Im Seminar für Berufskraftfahrer wurde uns ein echter Fall vorgetragen, von dem niemand wußte, wie er juristisch ausgegangen ist. Auf was würde ein Staatsanwalt anklagen?
Also: ein älterer Herr ist im Dunkeln mit seinem PKW nach Hause gefahren. Zeitgleich war auf der Straße ein Jugendlicher mit dem Fahrrad unterwegs, und zwar völlig unbeleuchtet (wohl nicht einmal Reflektoren) und auch noch dunkel gekleidet, die Straße wohl auch unbeleuchtet.
Unterstellt, der PKW-Fahrer hatte sich zu dem Zeitpunkt völlig rechtmäßig verhalten (nicht zu schnell, kein Alkohol, ect...). Hat den unbeleuchteten Radfahrer zu spät oder gar nicht wahrgenommen. Es kommt zur Kollision, der Radfahrer liegt im Straßengraben und blutet. Der PKW-Fahrer steigt aus, sieht den Verletzten im Straßengraben und flüchtet mit dem Auto. Der Verletzte soll noch viele Stunden gelebt haben, bevor er entdeckt wurde, die Verletzungen sollen eher geringfügig gewesen sein, er sei durch ausbleibende Hilfe verstorben. Der PKW-Fahrer kaut sich zu Hause die Fingernägel bis zu den Ellbogen ab. Steigt Stunden später wieder ins Auto, fährt ganz langsam an der Unfallstelle vorbei. Dabei wird er von Zeugen gesehen. Die Polizei ermittelt ihn, er kommt in Untersuchungshaft. Bemerkung des Referenten: womöglich war der PKW-Fahrer an dem Unfall nicht einmal schuld. Und selbst wenn, hätte ihm bei korrektem Verhalten NACH dem Unfall nur eine lächerlich geringe Strafe gedroht.
Das Haupt-Delikt oder sogar einzige Delikt des PKW-Fahrers begeht er also erst NACH dem Unfall, indem er dem Verletzten nicht hilft und keine Hilfe ruft. Was zum vermeidbaren Tod des Verletzten führt.
Auf was lautet dann die Anklage?
Unfallflucht, Unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge? Totschlag durch Unterlassen?
Totschlag durch Unterlassen?
14. November 2023
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Frage vom 14. November 2023 | 16:15
Von
Status: Frischling (12 Beiträge, 0x hilfreich)
Totschlag durch Unterlassen?
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#1
Antwort vom 14. November 2023 | 17:56
Von
Status: Weiser (17503 Beiträge, 9603x hilfreich)
Die Anklage lautet selbstverständlich auf Mord durch Unterlassen, weil das Mordmerkmal "Verdecken einer anderen Straftat" - nämlich der Unfallflucht - klar erfüllt ist.
Da dürfte "lebenslänglich" nur schwer zu vermeiden sein, wenn der Sachverhalt so beweisbar ist.
Schnelles Googeln hat mich aber zu keinem passenden Fall geführt, wo das Unfallopfer tatsächlich verstorben ist.
Ich habe aber einen ähnlichen Fall gefunden, wo das Opfer überlebte. Urteil: 6 Jahre Haft wegen versuchtem Mord
#2
Antwort vom 14. November 2023 | 20:04
Von
Status: Student (2085 Beiträge, 547x hilfreich)
Ich sehe es hier nicht so ganz klar:
ZitatDie Anklage lautet selbstverständlich auf Mord durch Unterlassen, weil das Mordmerkmal "Verdecken einer anderen Straftat" - nämlich der Unfallflucht - klar erfüllt ist. :
Da habe ich etwas Bauchschmerzen, denn zum Zeitpunkt, wo er sich entscheidet nicht tätig zu werden und nach Hause zu fahren, ist die Fahrerflucht noch nicht begangen. Die Verdeckungsabsicht auf das "zukünftige" Delikt zu beziehen dürfte da nicht ausreichend sein.
