gescheiterte Beziehung verantwortlich für die angekündigte, hier verfahrensgegenständliche Straftat.
Es ist anzunehmen, dass ein Scheitern der neuen Beziehung zu ähnlichen Tathandlungen und womöglich zu einer Umsetzung der bislang nur angedrohten Tat führen wird.
Die Unterbringung ist deshalb im Interesse der öffentlichen Sicherheit unbedingt erforderlich.
Mildere Mittel stehen nicht zur Verfügung.
Anmerkung von mir: Es könnten sich Tippfehler beim Abschreiben eingeschlichen haben.
-- Editiert von User am 9. Juni 2023 21:48
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ZitatDas Landgericht geht dann auf die möglichen Folgen ein, die es haben kann, wenn Menschen sehen, wenn ein anderer Mensch Suizid begeht. Es bezeichnet diese Folgen als schwere seelische Schädigungen im Sinnes des §63 StGB. :
Entweder stehe ich gerade zu später (oder früher, je nachdem) Stunde auf dem Schlauch oder in der Argumentation steckt ein Fehler:
Die schweren seelischen (oder körperlichen) Schäden müssen durch die Anlasstat entstehen.
Hier scheint aber ja die Androhung eines gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr im Raum zu stehen.
Das heißt, allein diese Androhung (sofern sie überhaupt der Öffentlichkeit bekannt wird) müsste Menschen schon seelisch schwer schädigen.
Ausnahme dann in Satz 2: "Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird."
Ob da als Grundlage ein Arzt-Patienten-Gespräch herangezogen werden kann... ich weiß ja nicht.
Fände ich jetzt vor allem im Hinblick auf vertrauensvolle Therapiegespräche schwierig. Wenn jemand akut suizidal ist, stellt der Arzt schematisch ein paar Fragen, um die Ernsthaftigkeit einzuschätzen.
Eine erfolgreiche Behandlung (und eventuelle Prävention) ist nur möglich, wenn der Patient wahrheitsgemäß antwortet.
Wenn der Patient aber wahrheitsgemäß antwortet und dann befürchten muss, allein für die Gedanken, die er gegenüber dem Behandler geäußert hat, für fünf, zehn, fünfzehn Jahre einzufahren, wäre das ziemlich heikel.
ZitatDie schweren seelischen (oder körperlichen) Schäden müssen durch die Anlasstat entstehen. :
Nein, die Anlasstat für Paragraph 63 StGB muss einfach nur im Rahmen der verminderten oder aufgehobenen Schuldfähigkeit begangen worden sein.
Hier Paragraph 126 StGB
Die seelischen o. körperlichen Schäden beziehen sich auf die zu erwartenden Straftaten.
Hier evt. Paragraph 315 Abs 3 StGB
-- Editiert von User am 10. Juni 2023 12:45
ZitatDie seelischen o. körperlichen Schäden beziehen sich auf die zu erwartenden Straftaten. :
Ah ja, so hatte ich es nicht interpretiert.
Ändert aber fundamental auch nicht viel an meinen weiteren Ausführungen, insbesondere soweit es die Kommunikation zwischen Arzt und Patienten betrifft.
Anscheinend hat der BE
1) in einer belastenden Situation freiwillig ärztliche Hilfe gesucht
2) auch die Nachsorgetermine wahrgenommen
.
Ich finde es heikel, dass jemand, der sich seinem Behandler offenbart und Suizidgedanken schildert, fürchten muss, eines der schärfsten Schwerter des Strafrechts zu spüren.
Ich will auch gar nicht in Abrede stellen, dass es extrem belastend sein kann, einen Suizid mitzuerleben, aber auf die Schilderung dieser Gedanken mit einer strafrechtlichen Unterbringung zu reagieren... hmmm. Zumal eine öffentlich-rechtliche Unterbringung (PsychKG) wohl nicht erforderlich schien.
Das "Problem" ist nicht, dass die Absicht sich umzubringen angekündigt wurde, sondern das "wie".
Dass jetzt mit dem zeitlichen Abstand noch die vorl. Unterbringung angeordnet wird, überrascht mich auch.
