Amt und Richter nehmen Flüchtling neugeborene Tochter weg
Mehr zum Thema: Ausländerrecht, Diskriminierung, Rassismus, Migranten, Erziehung, KinderBundesverfassungsgericht kassiert rassistisches Urteil
In einem skandalösen Sorgerechtsstreit nehmen Jugendamt und Familiengerichte einem geduldeten Vater die neugeborene Tochter weg. Begründung: Der Ghanaer könnte das Kind afrikanisch erziehen. Auch sein Aufenthalt in Deutschland sei nicht sicher. Erst das Bundesverfassungsgericht kassiert die rassistischen Gerichtsentscheidungen.
Um ein Kind von seinen Eltern zu trennen, müssen triftige Gründe vorliegen. Entweder müssen die Eltern komplett versagen oder das Kind zu verwahrlosen drohen, das Wohl des Kindes muss nachhaltig gefährdet sein. Das ist Grundkurs Familienrecht. In einem jetzt bekanntgewordenen Sorgerechtsstreit setzten sich Jugendamt, Sachverständige und Richter aber Hand in Hand über diesen Grundsatz hinweg und nahmen einem ghanaischem Vater die Tochter weg, noch vor der Geburt!
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Erst ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom November 2014 (1 BvR 1178/14) beendete den Spuk. Der höchstrichterliche Beschluss bringt außerdem Rassismus in der Behörde und in der Justiz offen zutage und wirft die Frage auf: Hätten Jugendamt, Gutachter und Richter genauso gehandelt, wenn der Vater kein Schwarzer gewesen wäre?
Was war passiert?
Anthony (Name geändert) stammt aus Ghana und lebt seit Anfang 2012 zunächst als Asylbewerber, inzwischen geduldet in Deutschland. Mitte Februar 2013 kommt seine Tochter Yaa (Name geändert) zur Welt. Die Mutter leidet an einer gravierenden psychischen Erkrankung und hat sich von Anthony während der Schwangerschaft getrennt. Grund genug für das Jugendamt, aktiv zu werden: Unter Verweis auf die Erkrankung der Mutter und die vermeintlich nicht transparente Wohn- und Lebenssituation von Anthony als Geduldeter regt das Jugendamt kurz vor der Geburt von Yaa an, beiden Eltern das Sorgerecht zu entziehen.
Dieser Empfehlung folgen zunächst das Amtsgericht Paderborn und später das Oberlandesgericht Hamm. Beide Instanzen berufen sich in ihren Entscheidungen auf ein 5.000 Euro teures Sachverständigengutachten über die Erziehungsfähigkeit von Yaas Eltern. Und die hat es in sich:
Das "Gutachten"
Darin wird dem frischgebackenem Vater die Fähigkeit abgesprochen, "feine Signale des Kindes" zu erkennen. Neben einer Reihe weiterer diffuser Behauptungen führt die Gutachterin auch den aufenthaltsrechtlichen Status des geduldeten Vaters als Grund für eine Kindeswohlgefährdung auf. Das Kind brauche feste Strukturen im Alltag und nicht einmal der Verbleib des Vaters in Deutschland sei sicher.
Zudem sei die Einstellung des Vaters zum deutschen Rechts- und Wertesystem problematisch. Er könne kein Vorbild für das Kind sein. So scheine er nicht einmal einzusehen, dass sein Aufenthalt in Deutschland bis vor kurzem noch illegal war. Schließlich sei er Wirtschaftsflüchtling und vermittle den Eindruck, dass er "nach jedem Strohhalm" greife, um in Deutschland bleiben zu können. Nur durch die Geburt seiner Tochter habe er sich ein Bleiberecht verschafft. In diesem Zusammenhang sei auch fraglich, welche Motivation hinter seiner neuen Beziehung stünde, da die neue Partnerin über einen deutschen Pass verfüge.
Afrikanische Erziehungsmethoden
Schließlich sei problematisch, dass der Kindesvater "die afrikanischen Erziehungsmethoden deutlich höher wertet als die europäischen", heißt es in dem Gutachten. Diese seien autoritär, gewaltsam und von Unterwerfung der Kinder geprägt. "Afrikanische Verhaltensweisen" deckten sich nicht mit dem Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung. Hier seien Nachschulungen im Hinblick auf „die Einsichtsfähigkeit in die europäischen Erziehungsmethoden" erforderlich.
Beispielsweise könne Anthony seiner Tochter nicht vermitteln und vorleben, dass es "sinnvoll und erstrebenswert ist, sich eigeninitiativ um Arbeit zu bemühen, an Trainingsmaßnahmen teilzunehmen, Termine beim Sozialamt wahrzunehmen". Immerhin kenne Anthony "die Bedeutung von Arbeit und selbst erwirtschaftetem Geld". Im Ergebnis verfüge er aber "über kein pädagogisches Werkzeug im Sinne einer partnerschaftlichen oder demokratischen Erziehung."
Das Bundesverfassungsgericht
Erst das Bundesverfassungsgericht weist die offensichtliche Missachtung elementarer Grundrechte durch das Amts- und Oberlandesgericht mit ungewöhnlich klaren Worten zurück und attestieren dem Gutachten "mangelnde Neutralität". Die Sachverständige habe Äußerungen und Verhaltensweisen des Vaters ebenso wie seine Herkunft aus einem afrikanischen Land "in sachlich nicht nachvollziehbarem Maße negativ bewertet", so die Karlsruher Richter.
