Bundesverfassungsgericht erlaubt CETA - vorläufig und unter Auflagen

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"Karlsruhe hat CETA nicht endgültig gestoppt, aber der Bundesregierung ganz klare Grenzen aufgezeigt"

Das Bundesverfassungsgericht lässt das geplante CETA Freihandelsabkommen im Eilverfahren unter Auflagen zu. Was genau bedeutet das? Kommt CETA damit unwiderruflich, oder können die Kritiker es immer noch stoppen? Worum geht es bei dem Freihandelsabkommen, was wollen Befürworter, was befürchten Gegner? 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Robert Hotstegs.

123recht.de: Herr Hotstegs, worum handelt es sich bei CETA überhaupt und wer ist dort involviert?

Rechtsanwalt Hotstegs: CETA ist eines der momentan diskutierten und verhandelten Freihandelsabkommen. Es steht unmittelbar vor der Unterzeichnung, die vielleicht schon nächste Woche stattfinden könnte. Wenn es nach der Europäischen Union und Kanada ginge, dann sollen jetzt in diesen Tagen die letzten Meter des Prozesses gemeinsam beschritten werden. Unmittelbar beteiligt sind die Europäische Union und Kanada. Die Mitgliedsstaaten der EU sind über die Gremien der EU eingebunden.

"Die EU ist nach den USA der zweitgrößte Handelspartner für Kanada"

123recht.de: Was ist das Ziel des Abkommens?

Rechtsanwalt Hotstegs: Dazu werden Sie unterschiedlichste Antworten bekommen. Fragt man die an den Verhandlungen Beteiligten, werden diese auf den Wegfall von Zöllen und Handelshemmnissen hinweisen. Man sagt, dass Kanada auf bis zu 20.000 neue Jobs hofft, wenn deutlich leichter Aufträge aus Europa angenommen werden können. Auch auf öffentliche Aufträge scheinen die Kanadier zu spekulieren. Das hat dort eine große Bedeutung, weil die EU nach den USA der zweitgrößte Handelspartner für Kanada ist.

Umgekehrt gibt es Schätzungen, wonach auch für Europa der Handel mit Kanada um bis zu 25% steigen könnte. Das entspräche immerhin 20 Millionen Euro.

Wenn Sie die Gegner fragen, dann befürchten viele den Abbau von Standards im Umweltrecht und Arbeitsschutz oder etwa die Investitionsschiedsgerichte, vor denen private Unternehmen die einzelnen Staaten verklagen könnten. Da entsteht ein Parallelrecht und eine Paralleljustiz.

Kritiker bemängeln den schlechten Informationsfluss für die Öffentlichkeit

123recht.de: Welche Kritik gab und gibt es an dem geplanten Abkommen sonst noch? Was wollten die Kritiker mit den Eilanträgen und Verfassungsbeschwerden erreichen?

Rechtsanwalt Hotstegs: Die aktuelle Kritik richtet sich vor allen Dingen dagegen, dass die Öffentlichkeit so spät und schlecht informiert wurde und dass die EU CETA auch „vorläufig“ anwenden möchte, obwohl die Zustimmungen in den Mitgliedsstaaten noch nicht vorliegen. Dieser Kritik hat sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung auch angeschlossen.

Karlsruhe hat CETA nicht endgültig gestoppt, aber der Bundesregierung ganz klare Grenzen aufgezeigt.

Deutschland muss Abkommen einseitig kündigen können

123recht.de: Welche Auflagen machte das Gericht, damit CETA kommen kann?

Rechtsanwalt Hotstegs: Im Kern sind es drei Punkte: CETA darf nur vorläufig dort angewendet werden, wo unstreitig nur und ausschließlich die EU über ihre eigenen gesetzgeberischen Kompetenzen verfügt. Bestehen also Bedenken, ob manche Themengebiete in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten fallen, darf CETA eben noch nicht, auch nicht vorläufig, angewendet werden.

Dann muss CETA demokratisch „rückgekoppelt“ werden. Es gibt einen im Vertrag vorgesehenen Ausschuss, der auch Kompetenzen hat, das Freihandelsabkommen auszulegen und weiterzuentwickeln. Dieser Ausschuss darf nur tätig werden, wenn auch der deutsche Wähler über den Bundestag und die Bundesregierung die Entscheidungen legitimiert. Der Ausschuss darf also nicht völlig losgelöst vom Volk agieren.

Und schließlich muss Deutschland die Möglichkeit haben, die vorläufige Anwendung einseitig zu kündigen. Das ist wohl einer der wichtigsten Punkte. Denn das Bundesverfassungsgericht prüft weiterhin die Hauptsacheverfahren gegen CETA. Würde Karlsruhe also zu dem Ergebnis kommen, dass CETA und die vorläufige Anwendung verfassungswidrig sind, muss die Bundesrepublik die einseitige Kündigung aussprechen. Das behält sich das Gericht ausdrücklich vor.

