Baugefährdung

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Straftat Baugefährdung: Konkrete Gefahr für Leib oder Leben reicht aus

Die Baugefährdung gemäß § 319 StGB ist echtes Sonderdelikt und konkretes Gefährdungsdelikt. Rechtsgut der Baugefährdung sind Leib und Leben anderer Menschen. Der Tatbestand kann verwirklicht werden, ohne dass es tatsächlich zu einem Baustellenunfall gekommen sein muss. Ein „Beinahe-Unfall” reicht aus. Geldstrafe und Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren für den Täter können die Folgen sein.

Verstoß gegen anerkannte Regeln der Technik

Tathandlung ist ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik. Der Täterkreis ist gesetzlich genau definiert und auf drei Tätertypen beschränkt. Insbesondere der Bauherr ist als solcher nicht unmittelbar erfasst.

Andreas Neumann
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Der Eintritt einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben ist Tatbestandsvoraussetzung. Im Falle einer Körperverletzung oder gar Tötung eines Menschen kann eine vorangegangene konkrete Gefahr ohne weiteres unterstellt werden. In diesem Falle wird § 319 StGB jedoch regelmäßig durch die §§ 222, 229 StGB überlagert und die Strafverfolgung gem. § 154a StPO auf letztere beschränkt.

Fahrlässigkeit und Sonderwissen des Täters

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod bzw. die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, macht sich nach § 222 bzw. § 229 StGB strafbar. Trotz Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik kann zum Beispiel im Hinblick auf ein Sonderwissen des Täters und damit einen höheren Sorgfaltsmaßstab im Einzelfall Fahrlässigkeit zu bejahen sein, vgl. BGHSt 37, 184; Esser/Keuten, NStZ 2011, 314, 319.

Die Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik, insbesondere von Unfallverhütungs- und Sicherheitsvorschriften, legt die Vermutung einer Sorgfaltspflichtverletzung und damit der Fahrlässigkeit nahe, so Kehrberg, in: Motzke/Preussner/Kehrberg, Die Haftung des Architekten, 10. Aufl. 2015, Kapitel Q Haftung aus Gesetz, Rn. 71.

Wird neben der Baugefährdung auch eine Ordnungswidrigkeit nach der jeweiligen Landesbauordnung verwirklicht, wird nach § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG nur das Strafgesetz angewendet. Nur wenn im konkreten Fall keine Strafe verhängt wird, kann die Handlung als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, Kehrberg, in: Motzke/Preussner/Kehrberg, Die Haftung des Architekten, 10. Aufl. 2015, Kapitel Q Haftung aus Gesetz, Rn. 76.

Überwachungsfehler, Baumangel und Schaden

Die Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik stellt zivilrechtlich einen Mangel dar. Sie sind als Mindeststandard geschuldet, soweit nicht ein anderer – auch höherer – Standard vereinbart ist, BGH NZBau 2013, 295. Bei Nichteinhaltung der anerkannten Regeln der Technik kann zudem ein Überwachungsfehler vorliegen, der auch eine zivilrechtliche Haftung begründet. Die Kausalität zwischen Überwachungsfehler, Baumangel und Schaden ist nach objektiven Kriterien zu beurteilen.

Die anerkannten Regeln der Baukunst bzw. Bautechnik stellen die Summe der im Bauwesen anerkannten wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen dar, die durchweg bekannt und als richtig und notwendig anerkannt sind (Werner/Pastor, Der Bauprozess, 15. Aufl. 2014, Rn. 1966). Dies setzt die Bekanntheit und Anerkennung in der Wissenschaft als erkenntnisgemäß (1), die theoretische Richtigkeit (2) und die Durchsetzung und Bewährung in der Praxis voraus (3).

Die DIN-Normen des Deutschen Instituts für Normung e.V. enthalten anerkannte Regeln der Technik, wobei letztere aber vorgehen. Mithin können die DIN-Normen auch hinter den anerkannten Regeln der Technik zurückbleiben. Allerdings ist derjenige, der sich hierauf beruft, insoweit beweispflichtig, OLG Stuttgart, BauR 1977, 129. Anerkannte Regeln der Technik sind in den einheitlichen technischen Baubestimmungen enthalten, ferner in den Bestimmungen des Deutschen Ausschusses für Stahlbeton und den Bestimmungen anderer Fachverbände.