ZitatIch habe aber einen ähnlichen Fall gefunden, wo das Opfer überlebte. Urteil: 6 Jahre Haft wegen versuchtem Mord :
Der Unterschied zu dem Fall dürfte aber sein, dass der Täter dort eine Garantenstellung aus pflichtwidrigem Vorverhalten (= aus Ingerenz, wie z.B. Trunkenheit im Verkehr, Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit usw.) hatte. Das haben wir hier aber gerade nicht, da ja im Eingangsbeitrag angegeben wird, dass er ohne solche Beanstandungen unterwegs war. Ohne diese Garantenstellung dürfte eine Straftat durch Unterlassen nicht gegeben sein bzw. nur die "echten" wie z.B. unterlassene Hilfeleistung.
-- Editiert von User am 14. November 2023 20:07
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#3
Antwort vom 14. November 2023 | 20:25
Von
Status: Weiser (17503 Beiträge, 9603x hilfreich)
Berechtigter Einwand.
Jetzt habe ich auch den passenden Fall gefunden
BGHSt 25, 218 = 4 StR 284/73
Allerdings schon etwas angestaubt.
#4
Antwort vom 14. November 2023 | 21:01
Von
Status: Frischling (12 Beiträge, 0x hilfreich)
ZitatBGHSt 25, 218 = 4 StR 284/73: :
"Hat sich ein Kfz-Führer im Entstehungsverlauf eines Unfalls mit Verletzungsfolgen in diesem Sinn sozial missbilloigenswert - oder sogar rechtswidrig - verhalten, kann sich hieraus gegenüber dem verletzten Opfer eine Pflicht zum Handeln ergeben,sodass eine Bestrafung wegen Versuchs eines Untérlassungsdelikts aus Garantenstellung aus vorausgegangenem gefährlichen Tun in Betracht kommt."
Hä? Das würde ja heißen, dass keine allgemeine Pflicht zur Hilfeleistung besteht. Ich war mir bis jetzt sicher: selbst ein völlig Unbeteiligter würde ein Tötungsdelikt durch Unterlassen begehen, wenn er bewußt Hilfe verweigert und so z.B. den Tod eines zufällig entdeckten Verletzten durch Unterlassen erst ermöglicht.
#5
Antwort vom 14. November 2023 | 22:03
Von
Status: Student (2085 Beiträge, 547x hilfreich)
ZitatHä? Das würde ja heißen, dass keine allgemeine Pflicht zur Hilfeleistung besteht. :
Doch diese besteht, aber aus § 323c StGBG (unterlassene Hilfeleistung). Dieses Delikt kann jeder Begehen, egal in welchem Verhältnis er zu dem anderen Beteiligten steht.
Ein sogenanntes "unechtes" Unterlassendelikt (§ 13 StG), wie z.B. Mord durch Unterlassen wäre, dafür benötigt man eine sogenannte Garantenstellung, die sich aus verschiedenen Dingen ergeben kann, zum Beispiel auch aus einem pflichtwidrigen Vorverhalten, indem man "die Gefahr" selbst herbeigeführt hat. Ohne die Garantenstellung aber, kann man diese "unechten" Unterlassensdelikte nicht begehen.
Für nähere Informationen "Google" oder "Binge" oder welche Suchmaschine du magst, mal nach "unechtes Unterlassensdelikt" oder "Garantenstellung".
Hatte ich ja oben schon geschrieben. ;-)
#6
Antwort vom 14. November 2023 | 23:01
Von
Status: Frischling (12 Beiträge, 0x hilfreich)
ZitatEin sogenanntes "unechtes" Unterlassendelikt (§ 13 StG), wie z.B. Mord durch Unterlassen wäre, dafür benötigt man eine sogenannte Garantenstellung, die sich aus verschiedenen Dingen ergeben kann, zum Beispiel auch aus einem pflichtwidrigen Vorverhalten, indem man "die Gefahr" selbst herbeigeführt hat. Ohne die Garantenstellung aber, kann man diese "unechten" Unterlassensdelikte nicht begehen. :
Es wird immer verwirrter.
