BAG zu AGG-Hopping: Entschädigungsanspruch bei rechtsmissbräuchlicher Bewerbung

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Scheinbewerber haben keinen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Diskriminierung

Seit dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) besteht die Möglichkeit, auf Entschädigung klagen zu können, wenn Bewerber aufgrund diskriminierender Umstände abgelehnt wurden. Allerdings nutzen einige Scheinbewerber dieses Recht geschickt aus. Wie sich das Bundesarbeitsgericht aktuell zu dem so genannten AGG-Hopping äußert, erklärt uns im Folgenden Rechtsanwalt B. Alexander Koll.

123recht.de: Herr Koll, was ist AGG-Hopping?

B. Alexander  Koll
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Rechtsanwalt Koll: Das insbesondere unter Juristen verbreitete so genannte AGG-Hopping entstand nach Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Dabei wird durch Bewerber für eine Arbeitsstelle versucht, im Hinblick auf vermeintliche Diskriminierungen im Bewerbungsverfahren nach dem AGG entschädigt zu werden. Teilweise wird die Bewerbung für die Stelle gar nicht ernsthaft betrieben, sondern nur zu dem Zweck gestartet, eine Entschädigung zu erlangen, die durch das AGG bei tatsächlichen Diskriminierungen des Arbeitgebers grundsätzlich vorgesehen ist.

Ein Entschädigungsverlangen ist rechtsmissbräuchlich, wenn die Bewerbung nicht ernsthaft war

123recht.de: Was sagt das Bundesarbeitsgericht zum Thema AGG-Hopping?

Rechtsanwalt Koll: Arbeitgeber müssen nach einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil v. 25.10.2018, Az. 8 AZR 562/16) dann keine Entschädigung nach dem AGG zahlen, wenn der Bewerber im Rahmen seiner Bewerbung nicht ernsthaft an der Stelle interessiert war, sondern es diesem bei seiner Bewerbung allein darum ging, eine formale Position eines Bewerbers einzunehmen, um so eine Entschädigung nach dem AGG zu erhalten. In diesem Falle ist ein Entschädigungsverlangen rechtsmissbräuchlich. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BAG selbst dann, wenn die Stellenanzeige nachweislich diskriminierend geschrieben war.

123recht.de: Wer trägt die Beweislast im Hinblick auf einen Verstoß gegen das AGG?

Rechtsanwalt Koll: Sofern der Bewerber im Streitfall Indizien darlegt, die eine Benachteiligung im Sinnes eines der in § 1 AGG angegebenen Gründe (Diskriminierung wegen Rasse, Geschlecht, Alter etc.) rechtfertigen würde, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat (§ 22 AGG).

Seitens des Bewerbers müssen hierzu aber zuvor tatsächliche Indizien vorgebracht werden. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts ist bspw. die Ablehnung der Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen ohne Angabe von Gründen zumindest dann kein Indiz für eine Diskriminierung, wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Beschäftigung von Behinderten im Übrigen nachkommt (Urteil v. 21.02.2013, Az. 8 AZR 180/12).

123recht.de: Was sollte auf Seiten des Arbeitgebers im Bewerbungsprozess beachtet werden?

Rechtsanwalt Koll: Natürlich sollten Ungleichbehandlungen durch den Arbeitgeber vermieden werden. Nicht weniger wichtig ist es für den Arbeitgeber aber, dass dieser den gesamten Bewerbungsprozess dokumentiert und archiviert - von der Stellenausschreibung über das Vorstellungsgespräch bis hin zum Auswahlprozess und den finalen Entscheidungsgründen. Nur so kann der Arbeitgeber später nachweisen, dass der Bewerbungsvorgang diskriminierungsfrei erfolgt ist, sollte der Bewerber später Indizien für eine Ungleichbehandlung vorbringen.

Das Auswahlverfahren sollte dabei nach einem klaren Muster erfolgen, indem Kriterien festgelegt werden, die zunächst eine Vorauswahl der Kandidaten ermöglichen, die zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden sollen, bspw. die Ausbildung des Bewerbers sowie bisherige Beurteilungen. Eine Ungleichbehandlung bei der Vorauswahl ist unzulässig, bspw. dürfen nicht alle weiblichen Bewerber oder Bewerbungen ohne Geburtsdatum aussortiert werden, da in diesen Fällen anhand unzulässiger Kriterien differenziert werden würde.

