Erbe und Pflichtteil

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Ein Pflichtteilsentzug ist nur in extremen Ausnahmefällen möglich

Erbe und Pflichtteil

Enterben ist gar nicht so einfach: In einer aktuellen Entscheidung hat das Oberlandesgericht Hamm abermals die Hürden für einen wirksamen Pflichtteilsentzug sehr hoch gehängt und bestätigt, dass ein Entziehung des Pflichtteils nur bei außergewöhnlich schweren Verfehlungen oder Straftaten des Pflichtteilsberechtigten möglich ist (Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 22.02.2007 – 10 U 111/06 –).

Allgemeines zur Enterbung, dem Pflichtteilsrecht und dem Pflichtteilsanspruch

Das Pflichtteilsrecht lässt Abkömmlinge oder Eltern sowie Ehegatten und den Lebenspartner des Erblassers auch dann am Nachlass teilhaben, wenn sie der Erblasser durch Testament oder Erbvertrag von der gesetzlichen Erbfolge gänzlich ausgeschlossen und damit enterbt hat. Diese scheinbar vollständig vom Nachlass ausgeschlossenen nächsten Verwandten können in aller Regel jedoch - gegen den Willen des Erblassers - von den Erben ihren sogenannten Pflichtteil am Nachlasswert verlangen.

Thilo Wagner
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Der Pflichtteilsanspruch ist dabei auf Zahlung einer Geldsumme in Höhe des Wertes der Hälfte des gesetzlichen Erbteils gerichtet. Auch bei kleineren Nachlässen erreicht der Pflichtteilsanspruch damit schnell eine ganz erhebliche Summe. Neben dem Zahlungsanspruch verfügt der Pflichtteilsberechtigte zur Durchsetzung seiner Ansprüche auch über verschiedene Informationsansprüche. So kann der Pflichtteilsberechtigte zum Beispiel detaillierte Auskunft über den Wert des Nachlasses verlangen und hiernach seinen Pflichtteilsanspruch genau beziffern und einfordern.

Durch das Pflichtteilsrecht soll für die nächsten Angehörigen ein nicht unerheblicher Mindestanteil an dem Nachlass des Verstorbenen gesichert werden. Es erfüllt damit eine Ersatzfunktion für den gesetzlichen Erben, der letztlich nicht zum Zuge kommt. Das Pflichtteilsrecht schränkt damit die Testierfreiheit, also den letzten Willen des Erblassers, entscheidend ein. Der Erblasser kann, auch wenn es sein erklärter Wille ist, seine nächsten Angehörigen regelmäßig also nicht vollständig von seinem Nachlass ausschließen, sondern bestenfalls den ungewollten gesetzlichen Erben auf seinen Pflichtteil verweisen.

Die Pflichtteilsentziehung

Die Pflichtteilsentziehung ermöglicht es dem Erblasser ausnahmsweise, einem pflichtteilsberechtigten nahen Angehörigen bei erfolgter Enterbung unter bestimmten Voraussetzungen auch noch die vom Gesetz an sich garantierte Mindestbeteiligung am Nachlass zu verwehren. Die gesetzlichen Vorraussetzungen der Pflichtteilsentziehung sind im Erbrecht konkret und erschöpfend geregelt. Den Abkömmlingen des Erblassers kann zum Beispiel bei Lebensnachtstellungen (also dem gewollten Streben nach dem Tod des Erblassers), vorsätzlicher körperlicher Misshandlung, Verbrechen oder schweren Vergehen (wie z.B. Untreue oder unter Umständen sogar die Beleidigung) der Pflichtteil entzogen werden. Eine ähnliche Regelung besteht für den Entzug des Ehegattenpflichtteils.

Die Entziehung des Pflichtteils erfolgt durch letztwillige Verfügung. Sie kann in allen Testamentsformen und einseitig auch im Erbvertrag erfolgen. Der Grund der Entziehung muss zur Zeit der Errichtung bestehen und in der Verfügung angegeben werden.

