Die Bewährung im Strafrecht - eine zweite Chance für Straftäter

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Voraussetzungen, Auflagen, Widerruf - Was ist bei einer Bewährungsstrafe zu beachten?

Dem Gefängnis nochmal gerade so entgangen.... Wann kann eigentlich eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden, was muss der Verurteilte dabei beachten und kann die Bewährungsstrafe auch widerrufen werden? Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Mathias Grasel steht 123recht.de Rede und Antwort

123recht.de: Herr Grasel, was genau ist eine Bewährungsstrafe?

Mathias Grasel
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Rechtsanwalt Grasel: Das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) kennt lediglich zwei verschiedene Formen von Strafen: die Geldstrafe und die Freiheitsstrafe. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren kann dabei gemäß § 56 StGB unter gewissen Umständen zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ist dies hingegen nicht möglich.

Das Gericht bestimmt zudem eine Bewährungszeit, die zwischen zwei und fünf Jahren beträgt. Während dieser Zeit darf sich der Verurteilte keine weitere Straftat zuschulden kommen lassen, da ansonsten der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung droht.

Die Bewährung ist „vergleichbar mit der gelben Karte beim Fußball“

123recht.de: Welcher Zweck wird mit einer Bewährungsstrafe verfolgt?

Rechtsanwalt Grasel: Die Strafaussetzung zur Bewährung soll dem Verurteilten aufzeigen, dass er eine nicht unerhebliche Straftat begangen hat und dafür verurteilt worden ist. Gleichzeitig will man dem Verurteilten die Chance geben, sich in Zukunft zu bewähren, sprich zu zeigen, dass er in der Lage ist, sich an die geltenden Gesetze zu halten. Die Situation ist vergleichbar mit der „gelben Karte“ beim Fußball. Die Bewährungsstrafe soll also zugleich Appell als auch Warnung an den Verurteilten sein und ihn zur Rechtstreue aufrufen.

123recht.de: Oft hört man den Begriff „Freispruch zweiter Klasse“. Betrifft das auch die Bewährung?

Rechtsanwalt Grasel: Die Verurteilung zur einer Bewährungsstrafe ist alles andere als ein „Freispruch zweiter Klasse". Es ist eine eindeutige Verurteilung, die zum Ausdruck bringt, dass es mit einer simplen Geldstrafe nicht mehr getan ist. Von einem „Freispruch zweiter Klasse" ist eher dann die Rede, wen das Gericht zwar nicht zu dem Ergebnis kommt, dass der oder die Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat eindeutig nicht begangen hat und daher freizusprechen ist, sondern vielmehr auf Grund des Rechtsgrundsatzes „in dubio pro reo", also im Zweifel für den Angeklagten, auf Freispruch erkennt.

Bei einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ist eine Bewährung nicht mehr möglich

123recht.de: Wer kann überhaupt Bewährung bekommen? Welche Voraussetzungen müssen für eine Bewährung vorliegen?

Rechtsanwalt Grasel: Für die Frage, ob ein Verurteilter eine Bewährung erhält oder nicht ist in erster Linie die Höhe der Freiheitsstrafe entscheidend. Während bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren eine Bewährung gesetzlich nicht möglich ist, regelt der § 56 StGB die weiteren Voraussetzungen. Eine kurze Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten soll das Gericht ohnehin nur in Ausnahmefällen verhängen, wenn dies zur Einwirkung auf den Täter unerlässlich erscheint (§ 47 StGB).

Bei einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr wird die Vollstreckung dann zur Bewährung ausgesetzt, wenn zu erwarten ist, dass sich der Verurteilte schon die Verurteilung als solche zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafaussetzung für ihn zu erwarten sind.

Bei einer Freiheitsstrafe von mehr als einem aber nicht mehr als zwei Jahren müssen neben diesen Bedingungen zudem besondere Umstände vorliegen. Als solche kommen etwa das Bemühen des Täters, den verursachten Schaden wiedergutzumachen, ein umfassendes Geständnis und andere Faktoren in Betracht.

“Eine Besonderheit im Jugendstrafrecht ist der so genannte Warnschussarrest"

123recht.de: Gibt es dabei Unterschiede zwischen Jugendstrafrecht und Erwachsenenstrafrecht?

