Assoziationsrecht Türkei/EWG - Teil IV: Wie wirkt sich eine geringfügige Beschäftigung auf die Aufenthaltserlaubnis aus?

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EuGH und BVerwG: Eine geringfügige Beschäftigung kann für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ausreichen

Einer türkischen Staatsangehörigen war zum Zwecke der Familienzusammenführung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Nach ihrer Trennung vom Ehemann wurde die Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert. Mit der folgenden Klage der Türkin befasste sich in letzter Instanz das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG).

Gegen Mitte des Jahres 2000 reiste die Klägerin erstmals in die Bundesrepublik ein. Nach der Trennung von ihrem Ehemann nahm die Klägerin im Juni 2004 eine geringfügige Beschäftigung im Umfang von 5 ½ Wochenstunden auf. Da dies allein zum Leben nicht reichte, erhielt die Klägerin zur Erhöhung ihres Einkommens Sozialleistung.

Serkan Kirli
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Den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lehnte die Ausländerbehörde im Februar 2008 wegen des Bezugs ergänzender Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab.

Hiergegen ging die Klägerin gerichtlich vor. Noch im Laufe des Gerichtsverfahrens stockte die Klägerin ihre Arbeitszeit von fünfeinhalb auf zehn Stunden pro Woche auf und bezog seitdem keine Sozialleistungen mehr.

Vorlage an den EuGH

Im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens befragte das Verwaltungsgericht zur Auslegung des Art. 6 Abs.1 des Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation – ARB Nr. 1/80 den Europäischen Gerichtshof (EuGH Urteil vom 04.02.2010 – Rs. C-14/09).

Nach entsprechender Entscheidung des EuGH verpflichtete das Verwaltungsgericht die beklagte Behörde, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (VG Berlin, Urteil vom 2. Juli 2010 - 19 K 46.10).

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Auch das Oberverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. März 2011 - 12 B 15.10).

Die Revision der Beklagten blieb ebenfalls erfolglos (BVerwG 1 C 10.11 - Urteil vom 19. April 2012). Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Klägerin trotz der Wochenarbeitszeit von zunächst 5 ½ Stunden und des vorübergehenden ergänzenden Bezugs öffentlicher Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts als Arbeitnehmerin im Sinne der assoziationsrechtlichen Bestimmung anzusehen.

EuGH: Nur untergeordenete und unwesentliche Beschäftigungen bleiben unberücksichtigt

Definition des Arbeitnehmerbegriffs nach der Rechtsprechung des EuGH:

Der Arbeitnehmerbegriff ist nach der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtlich auszulegen. Danach ist Arbeitnehmer jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen ausübt und hierfür eine Vergütung erhält. Lediglich solche Tätigkeiten, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen, bleiben außer Betracht.

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