Vorsicht bei Bewerbungen, die offensichtlich kein echtes Interesse an der Stelle haben

123recht.de: Was sollte ein Arbeitgeber tun, der einen Verdacht wegen einer ungerechtfertigten Bewerbung hat?

Rechtsanwalt Koll: Sofern bereits aus der Bewerbung deutlich wird, dass kein echtes Interesse an der angebotenen Stelle besteht, weil bspw. die Bewerbung gar nicht zum Anforderungsprofil passt, ist auf Seiten des Arbeitgebers besondere Vorsicht geboten, da es dem Bewerber ausschließlich um die Geltendmachung von Entschädigung wegen Verstößen gegen das AGG gehen könnte. In diesen Fällen ist eine Dokumentation besonders wichtig, um sich im Rahmen eines möglichen Prozesses zu schützen.

Verzichten Sie auf unzulässige Fragen im Vorstellungsgespräch

123recht.de: Was sollte während des Vorstellungsgesprächs beachtet werden?

Rechtsanwalt Koll: Das Vorstellungsgespräch sollte auf Seiten des Arbeitgebers möglichst durch 2 Personen geführt werden, damit zusätzlich zu Dokumentationszwecken ein weiterer Zeuge zur Verfügung steht. Fragen an den Bewerber, die mit unzulässigen Kriterien in Zusammenhang stehen, sind unzulässig. Eine solche Frage stellt bereits ein Indiz für eine Ungleichbehandlung dar, was dazu führt, dass der Arbeitgeber nachweisen muss, dass keine Ungleichbehandlung erfolgt ist.

Diskriminierten Bewerbern steht Schmerzensgeld zu

123recht.de: Welche Ansprüche stehen einem diskriminierten Bewerber zu?

Rechtsanwalt Koll: Bei Be­nach­tei­ligun­gen im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Ein­stel­lung kann der Bewerber ei­n an­ge­mes­se­nes Schmer­zens­geld verlangen. Der Entschädigungsanspruch setzt dabei nicht voraus, dass der Bewerber ohne die Diskriminierung die Stelle erhalten hätte. Die Entschädigung bei einer Nichteinstellung darf allerdings drei Monatsverdienste nicht überschreiten, wenn der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre (§ 15 Abs. 2 Satz 2 AGG). Im Übrigen ist die Höhe der Entschädigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles durch das Gericht zu bemessen.

Es besteht kein Einstellungsanspruch bei nachgewiesener Diskriminierung

123recht.de: Besteht seitens des Bewerbers ein Anspruch auf Einstellung?

Rechtsanwalt Koll: Nein. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Diskriminierungsverbot nach dem AGG führt nicht zu ei­nem An­spruch des Bewerbers auf Be­gründung ei­nes Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses. Einen so genannten Ein­stel­lungs­an­spruch schließt das Gesetz ausdrücklich aus (§ 15 Abs. 6 AGG). Hintergrund ist die Schwierigkeit der Durchführung einer Einstellung eines Bewerbers, den der Arbeitgeber gar nicht einstellen will. Das Gesetz vermeidet es, dies dem Arbeitgeber aufzuzwingen, da die­ses Ar­beits­verhält­nis mit großer Wahr­schein­lich­keit oh­ne­hin umgehend wie­der gelöst wer­den würde.

123recht.de: Welche Fristen sind bei Ansprüchen nach dem AGG zu beachten?

Rechtsanwalt Koll: Ansprüche nach dem AGG auf Scha­dens­er­satz oder auf Gel­dentschädi­gung we­gen ei­ner ver­bo­te­nen Dis­kri­mi­nie­rung müssen in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den. Sofern die Dis­kri­mi­nie­rung im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Be­wer­bung steht, be­ginnt die Frist mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung durch den Arbeitgeber. Zudem ist in diesem Zusammenhang eine Kla­ge­frist von drei Monaten zu be­ach­ten.

123recht.de: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Koll.

B. ALEXANDER KOLL / RECHTSANWALT

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