BAG zur Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer

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Kenntnis vom Antrag beim Integrationsamt ausreichend

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden (BAG, Urteil vom 09.06.2011, Az: 2 AZR 703/09), dass in Fällen, in denen ein Arbeitgeber schon allein von einem Antrag des Arbeitnehmers auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft weiß, der Arbeitnehmer den besonderen Kündigungsschutz bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz geltend machen kann.

Im entschiedenen Fall hatte ein Arbeitnehmer Anfang Januar 2007 rückwirkend ab September 2006 die Feststellung einer Schwerbehinderung beantragt. Ende März 2007 wurde dann erst die Schwerbehinderung durch das Versorgungsamt entsprechend festgestellt. Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer zunächst schon im Februar 2007 das erste Mal betriebsbedingt gekündigt, wogegen der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhob und von seinem Anwalt dann erst im Laufe dieses Prozesses Anfang März 2007 noch vor Feststellung der Schwerbehinderung dem Arbeitgeber mitteilen ließ, dass ein entsprechender Feststellungsantrag beim Versorgungsamt gestellt wurde. Im Rahmen der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht einigten sich die Parteien sodann Mitte April 2007 zwar zunächst wie üblich auf einen Widerrufsvergleich nebst ratenweiser Abfindung hinsichtlich dieser ersten Kündigung, jedoch nahm der Arbeitnehmer die zugrunde liegende Kündigungsschutzklage im weiteren Verlauf wieder zurück. Weil der Arbeitnehmer aber zwischenzeitlich den Arbeitgeber noch aufgefordert hatte, die ursprünglich vereinbarte Abfindung sofort in einer Summe auszuzahlen, hatte der Arbeitgeber dieses Verhalten als versuchte Nötigung angesehen und daraufhin neben der Stellung einer Strafanzeige das Arbeitsverhältnis Anfang Mai 2007 nochmals – nunmehr fristlos – erneut gekündigt, allerdings ohne Zustimmung des Integrationsamtes. Gegen diese fristlose Kündigung legte der Arbeitnehmer eine weitere Kündigungsschutzklage ein, welcher dieser in erster Linie mit der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes und dem Umstand, dass er den Arbeitgeber schon Anfang März 2007 vom Antragsverfahren zur Erlangung der Schwerbehinderung in Kenntnis setzen ließ, begründete.

Das erstinstanzliche Arbeitsgericht gab der Klage des Arbeitnehmers zunächst statt, auch dass daraufhin angerufene Landesarbeitsgericht wies die hiergegen eingelegte Berufung des Arbeitgebers zurück. Der Arbeitgeber, welcher sich im Wesentlichen darauf berufen hatte, dass er von der Feststellung der Schwerbehinderung seitens des Intergrationsamtes noch keine positive Kenntnis gehabt hatte und er daher nicht dessen Zustimmung bedurft hätte, legte sodann Revision beim Bundesarbeitsgericht ein. Das BAG hat jedoch die Urteile der Vorinstanzen bestätigt und somit ebenfalls dem Arbeitnehmer Recht gegeben.

Das Bundesarbeitsgericht vertrat hierbei zugunsten des Arbeitnehmers die Ansicht, dass die Kündigung im hier entschiedenen Fall unwirksam war, weil eine solche der Zustimmung des Integrationsamts bedurft hätte, da dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der streitgegenständlichen zweiten Kündigung bereits ein Sonderkündigungsschutz zustand, so dass sich der Arbeitnehmer gemäß § 6 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf diesen Unwirksamkeitsgrund berufen durfte. Das BAG hat insoweit nochmals detailliert die Voraussetzungen für diesen Sonderkündigungsschutz im Einzelnen wie folgt erläutert:

Der besondere Kündigungsschutz wegen einer Schwerbehinderung setzt grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderung bereits anerkannt ist oder aber die Stellung des Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung mindestens drei Wochen zurückliegt, wobei ein Arbeitnehmer zur Erlangung des Sonderkündigungsschutzes innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung auf seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch hinweisen muss. Diese dreiwöchige Frist rechtfertigt sich nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes aus Vertrauensschutzgründen, so dasss sich auch ein Arbeitgeber nach Treu und Glauben im Grunde auf Verwirkung berufen kann, sofern der Arbeitnehmer wie im vorliegenden Fall diese Mitteilung ihm gegenüber nicht fristgerecht vornimmt. Ohne Kenntnis von der Schwerbehinderung habe der Arbeitgeber zwar grundsätzlich keinen Anlass, die Zustimmung durch das Integrationsamt zur Kündigung einzuholen, dies gilt jedoch nur dann, soweit der Arbeitgeber tatsächlich schutzbedürftig sei. Dieses Schutzbedürfnis des Arbeitgebers entfällt aber in solchen Fällen wenn dieser entweder von der Schwerbehinderung oder aber auch schon von dem entsprechenden Antrag des Arbeitnehmers vor einem Ausspruch der Kündigung Kenntnis hatte und aus diesem Grund mit dem Zustimmungserfordernis zumindest rechnen musste.

Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen hatte auch das BAG im hier entschiedenen Fall dem Arbeitgeber dessen Schutzbedürftigkeit abgesprochen und den Hinweis des Arbeitnehmer Anfang März 2007 auf die lediglich erfolgte Antragstellung beim Versorgungsamt als ausreichend erachtet. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes hätte der Arbeitgeber auf dieser Grundlage zumindest rein vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung beantragen müssen. Denn soweit die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers im Kündigungszeitpunkt für den Arbeitgeber noch nicht feststeht, sondern nur ein entsprechender Antrag vorliegt, kommt es für das Bestehen des Sonderkündigungsschutzes lediglich noch darauf an, dass der Arbeitnehmer den Antrag so frühzeitig gestellt hat, dass eine Entscheidung zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung binnen der Dreiwochenfrist zumindest möglich gewesen wäre.