Ansonsten enden mehr dieser Unterbringungsverfahren mit einer zur Bewährung ausgesetzten Unterbringung, als man meinen würde. Ist die Person zum Zeitpunkt der Verhandlung stabil bzw. in Behandlung und medikamentös eingestellt, stehen die Chancen dafür sehr gut.
ZitatIch will auch gar nicht in Abrede stellen, dass es extrem belastend sein kann, einen Suizid mitzuerleben :
Frag Mal die Lokführer, ob sie es einfach "nur belastend" finden.
Strafanzeige gegen Ambulanz und Ärztin stellen. Wenn sie den Patienten als so stabil eingeschätzt hat ihn nach Hause zu schicken hätte keine Information der Bundespolizei erfolgen dürfen.
Hat sie ihn als selbst- (und im Falle eines Bahnsuizids auch fremdgefährdend) erlebt hätte sie entsprechende Maßnahmen ergreifen müssen.
Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass funktioniert auch nicht für Ärzte - entweder oder.
Mal abgesehen davon, dass man sich in Deutschland selbst umbringen darf und ein entsprechender Versuch nicht automatisch zu einer Zwangseinweisung führen darf - eine so auskunftsfreudige Psychiaterin sollte ihre Approbation verlieren.
Spätestens in der Vernehmung als Zeugin hätte sie jede Aussage mit Verweis auf die Schweigepflicht verweigern müssen, auch keine weiteren Auskünfte über weitere wahrgenommene Termine des Patientin geben dürfen. Denn die ursprünglich geäußerte Suizidabsicht ist nicht umgesetzt worden und der Patient stabilisiert.
Eine mit so großem zeitlichen Abstand zur akuten und offenbar erfolgreichen Krisenintervention angeordnete Unterbringung ist Freiheitsberaubung und schädigt den Patienten.
Und dürfte nur dazu führen, dass noch weniger Menschen in akuten Krisen sich die nötige und mögliche (siehe obiger Fall) Hilfe holen - und dann eben tatsächlich auf Bahngleisen enden. Oder wie auch immer sonst. Ein Suizidopfer zu finden ist immer traumatisch für die Überlebenden, egal ob öffentlich oder privat.
ZitatFrag Mal die Lokführer, ob sie es einfach "nur belastend" finden. :
Dazu musst du mir nichts sagen.
Ich habe so einen Vorfall im Dezember 2022 selbst miterlebt, zwar nicht als Zugführer, aber am Bahnsteig ca. 50 Meter von mir entfernt.
Ändert aber wiederum nichts an meinen vorigen Aussagen, weil das nicht der Punkt ist. Dieser ist vielmehr, dass solche staatlichen Reaktionen m.E. geeignet sind, das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten zu gefährden.
Soweit man es der Sachverhaltsschilderung entnehmen kann, hat der Untergebrachte die Handlung ja nicht öffentlich im Internet oder sonstwo angekündigt, sondern dort angesprochen, wo es hingehört: in einem Arztzimmer.
-- Editiert von User am 10. Juni 2023 15:18
ZitatSoweit man es der Sachverhaltsschilderung entnehmen kann, hat der Untergebrachte die Handlung ja nicht öffentlich im Internet oder sonstwo angekündigt, sondern dort angesprochen, wo es hingehört: in einem Arztzimmer. :
Das ist richtig, und wie gesagt, geht es dabei um das "wie".
Der § 315 Abs. 3 StGB ist nun mal einer in § 138 StGB ausdrücklich aufgeführten Fälle, bei denen die ärztliche Schweigepflicht dann nicht mehr unbedingt gilt. Eine Pflicht zur Anzeige besteht gemäß § 139 StGB nicht, kann aber aus einer Abwägung nach § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) trotzdem angezeigt sein.
ZitatDer § 315 Abs. 3 StGB ist nun mal einer in § 138 StGB ausdrücklich aufgeführten Fälle, bei denen die ärztliche Schweigepflicht dann nicht mehr unbedingt gilt. Eine Pflicht zur Anzeige besteht gemäß § 139 StGB nicht, kann aber aus einer Abwägung nach § 34 StGB (rechtfertigender Notstand) trotzdem angezeigt sein. :
Dass man sich das rechtlich hinbiegen kann, ist mir schon klar.
