Mitarbeiterabwerbung in der Pflege

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I. Einleitung

Die Pflegebranche gilt allgemein als eine der grossen Wachstumsbranchen für die nächsten Jahrzehnte. Zuletzt hat auch die Altenpflegemesse 2010 in Hannover dies wieder deutlich herausgestellt. Die Pflegebedürftigkeit in der Bevölkerung nimmt stetig zu. Es wird prognostiziert, dass 2030 jeder 4. Berufstätige im Sektor der Pflege tätig sein könnte bzw. müsste, um den Bedarf an Pflegekräften zu decken. Doch genau dort scheint das Problem dieser „Wachstumsbranche" zu liegen. Der Mangel an Pflegefachkräften wird an allen Stellen des Gesundheitssektors immer sichtbarer. Oftmals für den Einzelnen wenig attraktive Arbeitsbedingungen sorgen dort, wo es diesem möglich ist, zur Flucht aus der Pflege und zur beruflichen Um- bzw. Neuorientierung. Zur Rekrutierung neuen Fachpersonals reicht es vieler Orts nicht mehr aus, eine öffentliche Stellenausschreibung vorzunehmen. Insbesondere im Bereich der ambulanten Pflege ist dies sehr deutlich zu sehen.

So entwickelt sich zwangsläufig das Erfordernis, Fachkräfte von anderen Trägern in dieser Branche abzuwerben. Für die von solchen Abwerbungstätigkeiten betroffenen Arbeitgeber kann diese Praxis sehr kostspielig und sogar existenzbedrohend werden. Insbesondere kleinere Pflegedienste, die mit einer „dünnen" Personaldecke arbeiten, können den Verlust einer oder mehrerer Fachkräfte kaum schnell genug kompensieren. Rechtlich stellt sich hier die Frage, wie solchen Mitarbeiterabwerbungen effektiv entgegengetreten werden kann.

II. Rechtliche Möglichkeiten gegen Mitarbeiterabwerbung durch Konkurrenten

Ausgangspunkt ist, dass das Abwerben fremder Mitarbeiter als Teil des freien Wettbewerbs grund-sätzlich erlaubt ist. Es ist nur dann unzulässig, wenn es entweder sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG ist, d.h. wenn zum Abwerben wettbewerbs-rechtlich unlautere Begleitumstände hinzukommen, insbesondere unlautere Mittel eingesetzt oder unlautere Zwecke verfolgt werden, der Abwerbende eine sittenwidrige Schädigung des Arbeitgebers bezweckt (§ 826 BGB) oder ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorliegt (§ 823 Abs. 1 BGB).

Nach der Rechtsprechung wird die Unzulässigkeit einer Abwerbung dann gegeben sein, wenn ein konkurrierender Pflegedienst von sich aus aktiv ein ganzes Team von Pflegekräften eines anderen Pflegedienstes abzuwerben versucht, um dadurch Patienten zu übernehmen und so den Arbeitgeber zu schädigen. In einem solchen Fall ist die Abwerbung sogar dann sittenwidrig, wenn die Arbeitnehmer in ihrer Freizeit kontaktiert werden. Ein weiterer Fall sittenwidrigen Abwerbens liegt vor, wenn der Konkurrent falsche oder herabwürdigende Äußerungen über den Arbeitgeber macht. Ebenfalls ist die Verleitung zum Vertragsbruch (z.B. Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung der Kündigungsfrist) als unzulässige Abwerbungen zu beurteilen.

