Verwertung einer Zeugenaussage

20. März 2019 Thema abonnieren
 Von 
AlterHase
Status:
Frischling
(31 Beiträge, 2x hilfreich)
Verwertung einer Zeugenaussage

Hallo zusammen,

ein Zeuge sagt bei der Polizei im Rahmen eines Strafverfahrens etwas aus, leider unvollständig und somit zu meinen Lasten. Eine vollständige Aussage hätte eine ganz andere Bewertung gehabt.

Strafverfahren (Gericht): Zeuge sagt unter Eid (!) aus, er könne sich an nichts mehr erinnern. Wohl aus Angst vor dem angeblichen Opfer, da die Aussage auch ihn belastet hätte. Nunja, ich wurde leider trotz dieser Aussage verurteilt. Das fand ich äußerst ungerecht, da man bei der Polizei praktisch ohne Konsequenzen lügen darf (abgesehen von dem Tatbestand der falschen Verdächtigung).

Meines Rechtsempfindens gehört zur Wahrheit auch die VOLLSTÄNDIGE Aussage und nicht das, was nur eine Seite belastet.

Nun Zivilverfahren und eigentliche Frage: Zeuge schreibt Brief, in dem steht, er könne sich an nichts erinnern und hätte bereits im Strafverfahren unter Eid ausgesagt, sich an nichts mehr erinnern zu können. Der Klägervertreter beruft sich auf BGH, 09.06.1992 - VI ZR 215/91 . Da würde stehen, man könne die Niederschrift im Strafverfahren verwerten. Ich lese aber, dass es unzulässig ist???

Mein Problem ist: Die Aussage bei der Polizei ist unvollständig und belastet nur mich. Gerade, weil ich darauf bestanden habe, VOLLSTÄNDIG auszusagen, hat er wohl aus Angst nichts ausgesagt. Wie gesagt, dann wäre auch der jetzige Kläger im Zivilverfahren auch belastet worden.

Kann man sich nun rein auf die unvollständige Aussage bei der Polizei berufen? Die eidliche Aussage mit "Ich weiß nichts mehr" belastet niemanden und damit eigentlich ein Pluspunkt für mich?! Die Gegenseite möchte nicht aus seine Aussage vor Gericht verzichten. Wenn der Zeuge nun die ganze Wahrheit sagt und nichts weglässt, wäre es eher zu meinem Vorteil.

Ich möchte auf keinen Fall, dass die Aussage bei der Polizei als Ersatz für eine Zeugenaussage vor Gericht angenommen wird. Sollte der Zeuge doch "gezwungen" werden auszusagen, gehe ich davon aus, dass es wieder unter Eid mit "Ich kann mich nicht erinnern" beantwortet wird.

Danke für Eure Einschätzung. Bitte in Laiensprache!

Fragen zu Ihrem Verfahren?

Fragen zu Ihrem Verfahren?

Ein erfahrener Anwalt gibt Ihnen eine vertrauliche kostenlose Einschätzung!
Ein erfahrener Anwalt gibt Ihnen eine vertrauliche kostenlose Einschätzung!
Kostenlose Einschätzung starten Kostenlose Einschätzung starten



4 Antworten
Sortierung:
#1
 Von 
BigiBigiBigi
Status:
Junior-Partner
(5398 Beiträge, 1814x hilfreich)

Zitat:
da man bei der Polizei praktisch ohne Konsequenzen lügen darf (abgesehen von dem Tatbestand der falschen Verdächtigung)


Nein, das darf man nur als *Angeklagter* (bzw. Beschuldigter). Als Zeuge nicht.

Ich verstehe auch das Problem nicht. Wenn der Zeuge sich entschieden hat, unvollständig auszusagen, kann man ihm das ohne weitere Zeugen nicht beweisen. Insbesondere kann man ihn nicht objektiv korrekt zu einer nach deiner Lesart "vollständigen" Aussage zwingen (es gibt bei uns weder Folter noch Lügendetektor-Tests). Ergo kommt für dich doch in beiden Fällen (unvollständige Aussage wird verwertet, Zeuge behauptet Erinnerungslücken) das gleiche heraus, oder nicht?

Zitat:
leider unvollständig und somit zu meinen Lasten


Wie muß man sich das vorstellen? "Ja, der A hat den B geschlagen" anstelle von "... zur Verteidigung gegen B's Angriff"?

Zitat:
Der Klägervertreter beruft sich auf BGH, 09.06.1992 - VI ZR 215/91 . Da würde stehen, man könne die Niederschrift im Strafverfahren verwerten. Ich lese aber, dass es unzulässig ist???


Man muß es schon im Zusammenhang verstehen. Grundsätzlich, so der BGH:

"die Niederschrift der in einem Strafverfahren protokollierten Zeugenaussagen kann im Wege des Urkundenbeweises in den Zivilprozeß eingeführt werden"

Sobald aber der Zeuge selbst als solcher vernommen wird, ist das nicht mehr zulässig:

"Jedoch berührt die Möglichkeit des Urkundenbeweises nicht das Recht der Parteien, die unmittelbare Anhörung der Zeugen im anhängigen Rechtsstreit zu beantragen (vgl. BGHZ 7, 116 , 121).
Macht eine der Parteien von diesem Recht Gebrauch, so ist die Verwertung einer im Strafverfahren protokollierten Aussage im Wege des Urkundenbeweises an Stelle der beantragten Anhörung der Zeugen unzulässig
"

Der Unterschied wird dann relevant, wenn die Zeugen nicht befragt werden können (weil sie tot oder unbekannt verzogen sind) oder keine Partei eine Vernehmung der Zeugen beantragt.

In deinem Fall hast du recht; wenn du die Vernehmung des Zeugen beantragst, ist eine Verwertung der Aussage im Strafverfahren unzulässig.