Die Frage ist, ob dieses Vorgehen sinnvoll und, um mal in der Rechtssprache zu bleiben, verhältnismäßig ist.
Ich spreche da aus der Perspektive des Gesundheitswissenschaftlers mit Fokus auf Prävention und einigen im Studium belegten Rechtsmodulen. Und da sage ich, dass mir da doch etwas die K*** hochkommt.
Ich meine, wir reden hier davon, dass das, nach der Sicherungsverwahrung, zweitschärfste Schwert des Strafrechts im Raum steht.
Und dagegen liest du von anderen Fällen, wo Dritte andere Personen gegen ihren Willen vor eine einfahrende Bahn geschubst haben und es bei Haftstrafen zur Bewährung geblieben ist und auf U-Haft-Anordnungen verzichtet wurde (natürlich nur, soweit dann nichts Ernsthaftes passiert ist, der Zugführer rechtzeitig bremsen konnte etc.). Ja, klar ist auch, dass sich "Unrecht nicht vergleichen lässt", aber in dieser Sache finde ich die staatliche Reaktion nicht nur überzogen, sondern generell kontraproduktiv (soweit der SV hier vollständig geschildert ist).
-- Editiert von User am 10. Juni 2023 15:57
ZitatMal abgesehen davon, dass man sich in Deutschland selbst umbringen :
Sich von einem Zug überfahren lassen, bedeutet doch, dass es ein unschuldiges Opfer gibt - nämlich den Lokführer.
Manche müssen sogar den Beruf aufgeben oder lange Behandlungen durchführen, dazu die finanziellen Einbußen.
Zitatdie staatliche Reaktion nicht nur überzogen, sondern generell kontraproduktiv :
Finde ich nicht.
ZitatFinde ich nicht. :
Also:
Suizidaler Patient kommt in die Klinik.
Berichtet von seinen Lebensumständen und den Suizidgedanken.
Arzt stellt gezielte Fragen, um abzuchecken, wie ernst die Sache zu nehmen ist.
Kommt da Larifari, will der Patient entweder Aufmerksamkeit, die Äußerungen sind ein Hilferuf oder die Gedanken sind zwar da, aber nicht konkretisiert. Heißt dann bei der Bewertung der Situation: grün bis gelb.
Berichtet der Patient konkret, wie er gedenkt, sich das Leben zu nehmen, ist Vorsicht geboten.
Das weitere Prozedere hängt vom Einzelfall ab.
Bei genau diesem Sachverhalt stelle ich mir die Frage, ob der Patient davon ausgehen musste, dass seine Gedanken an die Öffentlichkeit gelangen und er dies zumindest billigend in Kauf genommen hat.
Nehmen wir mal an, ich würde in eine sch*** Lebenssituation geraten und auf Ideen wie der hier thematisierte Patient kommen, muss ich dann damit rechnen, dass die Gedanken, die ich dem Arzt mitgeteilt habe, sofort Eingang in eine Ermittlungsakte finden?
Zumal auch
Zitat:
Am 25.04.2023 wurde Dr ... auf dem Polizeipräsidium M. zeugenschaftlich vernommen. Sie gab an, der Beschuldigte habe labil, aber absprachefähig gewirkt. Deshalb sei es zu verantworten gewesen, ihn in die eigene Wohnung zu entlassen. Sie habe mit dem Beschuldigten zudem einen Nachsorgetermin für den 09.05.2023 vereinbart.
nicht unbedingt dafür spricht, dass der Patient in die Klinik gegangen ist, um "von hinten durch die Brust ins Auge" die Öffentlichkeit in Schrecken zu versetzen.
Klar, wenn die Situation nun wäre, dass der Patient von Amokfantasien berichtet und sich nicht beruhigen lässt, sondern aufgebracht die Klinik verlässt und das Behandlungspersonal nicht mehr weiß, was nun geschieht, dann wäre der weitere Fortgang dieser Angelegenheit verständlich.
