Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Arbeit auf Abruf

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Was sind die Unterschiede und was ist in Bezug auf Vergütung und Arbeitszeit zu beachten?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat 2018 entschieden: Bereitschaftszeit zählt zur Arbeitszeit. Geklagt hatte ein belgischer Feuerwehrmann. Was bedeutet das für Ärzte, Feuerwehrleute und Co. hierzulande?

Rechtsanwältin Claudia Uhr war so nett, uns Rede und Antwort zu stehen.

123recht.de: Frau Uhr, worum ging es in dem EuGH-Fall?

Rechtsanwältin Uhr: Ein freiwilliger Feuerwehrmann klagte in Belgien vor den Arbeitsgerichten auf Schadensersatz dafür, dass ihm kein Arbeitsentgelt für seine Leistungen als freiwilliger Feuerwehrmann für die Wahrnehmung von Bereitschaftsdienst gezahlt worden war. Er wollte festgestellt wissen, dass auch Vergütung für seinen Bereitschaftsdienst zuhause zu zahlen sei. Hintergrund war, dass er nach der Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber sicherstellen musste, dass er bei normalem Verkehr die Feuerwehrkaserne in höchstens acht Minuten erreichen musste.

Es ist entscheidend, innerhalb welcher Zeit der Mitarbeiter seine Arbeit antreten muss

123recht.de: Hat das Urteil auch Bedeutung für den Deutschen Arbeitsmarkt?

Rechtsanwältin Uhr: Das Urteil des EuGH vom 21.02.2018 hat insofern Auswirkung auf Arbeitsverhältnisse in Deutschland, als es die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bestätigt. Das BAG nahm eine Abgrenzung zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft in einem Urteil von 2002 vor. Darin hatte das BAG festgestellt, dass für die Abgrenzung zwischen Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft entscheidend ist, innerhalb welcher Zeit der Mitarbeiter seine Arbeit antreten muss. In diesem Fall hatte der Arbeitgeber den Mitarbeiter verpflichtet, innerhalb von 20 Minuten nach Anruf seinen Dienst anzutreten. Darin sah das höchste deutsche Arbeitsgericht eine Festlegung des Aufenthaltsortes des Mitarbeiters und damit nicht mehr die Freiheit der Aufenthaltsortbestimmung, die Wesen der Rufbereitschaft sein muss.

123recht.de: Was gilt für Ärzte, die im Krankenhaus Bereitschaftsdienst haben?

Rechtsanwältin Uhr: Der Bereitschaftsdienst für Ärzte in Krankenhäusern ist in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes geregelt. Die Vergütung für Bereitschaftsdienste ist ebenfalls dort geregelt. Rufbereitschaften mit der Verpflichtung, innerhalb eines kurzen Zeitraums von z.B. 20 Minuten im Krankenhaus zu sein, stellen in Wirklichkeit Bereitschaftsdienst dar und sind damit Arbeitszeit, die auch entsprechend zu vergüten sind.

123recht.de: Was gilt für Feuerwehrmänner, die zuhause sind, aber auf Abruf bereit sein müssen?

Rechtsanwältin Uhr: Wie bei den Ärzten stellt sich auch bei den Beschäftigten bei der Feuerwehr immer die Frage, ob es sich bei der Rufbereitschaft wirklich um Rufbereitschaft oder um Bereitschaftsdienst handelt. Dies bestimmt sich nach dem EuGH danach, ob der Mitarbeiter tatsächlich frei in der Wahl seines Aufenthaltes ist oder die Regelungen faktisch seine Wahlmöglichkeiten begrenzen.

Wird also festgelegt, dass der Feuerwehrmann innerhalb von 10 Minuten an seinem Dienstort sein muss, sobald der Ruf erfolgt, handelt es sich nicht mehr um Rufbereitschaft, sondern um Bereitschaftsdienst bzw. -zeit. Dies hat dann für die Frage der Vergütung Relevanz, da zwar Bereitschaftsdienst geringer vergütet werden kann, dies aber im Tarifvertrag entsprechend geregelt sein muss. Außerdem ist Bereitschaftsdienst immer Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes. Rufbereitschaft ist nur Arbeitszeit, wenn der Beschäftigte tatsächlich zur Arbeit gerufen wird.

123recht.de: Es kommt also auf die Zeit an, in der derjenige verfügbar sein muss?

Rechtsanwältin Uhr: Dies ist der Fall, weil es die Eigenart der Rufbereitschaft ist, dass der Mitarbeiter selbst bestimmen kann, wo er sich aufhält. Ist die Zeitspanne so bemessen, dass er dies nicht mehr bestimmen kann, handelt es sich um Bereitschaftsdienst, weil der Arbeitgeber seinen Aufenthaltsort bestimmt.

123recht.de: Wie werden die oben genannten Arbeitszeitmodelle definiert?