Rechtsanwalt Grasel: Grundsätzlich entsprechen die Regelungen zur Strafaussetzung zur Bewährung im Jugendstrafrecht (JGG) denen aus dem Erwachsenenstrafrecht (StGB). Eine Besonderheit im Jugendstrafrecht ist jedoch der so genannte Warnschussarrest. Hierbei wird der Jugendliche bzw. Heranwachsende zu einer Jugendstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Um dem Verurteilten jedoch aufzuzeigen, wohin ihn sein Weg führen wird, sollte er erneut straffällig werden, wird der so genannter Warnschussarrest verhängt und auch vollstreckt. Dieser Warnschussarrest hat eine Maximaldauer von vier Wochen, wohingegen die Jugendstrafe eine Mindestdauer von sechs Monaten hat.

123recht.de: Hat eine Bewährungsstrafe Folgen für den Verurteilten, z.B. einen Eintrag ins Führungszeugnis?

Rechtsanwalt Grasel: Grundsätzlich werden sämtliche Verurteilungen in das so genannte Bundeszentralregister eingetragen. Aus den Eintragungen im Bundeszentralregister wird wiederum das so genannte Führungszeugnis generiert. Welche Verurteilungen in das Führungszeugnis aufgenommen bzw. ausnahmsweise nicht aufgenommen werden, ergibt sich aus § 32 BZRG. Gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 6 BZRG werden Verurteilungen zu einer Bewährungsstrafe dann nicht ins Führungszeugnis aufgenommen, wenn es sich um die erste Eintragung im Bundeszentralregister handelt und die Bewährung nicht widerrufen worden ist.

Bewährungsauflagen sind nicht nur möglich sondern auch üblich

123recht.de: Kann der Richter dem Verurteilten für die Bewährung Auflagen erteilen?

Rechtsanwalt Grasel: Ja, es ist nicht nur möglich, sondern sogar durchaus üblich, dass die Gerichte der verurteilten Person Bewährungsauflagen erteilen. Dies ist in § 56b StGB explizit vorgesehen und gesetzlich normiert. In Frage kommt hier beispielsweise die Auflage, den durch die Straftat verursachten Schaden wiedergutzumachen, einen Geldbetrag an eine gemeinnützige Einrichtung oder an die Staatskasse zu bezahlen oder gemeinnützige Leistungen zu erbringen.

Sollte sich der Verurteilte nicht an die ihm erteilten Auflagen halten bzw. diese schuldhaft nicht erfüllen, so muss mit einem Widerruf der Bewährung gerechnet werden. In diesem Fall wird die ausgesprochene Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt vollstreckt.

123recht.de: Können Sie uns für solche Auflagen ein konkretes Beispiel geben?

Rechtsanwalt Grasel: Nehmen wir an, jemand wird wegen einer gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Dann wäre es sinnvoll, dem Verurteilten aufzuerlegen, dem Opfer seiner Tat ein Schmerzensgeld zur Schadenswiedergutmachung zu bezahlen. Angenommen, der Täter verfügt nur über ein geringes Einkommen oder hat unterhaltspflichtige Kinder, so wäre auch eine Arbeitsauflage denkbar.

Weisungen sollen dem Verurteilten eine Hilfe für sein zukünftiges Leben bieten

123recht.de: Was sind dann Weisungen? Worin liegt der Unterschied?

Rechtsanwalt Grasel: Neben den in § 56b StGB geregelten Auflagen kann das Gericht dem Verurteilen auch Weisungen erteilen. Diese sind in § 56c StGB geregelt. Es handelt sich dabei ebenso wie bei den Auflagen um Verpflichtungen, die zwar nicht erzwungen, aber bei Nichtbeachtung gleichwohl sanktioniert werden können. Der Unterschied zwischen Auflagen und Weisungen besteht darin, dass Auflagen eine Genugtuung für begangenes Unrecht darstellen, während Weisungen dem Verurteilten eine Hilfe für sein zukünftiges Leben bieten sollen.

123recht.de: Bewährungshilfe und Bewährungshelfer, was ist das?

Rechtsanwalt Grasel: Nach § 56d StGB kann das Gericht den Verurteilten zudem der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellen, wenn dies erforderlich ist, um den Verurteilten von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Der Bewährungshelfer steht der verurteilten Person helfend und betreuend zur Seite. Gleichzeitig wird die Erfüllung der gerichtlichen Auflagen und Weisungen durch die Bewährungshilfe überwacht. In regelmäßigen Abständen wird gegenüber dem Gericht ein Bericht erstattet. Wenn der Bewährungshelfer feststellt, dass der Verurteilte die ihm erteilten Auflagen oder Weisungen gröblich oder beharrlich nicht einhält, wird dies automatisch dem Gericht gegenüber mitgeteilt.

