Kann Zigarettendiebstahl eine Kündigung des Arbeitsplatzes bei verdeckter Videoüberwachung begründen?

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Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner aktuellen Entscheidung vom 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11 die Grenzen einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz aufgezeigt.

Mit dem noch nicht veröffentlichten Urteil haben die  Erfurter Richter das Recht der Arbeitnehmer auf "informationellen Selbstbestimmung" gestärkt.

So heißt es in der amtlichen Pressemitteilung Nr. 49/12  hierzu wie folgt:  

"Führte eine verdeckte Videoüberwachung zur Überführung der Täterin, kann das auf diese Weise gewonnene Beweismaterial im Bestreitensfall prozessual allerdings nicht ohne Weiteres verwertet werden. Das entsprechende Interesse des Arbeitgebers hat gegenüber dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Arbeitnehmerin nur dann höheres Gewicht, wenn die Art der Informationsbeschaffung trotz der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist. Dies ist bei verdeckter Videoüberwachung nur dann der Fall, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers bestand, es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gab und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war. Unter diesen strengen Voraussetzungen wiederum stehen Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) der verdeckten Videoüberwachung auch an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen nicht entgegen. Zwar bestimmt § 6b Abs. 2 BDSG, dass bei Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle erkennbar zu machen sind. Bei einem Verstoß gegen diese Pflicht wird aber nicht jedwede Videoüberwachungsmaßnahme an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen per se unzulässig.. ."

Die Entscheidung ist zu begrüßen, da sie die Grenzen verdeckter Videoüberwachung am Arbeitsplatz aufzeigt. Dem Urteil des  Bundesarbeitsgerichts lag die Kündigungsschutzklage einer stellvertretenden Filialleiterin vor dem Landesarbeitsgericht Köln zu Grunde.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln - Urteil vom 18.11.2010, Az. : 6 Sa 817/10.

Der stellvertretenden Filialleiterin wurde fristlos gekündigt, nachdem sie in einer Filiale in Kerpen  abends nach 20:00 Uhr an den Kassen aufgeräumt hatte und dabei Zigaretten in ihrer Bluse verstaute. Die Verkäuferin konnte mit Hilfe verdeckter Videoüberwachung überführt werden. Vor dem Arbeitsgericht stritten die Parteien über die Wirksamkeit der ausgesprochenen fristlosen Kündigung, die hilfsweise auch fristgerecht zum nächst zulässigen Termin ausgesprochen wurde.

Bedenken des Landesarbeitsgerichts Köln hinsichtlich verdeckter Videoüberwachung

Auch das Landesarbeitsgericht Köln hatte hinsichtlich der Verwertung heimlicher Videoaufnahmen von öffentlich zugänglichen Räumen (hier: Kassenbereich eines Supermarkts) Bedenken. Gelangte jedoch im Kündigungsschutzprozess in verfassungskonformer Einschränkung des § 6 b Abs. 2 BDSG zur Überzeugung, dass sich die Arbeitgeberin quasi in einer "notwehrähnlichen Lage" befand  und deshalb die heimliche Videoüberwachung nicht unverhältnismäßig gewesen sei. In ihrer Entscheidung führten die  Kölner Richter an, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten zwar  rechtsunwirksam sei. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung habe jedoch das Arbeitsverhältnis  beendet.

Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung

Für die außerordentliche fristlose Kündigung der stellvertretenden Filialleiterin fehlte es nach Auffassung des Landesarbeitsgericht Köln an einem wichtigen Grund. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zwar lag nach dem festgestellten Sachverhalt "an sich" ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Aus den überreichten Videosequenzen mit den Aufnahmen ergab sich auch für das Berufungsgericht unzweifelhaft, dass die Klägerin sich jeweils zumindest eine Zigarettenpackung aus dem Warenbestand der Beklagten angeeignet hatte. Mit ihrem vorsätzlichen Fehlverhalten hatte die Arbeitnehmerin nach Überzeugung des Gerichts eine "erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung begangen. Die fristlose Kündigung befand das Landesarbeitsgericht Köln nach Abwägung der widerstreitenden Interessen dennoch für nicht gerechtfertigt. Als Reaktion des Arbeitgebers reiche auf das Fehlverhalten der Mitarbeiterin nämlich auch  die hilfsweise erklärte fristgerechte Kündigung aus. Die Richter betonten, dass bei der Interessenabwägung  zugunsten der Mitarbeiterin ins Gewicht fiel, dass sie rund 18 Jahre lang durch eine beanstandungsfrei Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin Loyalität zur Beklagten gezeigt hatte. Dies und der Umstand, dass ihr Fehlverhalten einen relativ geringen wirtschaftlichen Schaden verursacht hatte, ließen die fristlose Kündigung als in der Sanktionsskala übermäßige Reaktion erscheinen.

Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung

Zu den Videoaufnahmen merkten die Kölner Richter an, dass dieser Eingriff dann nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ausgeschöpft sind, die verdeckte Video-Überwachung praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt und insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (vgl. BAG vom 27.03.2003 – 2 AZR 51/02). Diese Voraussetzungen hielt das Landesarbeitsgericht im Streitfall gegeben, zumal  der Betriebsrat der Durchführung der verdeckten Videoüberwachung für die Dauer von 4 Wochen unter bestimmten Auflagen zugestimmt hatte. Unter anderem durfte nämlich  den Mitarbeitern durch die Aufzeichnungen, sofern kein strafrechtlich verwertbares Material vorliege, keine Repressalien drohen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts - Urteil vom 21. Juni 2012 - 2 AZR 153/11

Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Sache nun zur weiteren Aufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Nach Überzeugung des Bundesarbeitsgerichts steht nämlich im konkreten Fall noch nicht fest, ob die Voraussetzungen für eine prozessuale Verwertung der Videoaufzeichnungen überhaupt gegeben waren.

Zusammenfassung und Ausblick

Das Kündigungsschutzgesetz ist ein scharfes Schwert zugunsten der Arbeitnehmer. Im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) genießt jeder Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als 6 Monate bestanden hat, Kündigungsschutz.

Kündigung ist dabei nicht gleich Kündigung

Es wird zwischen ordentlicher (fristgemäße) und außerordentlicher(fristlose) Kündigung unterschieden. Eine außerordentliche Kündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn dem Arbeitgeber das Abwarten der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zum Beispiel, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber bestohlen oder sonst in schwerwiegender Weise seine Pflichten verletzt hat. Führte eine verdeckte Videoüberwachung zur Überführung des Täters, so kann das auf diese Weise gewonnene Beweismaterial im Bestreitensfall prozessual allerdings nur in den vom Bundesarbeitsgericht vorgegebenen engen Grenzen verwertet werden.

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