-- Editiert von BigiBigiBigi am 21.03.2019 13:33

0x Hilfreiche Antwort

#2
 Von 
AlterHase
Status:
Frischling
(31 Beiträge, 2x hilfreich)

Hier ein Beispiel:
unvollständig: A schlägt B laut Zeugenaussage. Also ist A schuld und wird verurteilt.

vollständig: A schlägt B, weil B mit Messer angreift. Hier dürfte sich A wohl auf Notwehr berufen dürfen, denn keiner muss wohl hinnehmen, sterben zu müssen.

Der Unterschied ist gravierend.


Ich habe das Anwaltsschreiben so verstanden, dass die Niederschrift aus dem Strafverfahren verwertet werden soll. Und gerade das ist doch laut BGH, 09.06.1992 - VI ZR 215/91 NICHT zulässig? Auch unklar, ob damit nur die gerichtliche Niederschrift oder auch die Aussage bei der Polizei gemeint ist.


Wie kommst du drauf, dass man als Zeuge bei der Polizei nicht lügen darf? Ja, Wahrheitspflicht und so ist klar. Aber es gibt keinerlei Konsequenzen (außer ggf. falsche Verdächtigung, aber trifft in meinem Fall jetzt nicht zu). Es gibt strafrechtlich nur die uneidliche und eidliche Falschaussage vor Gericht.

Deswegen ist mir völlig unklar, warum die Aussage bei der Polizei mehr Gewicht hatte als die eidliche Aussage im Strafprozess mit "Ich weiß nichts mehr". Ich bereue es, dass ich nicht in Berufung gegangen bin, aber die Umstände waren extrem ******* für mich.

0x Hilfreiche Antwort

#3
 Von 
BigiBigiBigi
Status:
Junior-Partner
(5398 Beiträge, 1814x hilfreich)

Zitat (von AlterHase):
Der Unterschied ist gravierend.


Dann ist die Zeugenaussage aber nicht unvollständig, sie ist bewußt falsch. Denn etwas so relevantes kann man ja nicht einfach "vergessen". D.h. du hast es mit einem bewußt lügenden Zeugen zu tun. Ganz anderes Kaliber als ein unzuverlässiger.

Zitat:
Und gerade das ist doch laut BGH, 09.06.1992 - VI ZR 215/91 NICHT zulässig?


Wahrscheinlich geht die Gegenseite davon aus, daß du den Zeugen nicht hören lassen willst. Aber selbst wenn nicht, rein formal wird sie natürlich versuchen, die für sie günstige Version in den Prozeß einzubringen.
Dazu sollte dir dein Anwalt aber Näheres sagen können.

Zitat:
Wie kommst du drauf, dass man als Zeuge bei der Polizei nicht lügen darf?


Ich war vielleicht etwas zu allgemein. In deinem Fall kommt ja auf Seiten des Zeugen zumindest (versuchte) Strafvereitelung in Betracht. Das ist bei einer wissentlich falschen Aussage zugunsten des Täters durchaus gegeben, da die Polizei dann durchaus die Ermittlungen einstellen könnte (oder sich erst mal auf einen anderen Tatverdächtigen konzentriert usw.).

0x Hilfreiche Antwort

#4
 Von 
wirdwerden
Status:
Unbeschreiblich
(38468 Beiträge, 14009x hilfreich)

Ich denke, man sollte hier Strafrecht und strafrechtliche Bewertung eines Falls nicht mit der zivilrechtlichen Seite vermischen. Das tut nie gut. Zunächst zum Zivilrecht: es bleibt dem Zivilgericht unbenommen, die Strafakte beizuziehen. Es bleibt dem Gericht auch unbenommen, diesen Urkundsbeweis abschließend eben als zulässiges Beweismittel zu bewerten. Die einzige Frage, die sich stellt, die ist, ob dieser Urkundsbeweis eine erneute Zeugenaussage ersetzt, wenn denn der Zeuge zur Verfügung steht UND dieser Beweis auch angeboten worden ist. Und das ist eben eine Einzelfallentscheidung. Nach dieser Entscheidung greifen dann die allgmeinen zivilrechtlichen Regelungen. Also, wer ist beweispflichtig, ist der Beweis erbracht worden, wie ist das Nichterbringen zu bewerten, zu wessen Lasten geht es.

Zur Aussage, man könne bei der Polizei ungestraft lügen. Neben dem Hinweis meines Vorschreibers auf Strafvereitelung, es gibt auch den Straftatbestand der falschen Verdächtigung, und viele andere mehr, je nach Fallgestaltung. Aber, in diesem Fall hier kommt es ja darauf nicht an.

wirdwerden

0x Hilfreiche Antwort

Und jetzt?

Für jeden die richtige Beratung, immer gleich gut.
Schon 268.106 Beratungen
Anwalt online fragen
Ab 30
Rechtssichere Antwort in durchschnittlich 2 Stunden
108.309 Bewertungen
  • Keine Terminabsprache
  • Antwort vom Anwalt
  • Rückfragen möglich
  • Serviceorientierter Support
Anwalt vor Ort
Persönlichen Anwalt kontaktieren. In der Nähe oder bundesweit.
  • Kompetenz und serviceoriente Anwaltsuche
  • mit Empfehlung
  • Direkt beauftragen oder unverbindlich anfragen
Alle Preise inkl. MwSt. zzgl. 5€ Einstellgebühr pro Frage.

Jetzt Anwalt dazuholen.

Für 60€ beurteilt einer unserer Partneranwälte diese Sache.

  • Antwort vom Anwalt
  • Innerhalb 24 Stunden
  • Nicht zufrieden? Geld zurück!
  • Top Bewertungen
Ja, jetzt Anwalt dazuholen