Anhörung als Kündigungsvoraussetzung im Kleinbetrieb?

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Abweichung des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Für die Rechtsberatung ist bekanntlich immer ausschlaggebend, was die Gerichte sagen. Wenn möglich sucht man nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines sonstigen Obergerichtes. Manchmal gibt es aber auch Entscheidungen einfacher Arbeitsgerichte, die man im Hinterkopf behalten sollte. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 17.03.2010, AZ 2 Ca 319/10 gehört hierzu. Denn dieses vertritt gut und ausführlich begründet eine von der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts abweichende Rechtsauffassung, die – wenn sie sich durchsetzen würde – einer Revolution gleichkäme.

Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen nahm nämlich an, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers in betriebsratslosen Betrieben formell unwirksam ist, wenn der Arbeitnehmer vorher nicht angehört wurde. Eine solche Anhörung ist nach der insoweit abweichenden Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nur bei Verdachtskündigungen erforderlich, bei der die Kündigung also nur auf den Verdacht einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten gestützt wird, meist bei einer Straftat.

Elke Scheibeler
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Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen geht jedoch davon aus, dass in Betrieben, in denen kein Betriebsrat existiert, der vor Ausspruch der Kündigung angehört werden könnte, der Arbeitgeber aufgrund der verfassungskonformen Auslegung des § 242 BGB (Treu und Glauben) in Verbindung mit Art. 1 GG (Menschenwürde), Art. 2 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit) und Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit) und dem arbeitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet ist, den Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung anzuhören. Der Arbeitnehmer müsse die Möglichkeit haben, seine Sicht der Lage zu schildern und Gegenvorstellungen zur Kündigung zu machen, um die Kündigung ggf. noch zu verhindern. Nachträglich sei dies nur schwer möglich.

Weiter begründete das Arbeitsgericht Gelsenkirchen seine Ansicht mit § 82 BetrVG, der ein Anhörungs- und Erörterungsrecht des Arbeitnehmers in seine Person betreffenden betrieblichen Angelegenheiten regelt.

Ähnlich hatten bereits schon das Arbeitsgericht Gelsenkirchen am 26.06.1998, 3 Ca 3473/97 am 13.11.1998, 3 Ca 2219/08, am 18.01.2007, 5 Ca 1689/06  und das Arbeitsgericht Dortmund am 30.10.2008 2 Ca 2492/08 entschieden. Es mag sein, dass die aktuelle Entscheidung des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen auch von den besonderen Daten des Falls beeinflusst war: Es handelte sich um eine Rechtsanwaltsfachangestellte, die nach fast vierzig Jahren Tätigkeit gekündigt wurde. Das Kündigungsschutzgesetz fand auf ihren Fall keine Anwendung. Das Gericht wird sicher auch die jahrzehntelange Betriebszugehörigkeit bedacht und es daher in diesem Einzelfall für notwendig erachtet haben, dass der Arbeitgeber die Kündigungsentscheidung persönlich bespricht. Gleichwohl bezieht sich sein Urteil auf alle Kündigung in betriebsratslosen Betrieben ohne Einschränkungen.

Wenn sich diese Auffassung durchsetzen würde, wäre jede Kündigung, die ohne vorherige Anhörung ausgesprochen wurde, bereits aus diesem Grund unwirksam. Da es sich bei den genannten Urteilen um Einzelentscheidungen einiger Untergerichte handelt, die von der herrschenden Auffassung abweichen, hat eine Kündigungsschutzklage nur mit dem Argument der fehlenden Anhörung wenig Aussicht auf Erfolg, und dies sogar in den Arbeitsgerichtsbezirken Gelsenkirchen und Dortmund, da die jeweiligen Kammern nicht an die Entscheidungen ihrer Kollegen gebunden sind. Als Zusatzargument zu anderen Unwirksamkeitsgründen lässt sich diese Argumentation aber auf jeden Fall hören.

Dr. Elke Scheibeler
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