Massenentlassungen

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Deutsche Arbeitgeber sehen sich aufgrund eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes seit Anfang des Jahres großer Rechtsunsicherheit ausgesetzt, soweit es um beabsichtigte Massenentlassungen geht. Eine Massenentlassung bedeutet das Ausscheiden einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern aus einem Betrieb innerhalb von 30 Kalendertagen. Nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) ist der Arbeitgeber bei Betrieben mit mehr als 20 Angestellten vor einer größeren Anzahl von Entlassungen verpflichtet, zunächst ein Konsultations- und ein Anzeigeverfahren einzuleiten.

Beim Konsultationsverfahren muss der Arbeitgeber in einem ersten Schritt den Betriebsrat über die beabsichtigten Entlassungen informieren und dessen Stellungnahme einholen. In dem Anzeigeverfahren muss der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit gegenüber unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrates anzeigen, dass er innerhalb der nächsten 30 Tage eine bestimmte Zahl an Entlassungen beabsichtigt. Wann der Arbeitgeber im Einzelfall anzeigepflichtig wird, richtet sich gemäß § 17 Abs.1 KSchG nach den so genannten Schwellenwerten, also der Betriebsgröße und der Zahl der anstehenden Entlassungen. Die Anzeige bei der Behörde hat zur Folge, dass eine einmonatige Sperrfrist in Gang gesetzt wird, innerhalb derer grundsätzlich keine Entlassungen zulässig sind. Diese Frist kann allerdings durch die Agentur für Arbeit im Einzelfall verkürzt oder auf zwei Monate verlängert werden. Sinn der Sperrfrist ist es, der Behörde Gelegenheit zu geben, auf die bevorstehenden Massenentlassungen und die entsprechenden Veränderungen am Arbeitsmarkt rechtzeitig zu reagieren.

In diesem Zusammenhang stand aufgrund der jahrzehntelangen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts fest, dass der im Gesetz verwendete Begriff der „Entlassung" auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis abstellte. Folglich konnte der Arbeitgeber das Anzeigeverfahren auch noch nach ausgesprochener Kündigung einleiten.

Der Europäische Gerichtshof hat im Januar dieses Jahres unter Berufung auf die europäische Richtlinie 98/59/EG entschieden, dass der Begriff der „Entlassung" in § 17 KSchG den Zeitpunkt der Kündigungserklärung bezeichnet. Zur Begründung führte er zum einen an, dass die nationalen Gesetze in der Gemeinschaftsrechtsordnung autonom und einheitlich auszulegen seien. Ziel des Konsultationsverfahrens sei es, Kündigungen zu vermeiden oder zumindest ihre Zahl zu beschränken. Dieses Ziel ließe sich nur erreichen, wenn die Beteiligung des Betriebsrates vor ausgesprochener Kündigung erfolge. Diese einheitliche Auslegung des Begriffs „Entlassung" hat damit aber zur Folge, dass auch im Rahmen des Anzeigeverfahrens auf den Zeitpunkt vor der Kündigungserklärung abzustellen ist.

Nachdem das Bundesarbeitsgericht dem Europäischen Gerichtshof in seinem Urteil vom 24. Februar 2005 allerdings nicht gefolgt ist, sondern an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält, steht der Arbeitgeber vor einem regelrechten Dilemma. Denn die Agenturen für Arbeit haben in jüngster Zeit als Reaktion auf das europäische Urteil Verwaltungsanweisungen erlassen, in denen sie eine richtlinienkonforme Auslegung für möglich halten und auf das Erfordernis einer Entlassungsanzeige vor Ausspruch der Kündigung hinweisen. Somit ist es Aufgabe des deutschen Gesetzgebers, die europäische Entscheidung durch entsprechende Vorschriften zu verankern und für Rechtsklarheit zu sorgen. Fragt sich nur, wie lange dies angesichts der politischen Unklarheiten im Vorfeld der Bundestagswahl dauern wird.

Bis zum Erlass entsprechender Vorschriften ist dem Arbeitgeber daher zu empfehlen, seiner Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit gleich zweimal nachzukommen, nämlich einmal vor Kündigungserklärung und wiederholt vor tatsächlichem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis – frei nach dem altbewährten Motto „doppelt hält besser".

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