Bereitschaftsdienst ist immer Arbeitszeit

Rechtsanwältin Uhr: Bereitschaftsdienst ist gesetzlich nicht definiert und wird nach der Rechtsprechung und den Tarifverträgen von Rufbereitschaft abgegrenzt. Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Arbeitnehmer sich auf Anweisung seines Arbeitgebers im Betrieb oder außerhalb des Betriebs an einer festgelegten Stelle aufzuhalten hat und jederzeit bereit ist, auf Anforderung unverzüglich tätig zu werden.

Bei Rufbereitschaft hat der Arbeitnehmer sich an einem selbst bestimmten, aber dem Arbeitgeber anzugebenden Ort auf Abruf zur Arbeit bereit zu halten. Anders als beim Bereitschaftsdienst kann der Arbeitnehmer den Aufenthaltsort frei wählen. Er muss dem Arbeitgeber entweder angeben, wo er sich aufhält, oder mittels eines Mobiltelefons oder eines anderen technischen Gerätes erreichbar sein. Entscheidend ist also die jederzeitige Erreichbarkeit.

123recht.de: Die Stunden sind angemessen zu vergüten, aber was bedeutet angemessen?

Rechtsanwältin Uhr: Im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst ist die Rufbereitschaft nicht Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitschutzes. Rufbereitschaft gilt grundsätzlich als Ruhezeit im Sinne des § 5 Arbeitszeitgesetz.

Nur dann, wenn der Arbeitnehmer während der Rufbereitschaft Arbeitsleistungen ausübt, liegt Arbeitszeit vor und die Ruhezeit wird dadurch unterbrochen. Demnach ist die Vergütung der Rufbereitschaft davon abhängig, ob der Arbeitnehmer tatsächlich zur Arbeitsleistung herangezogen wird.

Die Vergütung der Bereitschaftsdienste bzw. Bereitschaftszeiten ist davon zu unterscheiden. Diese sind nach Rechtsprechung des EuGH und des BAG immer Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzrechtes und müssen daher angemessen vergütet werden. Das BAG hat in einer Entscheidung zuletzt im Jahr 2014 festgehalten, dass Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit darstellen, sondern vergütungspflichtige Arbeit im Sinne des § 611 Abs. 1 BGB.

Als angemessen definiert das Bundesarbeitsgericht mindestens das gesetzliche Mindestentgelt bzw. das Mindestentgelt in der jeweiligen Branche.

123recht.de: Zählen die Bereitschaftsstunden als Arbeitszeit, in Bezug auf Einhaltung der Ruhezeiten?

Rechtsanwältin Uhr: Bereitschaftsstunden und Bereitschaftsdienste zählen immer als Arbeitszeit und Ruhezeiten müssen nach der werktäglichen Arbeitszeit jedes Mitarbeiters eingehalten werden.

Meist sind Bereitschaftszeiten tariflich geregelt

123recht.de: Kann man sich gegen Bereitschaftszeiten wehren?

Rechtsanwältin Uhr: In den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes ist die Verpflichtung der Arbeitnehmer enthalten, dass der Arbeitgeber Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit anordnen kann. Die Mitarbeiter sind verpflichtet, dem zuzustimmen. Für Teilzeitbeschäftigte ist erforderlich, dass arbeitsvertragliche Vereinbarungen vorliegen oder sie dem Ableisten von Bereitschaftszeiten zustimmen.

Daher können sich Mitarbeiter im öffentlichen Dienst meist nicht gegen Bereitschaftszeiten wehren. Es kommt auf die geltenden Vereinbarungen (Tarifvertrag /Arbeitsvertrag) an.

123recht.de: Müssen Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung auch solche Dienste ausführen?

Rechtsanwältin Uhr: Schwerbehinderte und diesen Gleichgestellte müssen gegen ihren Willen keine Mehrarbeit leisten. Nach § 124 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen Anspruch, auf ihr Verlangen hin von Mehrarbeit freigestellt zu werden.

Hier fragt sich dann, was Mehrarbeit im Sinne dieser Gesetzesnorm ist. Mehrarbeit ist diejenige Arbeit, die über die normale gesetzliche Arbeitszeit von acht Stunden werktäglich gemäß § 3 S. 1 Arbeitszeitgesetz hinausgeht. Hier wird wiederum von der Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzrechtes ausgegangen und somit stellt eine Verlängerung der Arbeitszeit auch bei Bereitschaftszeiten eine solche Mehrarbeit dar, gegen die sich der schwerbehinderte Mensch wehren kann.

123recht.de: Kann ich mir Bereitschaftszeiten als Überstunden aufschreiben?

Rechtsanwältin Uhr: Nach den bestehenden Regelungen handelt es sich bei Bereitschaftszeiten um Arbeitszeit, die abweichend von der so genannten Vollarbeit geringer vergütet werden kann. Bereitschaftszeiten / Arbeitsbereitschaft ist nach der Rechtsprechung geprägt von einer gegenüber der vollen Arbeitsleistung nur geminderten, nicht die gesamte Aufmerksamkeit beanspruchenden Tätigkeit.

Ob Überstunden zu bezahlen sind, richtet sich nach dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendeten Arbeitsvertrag und Tarifvertrag und ist nicht pauschal zu beantworten.

123recht.de: Vielen Dank für das interessante Gespräch, Frau Uhr.

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