Aber so hat sich der Patient / Beschuldigte ja offenbar nicht nur effektiv beruhigen lassen, sondern auch noch gewissenhaft den Nachsorgetermin wahrgenommen.
Das heißt ja auch, dass eine Behandlungsbereitschaft vorhanden ist und der Patient ausweislich den Angaben der Ärztin absprachefähig ist.
Mal ganz abgesehen von der Einordnung in bestimmte Tatbestände erschließt sich mir nicht, warum außer der geschlossenen Unterbringung nach §126 StPO keine milderen Mittel zur Verfügung stehen sollen - zumal die Unterbringung gut sechs Wochen nach der "Tathandlung" angeordnet wurde.
Da würden mir gleich zwei mildere Mittel einfallen:
1) Freiwillige Therapie (Patient ist anscheinend absprachefähig und hält die Termine ein)
2) Öffentlich-rechtliche Unterbringung nach den PsychKG der Länder
-- Editiert von User am 10. Juni 2023 20:43
Zitat2) Öffentlich-rechtliche Unterbringung nach den PsychKG der Länder :
Da ist halt weder die Staatsanwaltschaft noch der Ermittlungsrichter, der die vorl. Unterbringung anordnen muss, zuständig. Die Möglichkeit gibt es natürlich, aber eben neben denen des Strafrechts.
Beschwerde wurde ja eingelegt. Wie hat denn das Beschwerdegericht begründet, das würde mich mal interessieren.
ZitatWie hat denn das Beschwerdegericht begründet :
ZitatHeute lehnt das Landgericht die Beschwerde ab. :
Es begründet:
1) Angesichts der möglichen Auswirkungen einer Umsetzung des angekündigten Suizids war es naheliegend, dass die Ärztin die Polizei in Kenntnis setzt. Und zwar um sowohl den jungen Mann als auch andere Fahrgäste und das Bahnpersonal vor den Folgen des Suizids zu schützen. Das Landgericht geht dann auf die möglichen Folgen ein, die es haben kann, wenn Menschen sehen, wenn ein anderer Mensch Suizid begeht. Es bezeichnet diese Folgen als schwere seelische Schädigungen im Sinnes des §63 StGB.
2) Die Absicht, einen Unglücksfall herbeiführen zu wollen, stellt nicht allein auf eine Schädigung dritter Personen ab. Der junge Mann habe die Herbeiführung des Unglücksfalls vielmehr dadurch angekündigt, dass er sich selbst töten wollte. Dadurch wäre durch die Umsetzung der Absicht ein Unglücksfall eingetreten, der mit "einiger Wahrscheinlichkeit zu einer tiefgreifenden Störung des öffentlichen Friedens geführt" hätte.
Ach ja, da war ja was. :P
Zitat1) Es ist bei einem Gespräch zwischen einem psychiatrischen Notfallpatienten und einer diensthabenden Ärztin nicht von einer billigenden Inkaufnahme auszugehen. :
Würde mich eher der Meinung anschließen.
"Billigende Inkaufnahme" heißt ja so viel wie: "Der Täter zündet ein von ihm vermietetes Haus an, um eine Versicherungssumme zu kassieren. Nach seinem Wissen kann er zumindest ahnen, dass sich darin Menschen befinden. Er denkt sich 'Und wenn schon...", legt den Brand, zwei Bewohner kommen zu Tode."
Zu prüfen wäre zumindest Brandstiftung mit Todesfolge oder auch Mord.
Mir wurde der Unterschied zwischen "billigender Inkaufnahme" und "eventuell strafloser Fahrlässigkeit" mal so erklärt, dass der Täter bei der billigenden Inkaufnahme "Ach wenn schon..." denkt und bei der Fahrlässigkeit "Wird schon gut gehen."
Und wenn ein suizidaler Patient in die psychiatrische Notaufnahme kommt und dort seine Gedanken schildert, sehe ich da eine biligende Inkaufnahme nicht.
Nach meinen eigenen Erfahrungen im Gesundheitswesen und einer längeren Beziehung zu einer Stationsleitung einer Akutpsychiatrie gehe ich stark davon aus, dass die Betroffenen in der Situation ganz andere Gedanken haben.