So unterstelle die Sachverständige dem Kindesvater unbegründet die Instrumentalisierung seiner engsten Beziehungen – zur Kindesmutter, zur Tochter und zur neuen Partnerin. Auch befänden sich im Gutachten "nicht näher begründete negative Stereotype" in Bezug auf die Kindererziehung in afrikanischen Ländern, die dem Vater lapidar zugeschrieben würden. Jedenfalls sei der Aufenthaltsstatus "ohne Bedeutung für die Frage der Erziehungsfähigkeit". Davon einmal abgesehen fehle der Sachverständigen "augenscheinlich das erforderliche juristische Fachwissen", um aufenthaltsrechtliche Fragen zu bewerten.
Die Gerichte hätten nach Überzeugung der Verfassungsrichter die Verwertbarkeit des Gutachtens zumindest anzweifeln müssen. Sie unterliege "erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln" und verfehle das gesetzliche Ziel gleich "in mehrerlei Hinsicht". Ebenso moniert das Verfassungsgericht die knappen Ausführungen beider Gerichte. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts, das ohne mündliche Verhandlung entschieden habe, sei mit 16 Zeilen jedenfalls "sehr dürftig" ausgefallen.
Anwalt: Für Ausländer gelten andere Maßstäbe
Für den Frankfurter Rechtsanwalt und Antidiskriminierungsexperten Dr. Seyed Shahram Iranbomy sind weder das Gutachten noch die Gerichtsentscheidungen des Amts- und Oberlandesgerichts überraschend. "In Deutschland herrscht die irrige Vorstellung, rassistische und diskriminierende Denkweisen könnten nur von klassischen Rassisten ausgehen", sagt er dem MiGAZIN. Das allgemeine Vertrauen in die Justiz sei sehr stark. Verbreitet sei die Annahme "des farbenblinden und vorurteilsfreien Rechtssystems". Die Realität sehe aber anders aus. "Es spricht für sich, dass das Amtsgericht in seiner Entscheidung ausgerechnet diesen Sachverständigen als "kompetente und erfahrene Gutachterin" beschreibt", so Iranbomy.
In der Justiz-Praxis würden für Ausländer nicht selten andere Maßstäbe gelten: "Deutsche sind vor Gerichten glaubwürdiger als Ausländer." Das werde auch in diesem vorliegenden Fall deutlich. "Der Vater des Kindes kann sagen, was er will, ihm wird ein Strick daraus gedreht", so der Antidiskriminierungsexperte. Außerdem zeige der Fall, wie sehr "westliche Erziehungsmethoden" von ausländischen Eltern erwartet und in rassistischer Weise "afrikanischen Erziehungsmethoden" Gewalt unterstellt werden. "Das Schlimme ist, dass schon Säuglinge Rassismuserfahrungen machen müssen durch die zwangsweise Trennung von den leiblichen Eltern. Und das nur, weil Beamten und Richtern die notwendige interkulturelle Kompetenz fehlen", sagt Iranbomy. Aus Erfahrung könne er sagen: "Ausländische Familien, die dem Vorbild der ‘deutschen Leitkultur’ nicht entsprechen, laufen immer Gefahr, auseinandergerissen zu werden."
Bedauerlich sei, dass es keine Statistik über solche Justizskandale gebe. Auch beschäftige sich die Wissenschaft nicht ausreichend mit Rassismus bei der Justiz. So könnten sich die Täter bequem hinter der "fleckenlosen Fassade" des Justizsystems verstecken.
Rechtsanwalt ohne Grenzen
Antidiskrimierungsechtsanwalt für Familienrecht in Frankfurt - Islamexperte
Sicherlich kommt erschwerend hinzu, dass ein Zuwanderer aus Ghana eine etwas andere Kommunikationskultur pflegt, als wir in deutschen Gerichtssäälen und Behördenstuben gerne erwarten.
"Und das nur, weil Beamten und Richtern die notwendige interkulturelle Kompetenz fehlen" ...
Ich kann aus meiner bescheidenen Erfahrung im Gerichtssaal und Menschen mit der Dynamik südlicher Gefilde eine Phantasie der Abläufe entwickeln, die den tätsächlichen nicht allzufern sein dürfte.
Das hat nichts mit Rassismus zu tun, sondern mit fehlender Erziehung und mangelndem Respekt gepaart mit Unverschämtheit und überzogener Erwartungshaltung gegenüber dem Gastland und dessen Einwohnern.
Ein deutscher Langzeitarbeitsloser ohne festen Wohnsitz hätte eine ähnliche Entscheidung zu erwarten, wenn er vor dem Familiengericht lospöbelt. Nur könnte der nicht in höchster Instanz dann doch noch das Sorgerecht zugesprochen bekommen, weil er kein Afrikaner ist ...
... ist das ein Fall von Antirassismus ?
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Schön wäre es, wenn die Berichterstattung in 10 Jahren nochmal den Fall aufgreift, und wir dann lernen könnten, wie es dem Mädchen ergangen ist.
Grundrechte, Verfassung Menschenrecht auf diskriminierungsfreie Bildung