Durch die Auflagen muss der Vertrag noch einmal überarbeitet werden

123recht.de: Warum wird das Hauptsacheverfahren in so einer wichtigen Angelegenheit nach hinten verschoben und eine vorläufige Erlaubnis erteilt?

Rechtsanwalt Hotstegs: Das Gericht schiebt das Verfahren nicht aktiv nach hinten. Es hat abgewogen, wie es dies auch ansonsten im einstweiligen Rechtsschutz die Gerichte tun. Die Entscheidung hätte sicherlich auch anders ausfallen können. Denn wenn CETA nur aufgrund der Auflagen vorläufig angewendet werden darf, bedeutet dies im Umkehrschluss auch, dass CETA in der bisherigen – auflagenfreien – Version nicht hätte angewendet werden dürfen.

Allerdings ist sich das Bundesverfassungsgericht auch der Tragweite seiner Entscheidung bewusst. Die Auflagen stellen das deutlich mildere Mittel dar, das aber auch der Demokratie und dem Verfassungsrecht in Deutschland Rechnung trägt. Man darf nicht übersehen, dass die Entscheidung des Gerichts einen Vertrag noch einmal revolutioniert hat, der schon seit über sieben Jahren verhandelt wird.

123recht.de: Was halten Sie von dieser Abwägung?

Rechtsanwalt Hotstegs: Ich kann mit dem Ergebnis leben. Es hält uns alle Möglichkeiten offen. CETA kann sich nun nachträglich als verfassungsgemäß herausstellen, aber eben auch als verfassungswidrig.

123recht.de: Können die Gegner des Handelsabkommens also am Ende doch noch das Abkommen verhindern?

Rechtsanwalt Hotstegs: Ja, das ist möglich. Und auch die Bevölkerung hat hier sicherlich noch ein paar Worte mitzureden. Denn rund um CETA und das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA haben sich in verschiedenen Bundesländern Volksinitiativen und Volksbegehren auf den Weg gemacht. Diese Verfahren laufen alle auf das Ziel hinaus, dass die Bundesländer ihre Stimmen im Bundesrat nutzen und sich gegen CETA aussprechen.

123recht.de: Warum soll das so umständlich geschehen?

Rechtsanwalt Hotstegs: Weil es an direkter Demokratie auf Bundesebene weiterhin fehlt und weil die Europäische Union die Europäische Bürgerinitiative gegen CETA 2014 für unzulässig hielt. Deshalb bleibt nur der mühsamere Weg, dass die Bundesländer im Bundesrat aktiv werden.

Bundesrat kann das Freihandelsabkommen noch stoppen

123recht.de: Kann dann also der Bundesrat CETA noch stoppen?

Rechtsanwalt Hotstegs: Da die Ratifizierung in Deutschland noch nicht abgeschlossen ist: ja. Und wir erleben ja gerade in Belgien, dass auch dort die Wallonen sich gegen CETA ausgesprochen haben. Das könnte ähnliche Konsequenzen haben. Gleiches gilt für den Widerspruch der österreichischen Bundesländer gegen die vorläufige Anwendung. Auch in Österreich sind die Bürger auf dem Weg der direkten Demokratie unterwegs: Ende Januar findet dort ein Volksbegehren statt.

"Wer geheim verhandelt, riskiert immer, dass das Volk anderer Meinung ist"

123recht.de: Wie schätzen Sie nun die Möglichkeiten für das ebenfalls anstehende TTIP-Abkommen mit den USA ein?

Rechtsanwalt Hotstegs: CETA gilt vielen als TTIP in anderem Gewand, manche halten das Abkommen mit Kanada auch für das „bessere TTIP“. Die Demokratiedefizite und die Sorgen der Bevölkerung sind aber meines Erachtens die gleichen. In beiden Verhandlungen sind viele Fehler allein dadurch gemacht worden, dass man nicht von vornherein auf Bürgerbeteiligung und –information gesetzt hat. Wer geheim verhandelt, riskiert immer, dass das Volk anderer Meinung ist. Die Politik kann das Risiko eingehen, darf sich dann aber meines Erachtens nicht beschweren. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Derartige Geheimverhandlungen sind unnötig. Es wäre leicht möglich, transparente Verhandlungen zu führen und auch von vornherein vorzusehen, dass die Bevölkerung eingebunden wird. Das ginge auch ohne Hilfe des Bundesverfassungsgerichts – wenn die Politik will.

123recht.de: Vielen Dank für das Interview.