@Cousupp,
ZitatEs ist anzunehmen, dass ein Scheitern der neuen Beziehung zu ähnlichen Tathandlungen und womöglich zu einer Umsetzung der bislang nur angedrohten Tat führen wird. :
Wir haben hier die Seite der einen Person erfahren. Er hat eine neue Freundin und fühlt sich dadurch stabil. Wir kennen nicht die Seite der Freundin, evtl. könnte die sich ebenfalls von ihm trennen und er begeht dann einen Schienensuizid.
Das Gericht hat mM nach richtig gehandelt, er muss stabilisiert werden und das wird eher in einer Klinik möglich sein, als die Last der neuen Partnerin aufzubürden. Es könnte doch sein, er klammert sich an die Frau, evtl. auch mit der Drohung wenn sie ihn verlässt, setzt er seinen Plan um.
Fachliche Hilfe nur im ambulanten Bereich, dürfte da nicht ausreichend sein.
cousoupp, es macht wenig Sinn, einzelne Sätze aus der Entscheidung herauszunehmen oder eine Aktion aus dem Sachverhalt und daraus dann irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Dadurch konstruiert man einen Sachverhalt, der so eben nicht war.
Die Ärztin hat ihn eben nicht entlassen, weil die Gefährdung Dritter dauerhaft nicht gegeben war; er ist entlassen worden, weil im Augenblick (!) eine Gefährdung nicht vorlag. Längerfristig war sie nach Einschätzung der Ärztin ja durchaus da. Und die war durch die neue Freundin doch auch nicht weg. Die ist doch erst dann weg, wenn der Betroffene eben nicht mehr von äußeren Umständen, die er letztlich nicht beeinflussen kann, abhängig ist, sondern so gefestigt, dass ein erweiterter Suizid und auch andere Verbrechen ausgeschlossen sind. Und diese Voraussetzung scheint noch nicht gegeben zu sein. Jedenfalls ist die Begründung des Gerichts nachvollziehbar.
Ich spreche niemandem das Recht ab, seinem Leben ein Ende zu setzen. Ich spreche den Betroffenen jedoch das Recht ab, dieses durch Begehung von strafbaren Handlungen (Verbrechen), also unter Einbeziehung anderer, zu tun. Und genau darum geht es hier.
wirdwerden
Hier ein ähnlicher Fall, bei dem die Handlung aber umgesetzt wurde.
https://www.kanzlei-hoenig.de/2015/strafbarer-sprung-vor-die-muenchener-s-bahn/?newpage=request
Da geht es um eine zivilrechtliche Entscheidung, was bei einem etwaigen Strafverfahren herausgekommen ist, weiß ich nicht.
Es wäre jedenfalls merkwürdig, wenn die "Androhung" gegenüber einem Therapeuten strafbar wäre und sogar den § 63 StGB rechtfertigte, die tatsächliche Umsetzung der Handlung (auch wenn die Selbsttötung "erfolglos" blieb) aber nicht.
-- Editiert von User am 11. Juni 2023 15:30
Nee, das ist nicht merkwürdig. Wir haben es auch hier nicht mit jemandem zu tun, der den Betroffenen therapiert. Hier haben wir einen Arzt, der eine Notfallsituation für den Augenblick einschätzen musste und zusätzlich eine Gefährdungssituation für die Zukunft. Ob die Gefährdungssituation für die Zukunft besteht, das hatten dann andere zu entscheiden. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass allein der Eindruck der Notfallärztin ausreicht, um eine solche Maßnahme durchzuziehen?
wirdwerden
ZitatDu glaubst doch nicht ernsthaft, dass allein der Eindruck der Notfallärztin ausreicht, um eine solche Maßnahme durchzuziehen? :
Müsste das dann nicht aus dem Unterbringungsbeschluss hervorgehen?