Also angenommen, der PKW-Fahrer aus meinem Fall war an dem Unfall wirklich in keiner Weise schuldhaft, hat daher keine Garantenstellung erwirkt und kann daher nicht wegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen angeklagt werden, sondern nur wegen Unterlassener Hilfeleistung?
#7
Antwort vom 14. November 2023 | 23:36
Von
Status: Weiser (17503 Beiträge, 9603x hilfreich)
Zitatsondern nur wegen Unterlassener Hilfeleistung? :
Nein - der §221 StGB ist auch noch da.
Auf den hat der BGH im Fall von 1973 nämlich auch entschieden (zusätzlich zur unterlassenen Hilfeleistung).
Es gibt übrigens noch einen ähnlichen Fall, der es zum BGH geschafft hat, nämlich 4 StR 150/86.
Da hat der BGH die Anforderungen an die Garantenstellung schon deutlich abgesenkt: Für eine Verurteilung wegen eines Tötungsdeliktes kann es schon reichen, wenn der verursachende Autofahrer zwar nicht "Schuld" ist, aber sich nicht völlig korrekt verhalten hat.
Im Fall von 1986 war der Autofahrer zu schnell, aber die Geschwindigkeitsüberschreitung hat den Unfall nicht ausgelöst. Trotzdem sah der BGH die Voraussetzungen einer Garantenstellung erfüllt.
Die Frage, wie der BGH wohl heute (50 Jahre nach 1973 und 37 Jahre nach 1986) entscheiden würde, wird man stellen müssen.
#8
Antwort vom 15. November 2023 | 00:05
Von
Status: Student (2085 Beiträge, 547x hilfreich)
ZitatDa hat der BGH die Anforderungen an die Garantenstellung schon deutlich abgesenkt: Für eine Verurteilung wegen eines Tötungsdeliktes kann es schon reichen, wenn der verursachende Autofahrer zwar nicht "Schuld" ist, aber sich nicht völlig korrekt verhalten hat. :
Was anderes habe ich oben auch nicht geschrieben. ;-)
"...dies gelte jedoch nur solange, wie das Fahrzeug in jeder Hinsicht verkehrsgerecht gehandhabt werde (a.a.O. S. 221). Nur solange der Fahrer ordnungsgemäß gefahren sei und auch nicht gegen sonstige, dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer dienende Regeln verstoßen habe, in seinem Gesamtverhalten bis zum Unfall also nichts von der Allgemeinheit mißbilligt werden könnte, könne von einem sozial üblichen Verhalten gesprochen werden..."
ZitatNein - der §221 StGB ist auch noch da. :
Da ist halt die Frage, ob § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB ein "unechtes" Unterlassensdelikt ist, womit man wieder beim § 13 StGB landen würde und man eine Garantenstellung benötigen würde. :D
§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein echtes Unterlassensdelikt, aber das kann hier nicht zutreffen.
Das "Problem" sehe ich hier, dass man ihn zwar durch den Unfall (unverschuldet) in die Lage gebracht hat, aber völlig ohne Vorsatz, also auch kein bedingter Vorsatz.
Es bliebe also noch das nicht handeln, aber das wäre ja wieder ein Unterlassen.
Außer man würde das Weggehen ,als in die Lage versetzen auslegen, aber das passt ja auch nicht wirklich.
Viel zu kompliziert gerade für Nichtjuristen bzw. mich.
ZitatAlso angenommen, der PKW-Fahrer aus meinem Fall war an dem Unfall wirklich in keiner Weise schuldhaft, hat daher keine Garantenstellung erwirkt und kann daher nicht wegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen angeklagt werden, sondern nur wegen Unterlassener Hilfeleistung? :
Theoretisch sollte es auf unterlassende Hilfeleistung in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort hinauslaufen. Ggffls. käme aber noch der § 221 StGB in Betracht, wie drkabo angemerkt hat. Aber das ist alles etwas kompliziert finde ich.
-- Editiert von User am 15. November 2023 00:18
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