Wichtig ist auch, dass das Recht zur Entziehung des Pflichtteils durch eine Verzeihung des vorgeworfenen Verhaltens erlischt. Diese Verzeihung kann formlos und sogar durch schlüssiges Handeln erfolgen. Eine Verfügung, durch die der Erblasser die Entziehung angeordnet hat, wird infolge der Verzeihung unwirksam.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 22.02.2007 (– 10 U 111/06 –)

In der aktuellen Entscheidung hat der für Erbrechtsfragen zuständige Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm nun angenommen, dass ein Vater seinem Sohn selbst bei einer gegen ihn von seinem Sohn verübten Vermögensstraftat nur bei Vorliegen besonderer Umstände den gesetzlichen Pflichtteil entziehen kann. Das Gericht in Hamm hat damit der Berufung des Sohnes gegen ein anderslautendes Urteil des Landgerichts Bochum in einem mit seiner Schwester geführten Prozess stattgegeben.

Zur Begründung hat der Fachsenat des Oberlandesgerichts ausgeführt:

Die in dem väterlichen Testament gegenüber dem Kläger ausgesprochene Entziehung des Pflichtteils, welche wegen einer angeblich vorgenommenen Veruntreuung eines dem Vater zustehenden Betrages in Höhe von 27.000,00 DM erfolgt war, sei unwirksam. Nach dem Gesetz könne zwar der Erblasser einem Abkömmling den Pflichtteil entziehen, wenn der Abkömmling sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Erblasser oder dessen Ehegatten schuldig gemacht hat. Ob ein schweres Vergehen vorliegt, beurteile sich allerdings nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Grad des sittlichen Verschuldens. Verfehlungen gegen das Eigentum oder das Vermögen des Erblassers berechtigten hierbei nur dann zur Entziehung des Pflichtteils, wenn sie nach ihrer Natur und ihrer Begehungsweise eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses darstellen und deswegen eine schwere Kränkung des Erblassers bedeuten. Unter Beachtung dieser Grundsätze waren vorliegend nach Auffassung des Senats zugunsten des Klägers seine desolate wirtschaftliche Situation sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass der Kläger das Geld alsbald an seinen Vater zurückzahlen wollte, so dass im Ergebnis ein zur Entziehung des Pflichtteils berechtigender Grund nicht gegeben war.

Somit konnte der unbestritten strafrechtswidrig handelnde Sohn des Erblassers seinen Pflichtteilsanspruch letztlich erfolgreich und gegen den Willen seines Vaters durchfechten.

Fazit

Der Entzug des Pflichtteils ist in jedem Fall schwierig, da er immer an eine Vielzahl von rechtlichen und tatsächlichen Fallstricken geknüpft ist. Jeder letztwillig Verfügende sollte sich, sofern ein Pflichtteilsentzug in Betracht kommt, ausführlich anwaltlich beraten lassen und seine letztwillige Verfügung nach Maßgabe des juristischen Ratschlags ausgestalten. Schließlich lassen sich sogar für den Fall, dass ein Pflichtteilsentzug im Einzelfall rechtlich unmöglich ist, rechtliche Strategien entwickeln, welche den finanziellen Anteil des Pflichtteilsberechtigten zumindest wirksam reduzieren können.

Auch für mögliche Erben, Pflichtteilsberechtigte und auch Angehörige, welchen der Pflichtteil vermeintlich bereits entzogen wurde, lohnt sich die anwaltliche Beratung. Denn nur durch eine eingehende rechtliche Prüfung und Beratung erlangen sie über ihre teilweise ganz erheblichen Ansprüche und über ihre Durchsetzbarkeit beruhigende Klarheit und Rechtssicherheit. Zudem werden oftmals geeignete und zuvor nicht erkannte Lösungswege aufgezeigt, welche eine einfache und erfolgreiche Realisierung der Ansprüche ermöglichen.


Der Autor ist Sozius der Rechtsanwaltskanzlei Wagner Halbe Rechtsanwälte in Köln und berät private Mandanten und Unternehmer in allen Fällen des Erbrechts.
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