Da steht, soweit es das Medizinische betrifft, als letzter Stand
ZitatAm 24.05.2023 teilte die Zeugin Dr. ... der Staatsanwaltschaft postalisch mit, der Beschuldigte habe den vereinbarten Nachsorgetermin wahrgenommen. Er habe stabilisiert gewirkt und von einer neuen Beziehung berichtet. Es sei ein weiterer Nachsorgetermin für den 06.06.2023 vereinbart worden. :
.
Irgendwie kann ich dem Inhalt, sofern er vollständig ist, keine neuen Erkenntnisse entnehmen, die gut sechs Wochen nach der erstmaligen Vorstellung im Krankenhaus die einstweilige Unterbringung erforderlich machen.
-- Editiert von User am 11. Juni 2023 17:06
ZitatEs wäre jedenfalls merkwürdig, wenn die "Androhung" gegenüber einem Therapeuten strafbar wäre und sogar den § 63 StGB rechtfertigte,... :
Ich hab es schon geschrieben glaub ich, aber die Anlasstat kann die nichtigste im Zustand der aufgehoben oder verminderten Schuldfähigkeit begangene Tat sein.
Deshalb ist ein "sogar den § 63 StGB rechtfertigte" total neben der Sache. JEDE Tat, kann die Prüfung des § 63 StGB rechtfertigten.
Erst im Rahmen der Prüfung kommt es auf die "Schwere" der zu erwartenden Straftaten an.
ZitatHier ein ähnlicher Fall, bei dem die Handlung aber umgesetzt wurde. :
https://www.kanzlei-hoenig.de/2015/strafbarer-sprung-vor-die-muenchener-s-bahn/?newpage=request
Der ist absolut nicht vergleichbar, weil die Frau zu Schmerzensgeld verurteilt wurde, weil sie gerade nicht nachweisen konnte, dass sie zum Zeitpunkt des Suizidversuchs zu krank gewesen sei, um eine freie Entscheidung zu treffen. Das hatte sie nämlich so vorgetragen und ein Attest von x Jahren vorher vorgelegt, dass sie an einer Persönlichkeitsstörung leidet. Dem Gericht reichte das aber nicht aus um diese Feststellung zu treffen.
Hätte sie das nachweisen können, wäre die Schadensersatzforderung nämlich aufgrund § 828 Abs. 3 BGB evt. abgelehnt worden.
-- Editiert von User am 11. Juni 2023 20:47
ZitatIrgendwie kann ich dem Inhalt, sofern er vollständig ist, keine neuen Erkenntnisse entnehmen, die gut sechs Wochen nach der erstmaligen Vorstellung im Krankenhaus die einstweilige Unterbringung erforderlich machen. :
Hallo,
der Anwalt hat kurz nach dem Erlass des Haftbefehls Einsicht in die Ermittlungsakte bekommen.
Daraus geht nur hervor, dass bei der Staatsanwaltschaft die Sache "in ein anderes Dezernat" eingetragen wurde und dann sofort der Antrag auf die Untersuchungshaft/Unterbringung erfolgte. Also zuerst wollte das neue Dezernat Untersuchungshaft beantragen und die Abteilungsleiterin hat es zu einer Unterbringung im Maßregelvollzug verändert. Grob wiedergegeben, was der Anwalt sagte.
Der Anwalt sagte aber auch, dass er nur Teile der Akte erhalten hätte.
Hallo,
es wurde gestern erneute Beschwerde zum Oberlandesgericht eingelegt.
Dauert laut Anwalt eine (günstigster Fall) bis etwa vier Wochen, je nach Auslastung.
Ich sage euch bescheid, was rauskommt. Danke soweit für eure rege Beteiligung!
ZitatIch sage euch bescheid, was rauskommt. :
Ja, wäre sehr nett. Würde mich interessieren was das OLG dazu meint.
Hallo, der Beschluss wurde vom OLG aufgehoben.
Weil hier nach einer Begründung gefragt wurde:
Den Tatbestand der Störung des öffentlichen Friedens erfüllt, wer eine der im Straftatenkatalog des § 126 Abs. 1 StGB aufgeführten Straftaten androht und dabei zum Ausdruck bringt, dass die Verwirklichung der angedrohten Tat in seinem Machtbereich liegt (MünchKommStGB/Schäfer § 126 Rdn. 11; S/S-Lenckner/Sternberg-Lieben § 126 Rdn. 5). Insoweit haben sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht als Beschwerdegericht zutreffend die Voraussetzungen nach Abs. 1 Nr. 7 angenommen.