Von § 319 StGB erfasst sind ferner Vorschriften, die bei der Planung und Berechnung zu beachten sind, die Unfallverhütungsvorschriften und baurechtliche Sicherheitsvorschriften sowie Regeln zur gesundheitsmäßigen Beschaffenheit oder über die Feuersicherheit, Englert/Grauvogl/Maurer, Handbuch des Baugrund- und Tiefbaurechts, 4. Auflage 2011, Rn. 2999; Leipold, in: Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts, München 2004, § 43 Rn. 2 (Beispiel: Abschaltung einer Stromleitung bei Bauarbeiten in deren Nähe).

Bau oder Abbruch eines Bauwerks

Täter der Baugefährdung kann nur sein, wer entweder einen Bau oder den Abbruch eines Bauwerks plant, leitet oder ausführt, § 319 Abs. 1 StGB. Ebenso wird bestraft, wer die Tathandlung in Ausübung eines Berufs oder Gewerbes bei der Planung, Leitung oder Ausführung eines Vorhabens, technische Einrichtungen in ein Bauwerk einzubauen oder eingebaute Einrichtungen dieser Art zu ändern begeht, § 319 Abs. 2 StGB. Technische Einrichtungen sind beispielsweise Maschinen, Aufzüge, Heiz- und Klimaanlagen, Gasrohre sowie elektrische Anlagen wie Boiler und eingebaute Kühlschränke, Leipold, in: Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts, München 2004, § 43 Rn. 5.

Die Begriffe Bau und Abbruch eines Baus sind weit zu verstehen, umfassen die gesamte Bau- bzw. Abbruchtätigkeit im Bereich des Hoch-, Tief-, Wasser-, Straßen- und Bergbaus, Fischer StGB § 319 Rn. 3. Baubegleitende Nebentätigkeiten bzw. Hilfsarbeiten, die mit der Errichtung des Baus oder dem Abbruch des Bauwerks zusammenhängen, wie z.B. der Baugrubenaushub oder die Errichtung eines Baugerüsts, sind ebenfalls erfasst, RGSt 10, 242; Fischer StGB § 319 Rn. 3. Beim Abbruch genügt es, wenn Teile eines Gebäudes oder eines sonstigen Bauwerks abgerissen werden, Englert/Grauvogl/Maurer, Handbuch des Baugrund- und Tiefbaurechts, 4. Aufl. 2011, Rn. 2998 m.w.N.

Bauplaner ist, wer konkrete Planungsarbeiten wie z.B. die Erstellung des Bau- oder Abrissplans, einer Baustatik oder von Bauzeichnungen für das jeweilige Vorhaben vornimmt. Ein Statiker muss seine Berechnungen nachprüfbar in die Statik aufnehmen und festhalten. Ein Prüfingenieur für Baustatik, der hoheitlich tätig wird, ist ebenso wenig strafrechtlich nach § 319 StGB verantwortlich wie die Beamten der Baugenehmigungsbehörde, Leipold, in: Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts, München 2004, § 43 Rn. 10.

Beauftragung von Subunternehmern schließt Haftung nicht aus

Bauleiter ist derjenige, der die maßgebenden Anordnungen für die Ausführung des Baus bzw. Abbruchs tatsächlich gibt, OLG Hamm, Urteil vom 02.07.1969 - 4 Ss 457/69, NJW 1969, 2211, 2212. Es genügt dabei, wenn dies nur für ein bestimmtes Gewerk zutrifft, Englert/Grauvogl/Maurer, Handbuch des Baugrund- und Tiefbaurechts, 4. Aufl. 2011, Rn. 3000. Der tatsächliche Bauleiter kann sich durch eine Beauftragung von Subunternehmern seiner strafrechtlichen Haftung nicht entledigen; eine entsprechende vertragliche Vereinbarung ist unbeachtlich, vgl. ebd. Rn. 3001. Die Bauüberwachung allein reicht demgegenüber aber für eine strafrechtliche Verantwortung gem. § 319 StGB noch nicht, Englert/Grauvogl/Maurer, ebenda.

Bauausführender ist, wer bei Erstellung des Baus oder Abbruch des Bauwerks mitwirkt, Fischer StGB, § 319 Rn. 6. Der Ausführende – zum Beispiel Bohrmeister oder Bauhandwerker – ist nur im Bereich der ihm zugewiesenen Tätigkeit und im Rahmen des ihm eingeräumten Spielraumes für die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik verantwortlich, Englert/Grauvogl/Maurer, Handbuch des Baugrund- und Tiefbaurechts, 4. Aufl. 2011, Rn. 3002.