Ist der Abwerbungsversuch unzulässig, kommen gegen den abwerbenden Pflegedienst sowohl Unterlassungs- als auch Schadensersatzansprüche in Betracht. Der Anspruch auf Unterlassung des wettbewerbswidrigen Handelns folgt aus § 1 UWG, wenn und soweit sich der Konkurrent durch die Abwerbung einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil verschafft hat, sowie aus §§ 823, 1004 BGB in entsprechender Anwendung. Schadensersatzansprüche können sich aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie aus § 826 BGB wegen sittenwidriger Schädigung. Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist, dass der Arbeitgeber den konkret entstandenen Schaden beweisen muss. Hierfür ist es erforderlich, so viele Fakten wie möglich zu sammeln, zu dokumentieren und zu sichern. Dies wird in der Praxis häufig erhebliche Probleme bereiten, doch ist dies letztlich der einzige Weg, um in einem etwaigen Schadensersatz- oder Unterlassungsverfahren der eigenen Beweispflicht nachzukommen.

Erfolgt die Abwerbung in unzulässiger Weise, können entsprechende Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche auch gegen die abgeworbene Pflegekraft bestehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der Kündigungsfrist von der Pflegekraft beendet wird. Der Schaden kann in der Lohndifferenz für die Dauer der regulären Kündigungsfrist liegen, die hätte eingehalten werden müssen, wenn eine andere Pflegekraft nur für einen höheren Lohn „eingekauft" werden kann. Des Weiteren stellt die unzulässige Abwerbung regelmäßig einen Grund für eine Abmahnung dar. Eine außerordentliche Kündigung ist nur in besonderen Fällen gerechtfertigt, etwa wenn die Abwerbung in sittenwidriger Weise erfolgt.

III. Rechtliche Möglichkeiten bei Abwerbungen durch eigene Mitarbeiter

Nicht unüblich ist, dass Abwerbungen durch noch beschäftigte Pflegekräfte erfolgen, um Kollegen zu einem Wechsel zu dem jeweiligen Konkurrenten zu bewegen. Bei konkreten Abwerbungsversuchen verstoßen diese Mitarbeiter gegen ihre arbeitsvertragliche Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Sie machen sich in diesem Fall ebenfalls Schadensersatzpflicht. Sofern das Arbeitsverhältnis noch besteht, kommen auch die arbeitsrechtlichen Sanktionselemente der Abmahnung und der Kündigung in Betracht.

Auf die Unzulässigkeit der Abwerbung durch eigene Pflegekräfte kann im Arbeitsvertrag mit einer entsprechenden Klausel hingewiesen werden. Eine solche Klausel hat aber lediglich informativen Charakter. Möglich ist auch eine Vertragsstrafenabrede, nach der die Pflegekraft für den Fall der Abwerbung eines anderen Arbeitnehmers zur Zahlung einer bestimmten Vertragsstrafe verpflichtet wird. Für den Pflegedienst hat eine solche Abrede den Vorteil, dass er in einem eventuellen Schadensersatzprozess nur noch den Verstoß gegen das Abwerbungsverbot und nicht mehr die konkrete Schadenshöhe beweisen muss. Vertragsstrafenabreden müssen dabei hinreichend deutlich machen, welches Verhalten wie sanktioniert werden soll. Auch die Höhe der Strafe ist angemessen zu bemessen. Die einschlägige Rechtsprechung setzt hier den jeweils einzuhaltenden Rahmen.  

IV. Schlussbemerkung

Arbeitgeber im Bereich der ambulanten Pflege, aber auch in anderen Arbeitsbereichen des Pflegesektors, können Abwerbungen von Mitarbeitern nicht gänzlich ausschliessen oder unterbinden, wenn Konkurrenzbetriebe es auf die Abwerbung bestimmter Pflegekräfte anlegen. Doch sollte Gebrauch gemacht werden von den rechtlichen Möglichkeiten in der Gestaltung der Arbeitsverhältnisse, z.B. in Form von Vertragsstrafenklauseln u.a., um sich und den eigenen Pflegedienst vor unnötigem und vor allem plötzlichem und unvorhergesehenem Fachkräfteverlust zu schützen. Neben solchen Präventionsmaßnahmen sollte zudem versucht werden, bei erfolgenden Abwerbungen eine „prozessfähige" Beweislage zu schaffen, um ggf. Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche gerichtlich durchsetzen zu können.