Allerdings muss das Androhen jeweils zusätzlich in einer Weise erfolgen, die zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet ist. Dies hat das anordnende Gericht in beiden nicht ausreichend dargetan.
Gestört ist der öffentliche Frieden, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttert wird oder wenn potentielle Täter durch Schaffung eines ‚psychischen Klimas', in dem Taten wie die angedrohten begangen werden können, aufgehetzt werden (BGH NJW 1978, 58, 59; BGHSt 34, 329, 331). Allerdings muss eine solche Störung noch nicht eingetreten sein; jedoch muss die Handlung zumindest konkret zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet gewesen sein (BGHSt 34, 329, 331 f.). Dies ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn die entsprechende Ankündigung in der Öffentlichkeit erfolgt (MünchKommStGB/Schäfer § 126 Rdn. 31), woran es vorliegend allerdings in beiden Fällen fehlt. Eine Ankündigung gegenüber einem Einzelnen kann dann genügen, wenn nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der angekündigte Angriff einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden wird, entweder bei einer Zusendung an die Medien oder an einen nicht näher eingegrenzten Kreis von Personen, von deren Diskretion nicht auszugehen ist (BGHSt 34, 329, 332); bei einer Mitteilung an Betroffene könnte dies gelten, wenn man davon ausgehen könnte, dass diese aus Sorge um Opfer oder aus Empörung über die Drohung sich an die Öffentlichkeit wenden könnten (BGH aaO). Solches hat die Strafkammer nicht festgestellt.
Ist, wie im hier maßgeblichen Fall, Adressat der Drohung eine medizinisch-psychiatrische Einrichtung, wird im Einzelfall zwar damit zu rechnen sein, dass diese Maßnahmen zur Vermeidung der angedrohten Taten ergreift oder veranlasst, jedoch regelmäßig im Übrigen mit Diskretion vorgeht, einerseits um die Präventivmaßnahmen nicht zu gefährden (BGHSt aaO), andererseits um auch die Öffentlichkeit nicht ohne Weiteres zu beunruhigen.
Wie die Äußerung des Beschuldigten gegenüber der Fachärztin für Psychiatrie Dr. … zu Maßnahmen hätte führen können, die eine Beunruhigung in der Bevölkerung hätten haben können, haben sowohl das anordnende Gericht als auch das Beschwerdegericht nicht ausgeführt.
Vielmehr durfte der Beschuldigte davon ausgehen, dass die Schilderung seiner Gedanken der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht unterliegt und darum gerade nicht an die Öffentlichkeit gelangt.
Hinweise, die darauf schließen lassen, dass die Art und Weise der Äußerungen darauf abzielten, eine Friedensstörung herbeizuführen, lassen sich der Ermittlungsakte nach dem derzeitigen Stand nicht entnehmen.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben.
Danke für die Rückmeldung und die Urteilsbegründung.
ZitatSolches hat die Strafkammer nicht festgestellt. :
Erstmal Glückwunsch, aber das Zitierte verstehe ich nicht:
Ich dachte, es geht um eine Beschwerde gegen einen Unterbringungsbeschluss.
Warum ist denn nun auf einmal von der Strafkammer die Rede?
ZitatWarum ist denn nun auf einmal von der Strafkammer die Rede? :
Weil das OLG im Rahmen der sogenannten "weiteren Beschwerde" nicht über den ursprünglichen Beschluss entschieden hat, sondern über die Entscheidung (Beschluss) des Landgerichts (Strafkammer) über die Beschwerde gegen den ursprünglichen Beschluss. ;-)
Haftbefehle und vorläufige Unterbringungen sind die Fälle, in denen eine weitere Beschwerde gegen den LG-Beschluss zum OLG zulässig ist und nicht schon beim LG Schluss ist.
-- Editiert von User am 19. Juni 2023 20:02
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