Kündigung in Folge von Kurzzeiterkrankungen?

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In der arbeitsrechtlichen Praxis ist die krankheitsbedingte Kündigung der relevanteste Fall der personenbedingten Kündigung. Eine Faustregel oder starre Voraussetzungen, wann eine Kündigung infolge einer Krankheit zulässig ist, gibt es jedoch nicht. Ob die Krankheit eine Kündigung rechtfertigt, muss daher für jeden Fall gesondert festgestellt werden. Das Bundesarbeitsgericht gibt dem Rechtsanwender jedoch - zum Glück - Kriterien an die Hand (sog. 3 Stufen-Lehre), um dies beurteilen zu können. Diese 3-Stufen-Lehre wird durchgeführt, wenn das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet und demnach dann, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens 6 Monate besteht (vgl. § 1 Abs. 1 KSchG) und regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sind (für Arbeitsverträge die vor dem 31.12.2003 geschlossen wurde, genügen mehr als 5 Arbeitnehmer vgl. § 23 Abs. 1 S. 2,3 KSchG).

I. Maßgebliche Kriterien

Die Kündigung kann nicht wegen der bereits eingetreten krankheitsbedingten Fehlzeiten ausgesprochen werden. Vielmehr muss auf der ersten Stufe geprüft werden, ob im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung eine Prognose besteht, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft häufig krank sein wird (BAG 9.4.1987, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 18). Nach dem Zugang der Kündigung eingetretene Umstände sind dabei irrelevant. Auf der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob aus der negativen Gesundheitsprognose betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt werden. Auf der letzten Stufe ist zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall Gründe gegen die Kündigung sprechen.

1. Negative Gesundheitsprognose (1 Stufe)

Eine negative Gesundheitsprognose liegt bei häufigen Kurzzeiterkrankungen bereits dann vor, wenn der Arbeitgeber aufgrund von bereits feststehenden Tatsachen davon ausgehen kann, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft vermehrt über kurze Zeiträume erkranken wird. Insoweit genügt es jedoch nicht allein, dass der Arbeitgeber pauschal und ohne vorherige Prüfung behauptet, dass der Arbeitnehmer aufgrund der bisherigen Fehlzeiten auch in Zukunft fehlen werde. Der Arbeitgeber muss vielmehr die Erkrankungen unter Angabe des jeweiligen Tages vorbringen und kontrollieren, ob jede einzelne Erkrankung auch in Zukunft auftreten kann und wird. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen. (Regelmäßig wird hier ein so genanntes „Fehlzeitengespräch“ stattfinden. Hier befragt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über die Ursachen der vielen Krankheiten. Der Arbeitnehmer ist jedoch nicht verpflichtet, Angaben über die Ursachen zu tätigen (so BeckOK ArbR/Rolfs, 59. Ed. 1.3.2021, KSchG § 1 Rn.167, 168)).

Liegen viele Kurzzeiterkrankungen vor, so spricht vieles für eine wirksame Kündigung.

Der Arbeitnehmer kann jedoch die vom Arbeitgeber aufgestellte Prognose entkräften, wenn er vorbringt, dass einzelne Krankheiten bereits ausgeheilt (BAG 7.11.2002, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40) sind (z.B. eine Sehnenscheidenentzündung wurde durch eine Operation erfolgreich behandelt) oder dass keine Wiederholungsgefahr (z.B. der Arbeitsplatz wurde im Betrieb gewechselt, sodass eine wesentlich geringere Gefahr für Unfälle besteht). Nach dem Zugang der Kündigung vorgenommene Maßnahmen (z.B. Operation zur Behebung der Krankheitsursache) kann der Arbeitnehmer jedoch nicht mehr wirksam vorbringen (BAG 29.4.1999, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 36).

2. Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen (2.Stufe)

Damit die Kündigung wirksam ausgesprochen werden kann, müssen durch die zukünftigen Erkrankungen (sog. Negative Prognose) betriebliche oder wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigt werden (BAG 16.2.1989, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 20).

a) Bereits eingetretene Störungen des Betriebsablaufes durch die Erkrankungen

Für eine Kündigung spricht es, wenn es bereits zu Störungen des Betriebsablaufes (z.B. Stillstand von Maschinen, Rückgang der Produktion wegen des Anlernens von Hilfskräften etc.) gekommen ist. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Störungen nicht durch kurzfristige Überbrückungsmaßnahmen verhindert werden können.

b) Außergewöhnlich hohe Entgeltfortzahlungskosten

Auch die Entgeltfortzahlung selbst kann einen tauglichen Kündigungsgrund darstellen, wenn die sechswöchige Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz wahrscheinlich in der Zukunft - auch - überschritten wird (sog. Erhebliche Äquivalenzstörung dazu BAG 29.7.1993, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 27).

c) Erhebliche wirtschaftliche Belastungen

Eine erhebliche wirtschaftliche Belastung ist dann anzunehmen, wenn aufgrund neuer Fehlzeiten infolge von Kurzkrankheiten mit erhöhten Mehraufwendungen des Arbeitgebers für den Einsatz von Aushilfskräften zu rechnen ist (BAG 7.11.2002, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40).

3. Interessenabwägung (3. Stufe)

Sind die ersten beiden Stufen erfüllt und kann die Arbeitnehmerin auf keinem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, hat nun eine Interessenabwägung stattzufinden. Es ist zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls vom Arbeitgeber noch hinzunehmen sind oder ein solches Ausmaß erreicht haben, dass sie ihm nicht mehr zuzumuten sind (BAG 16.2.1989, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 20).

Für die Arbeitnehmerin und gegen eine Kündigung können dabei das Alter und bestehende Unterhaltspflichten sprechen. Für den Arbeitnehmer spricht zudem, wenn die Krankheit auf die betrieblichen Tätigkeit (z.B. Lärm oder Hitze) zurückzuführen ist. Zudem spricht ein langes Arbeitsverhältnis ohne Störungen für den Arbeitnehmer. Maßgeblich ist ferner die durchschnittliche Ausfallquote im Vergleich zu den anderen Arbeitnehmern. Besteht eine hohe Ausfallquote müssen die Fehlzeiten des zu kündigenden Arbeitnehmers nochmal wesentlich höher sein. (BeckOK ArbR/Rolfs, 60. Ed. 1.6.2021, KSchG § 1 Rn. 192)

Gegen den Arbeitnehmer kann es sprechen, wenn die Entgeltfortzahlungskosten "extrem" hoch sind. Wann man von "extrem" hohen Entgeltfortzahlungskosten sprechen kann, lässt das Bundesarbeitsgericht jedoch offen (BAG 5.7.1990, AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 26).

II. Fazit

Insoweit zeigt sich daher, dass der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und der Kündigungsschutz im Arbeitsrecht bei Kurzzeiterkrankungen abschließend nur durch das Arbeitsgericht geklärt werden kann.