Der Bauherr kann unter Umständen als Bauleiter qualifiziert werden, BGH, Urteil vom 21.04.1964 - 1 StR 72/64, BGHSt 19, 286, 288 = NJW 1964, 1283 (im Falle eines wahrnehmbar nachlässigen Bauunternehmers); OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.03.1977 - 3 Ss 159/76, NJW 1977, 1930 – sofern er „selbst ausnahmsweise von vornherein sich die Bauaufsicht ganz oder zum Teil vorbehalten hat”. Vereinzelte Anweisungen reichen dafür aber nicht, Leipold, in: Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts, München 2004, § 43 Rn. 8. Zudem kommt eine Teilnahme (Anstiftung und insbesondere Beihilfe) an der Baugefährdung in Betracht, siehe hierzu Esser/Keuten, NStZ 2011, 314, 316.

Konkrete Gefahr als „Beinahe-Unfall”

Im Falle einer Körperverletzung oder gar Tötung eines Menschen kann eine vorangegangene konkrete Gefahr ohne Weiteres unterstellt werden. Ansonsten wird die konkrete Gefahr wie bei der Straßenverkehrsgefährdung als „Beinahe-Unfall” verstanden. Ausreichend hierfür ist, dass das feuergefährliche Haus zwar fertig, aber noch nicht bezogen ist. Andererseits genügt eine bloß künftig drohende Gefahr nicht, siehe Leipold, in: Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts, München 2004, § 43 Rn. 6.

Die konkrete Gefahr muss gerade auf den Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik zurückzuführen sein. Der Verstoß darf im Sinne der Äquivalenztheorie nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg, die konkrete Gefahr, entfiele (conditio sine qua non).

Die konkrete Gefahr muss dem Täter auch adäquat zurechenbar sein, also nicht völlig außerhalb der Erfahrung und Erwartung eines objektiven, durchschnittlich informierten Dritten liegen. Die objektive Zurechnung kann insbesondere in Fällen atypischen Kausalverlaufs, Dazwischentreten eines Dritten (z.B. Arbeiters), oder im Falle des Erfolgseintritts auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten zweifelhaft sein.

Der Straftatbestand der Baugefährdung kann sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig erfüllt werden. Für die Absätze 1 und 2 des § 319 genügt bedingter Vorsatz (dolus eventualis) sowohl hinsichtlich der Tathandlung als auch der konkreten Gefahr. Nach Absätzen 3 und 4 ist auch die Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination (Abs. 3) und fahrlässiges Handeln in Bezug auf Tathandlung und Gefahr (Abs. 4) – jeweils mit vermindertem Strafrahmen - strafbar.

Die Tat erfolgt rechtswidrig, wenn keine Rechtfertigungsgründe vorliegen. In Betracht kommt die Einwilligung durch Vereinbarung über eine Unterschreitung der anerkannten Regeln der Technik. Nach vorzugswürdiger Auffassung ist eine rechtfertigende Einwilligung im Gegensatz zur Sachlage bei der Straßenverkehrsgefährdung jedoch bei der Baugefährdung nicht möglich. Denn der alleingefährdete Rechtsgutsträger der Baugefährdung ist im Zeitpunkt der Vertragsvereinbarung nicht feststellbar, die zeitliche Dimension der Baugefährdung unüberschaubar und unberechenbar, vgl. Leipold, in: Greeve/Leipold, Handbuch des Baustrafrechts, München 2004, § 43 Rn. 2, a.A. SK-Horn, zitiert bei Leipold, ebd.

Strafanzeige wird empfohlen

Neben der Baugefährdung kommen als Folge pflichtwidrigen Handelns beim Bau (z.B. Überschreitung festgesetzter Höchstwerte) insbesondere die Straftaten gegen die Umwelt gem. §§ 324 ff. StGB in Betracht, vgl. Englert/Grauvogl/Maurer, Handbuch des Baugrund- und Tiefbaurechts, 4. Aufl. 2011, Rn. 3004-3019: § 324 Gewässerverunreinigung (oberirdische Gewässer, das Grundwasser und das Meer), Ordnungswidrigkeiten gem. § 41 WHG und den Landeswassergesetzen, § 324a Bodenverunreinigung, §§ 325, 325a StGB Luftverunreinigung, Lärmverursachung, bußgeldbewehrte Genehmigungspflichten nach BImSchG.

Um die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Gang zu bringen, empfiehlt sich ggf. eine Strafanzeige gem. § 158 StPO. Die Baugefährdung ist aber kein Antragsdelikt; die Strafverfolgung setzt eine solche gerade nicht voraus.

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