123recht.de: Hat der Verurteilte einen Anspruch darauf?

Rechtsanwalt Grasel: Nein, einen Rechtsanspruch auf einen Bewährungshelfer hat der Verurteilte nicht.

Bei einer Bewährungsstrafe von mehr als neun Monaten ist die Bestellung eines Bewährungshelfers der Regelfall

123recht.de: Wann kommt ein Bewährungshelfer denn in Frage?

Rechtsanwalt Grasel: Wenn der Verurteilte noch nicht 27 Jahre alt ist und zudem zu einer Bewährungsstrafe von mehr als neun Monaten verurteilt wurde, ist die Bestellung eines Bewährungshelfers der Regelfall. Ansonsten entscheidet das Gericht einzelfallabhängig über diese Frage.

Bei erneuter Straffälligkeit während der Bewährungszeit kann die Bewährung widerrufen werden

123recht.de: Wie wird eine Bewährungsstrafe widerrufen und wer entscheidet darüber?

Rechtsanwalt Grasel: Sofern der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit entweder eine neue Straftat begeht oder aber gegen die ihm erteilten Auflagen oder Weisungen in gröblicher oder beharrlicher Weise verstößt, kann das Gericht die gewährte Strafaussetzung widerrufen. Dies geschieht jedoch nicht bereits bei jeder kleinen Verfehlung, wie etwa der verspäteten Zahlung einer Geldauflage oder dem einmaligen Fernbleiben vom Termin beim Bewährungshelfer oder ähnlichem.

In den Fällen, in denen es noch nicht für einen Widerruf reicht, kann das Gericht stattdessen auch die Dauer der Bewährungszeit nachträglich verlängern oder weitere Auflagen und Weisungen erteilen. Vor einem Widerruf der Bewährung muss das Gericht sowohl die Staatsanwaltschaft als auch den Verurteilten die Gelegenheit geben, sich hierzu zu äußern.

123recht.de: Welche Folgen hat der Widerruf für den Betroffenen? Muss dieser dann sofort ins Gefängnis?

Rechtsanwalt Grasel: Bei einem Widerruf der Strafaussetzung besteht zunächst noch die Möglichkeit das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde einzulegen. Dies muss jedoch innerhalb einer Woche ab Zustellung der Widerrufsentscheidung erfolgen. In diesem Fall überprüft dann das nächsthöhere Gericht die Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidung.

Ist der Rechtsweg ausgeschöpft ist damit zu rechnen, dass der Verurteilte nach einigen Tagen oder Wochen Post von der Staatsanwaltschaft als zuständiger Vollstreckungsbehörde erhält. Es handelt sich dabei um die so genannte Ladung zum Strafantritt. Darin wird mitgeteilt, bis zu welchem Tag sich der Verurteilte in welcher Justizvollzugsanstalt einzufinden hat.

Erscheint der Verurteilte bis zu diesem Termin nicht freiwillig in der JVA, ergeht ein Vollstreckungshaftbefehl und der Verurteilte wird zur Fahndung ausgeschrieben.

123recht.de: Gibt es dann keine Möglichkeiten mehr, den Gang ins Gefängnis abzuwenden?

Rechtsanwalt Grasel: Als letzter Ausweg kommt noch ein Gnadengesuch oder ein Antrag auf Vollstreckungsaufschub nach § 456 StPO in Betracht. Letzteres ist maximal für die Dauer von vier Monaten möglich und wird nur in Fällen gewährt, wenn dem Verurteilten oder seiner Familie ansonsten durch den sofortigen Beginn der Vollstreckung erhebliche, außerhalb des eigentlichen Strafzwecks liegende Nachteile entstehen würden.

Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Familienmitglied akut schwer erkrankt ist oder aber eine Abschlussprüfung kurz bevorsteht. Sofern der Verurteilte selbst schwer erkrankt ist und eine Behandlung innerhalb der Justizvollzugsanstalt nicht möglich ist, kann auch ein Strafaufschub wegen Vollzugsuntauglichkeit gemäß § 455 StPO beantragt werden. In allen anderen Fällen bleibt nur noch die Möglichkeit eines Gnadengesuches.

123recht.de: Vielen lieben Dank für die wertvollen Informationen.

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Mathias Grasel

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