Die Pille danach ist frei verkäuflich

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Seit dem 15. März 2015 gibt es die Pille danach ohne Rezept

Nach langer Überlegung wird auch in Deutschland die Pille danach ab dem 15. März ohne Rezept frei verkäuflich sein. 123recht.de im Interview mit Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht Kornelia Punk.

Die „Pille danach" verzögert oder unterdrückt einen noch nicht stattgefundenen Eisprung

123recht.de: Wie wirkt die „Pille danach"? Ist sie eine Art Verhütung - oder wird die Leibesfrucht bzw. befruchtete Eizelle abgetrieben? Was sind die rechtlichen Unterschiede?

Rechtsanwältin Punk: Die „Pille danach" wird als Notfallkontrazeptivum in solchen Fällen angewandt, in denen eine andere Verhütungsmethode im Ausnahmefall nicht zur Anwendung kam oder eine geplante Verhütung fehlgeschlagen ist, der Geschlechtsverkehr erzwungen wurde und eine Schwangerschaft vermieden werden soll.

Die „Pille danach" verzögert oder unterdrückt einen noch nicht stattgefundenen Eisprung. Das Medikament greift in den Hormonhaushalt der Frau ein und verschiebt oder verhindert den Eisprung so, dass keine Befruchtung stattfinden kann. Zugelassen zur rezeptfreien Abgabe werden Arzneimittel mit den Inhaltsstoffen Levonorgestrel (LNG) und Ulipristal.

Sollte die Eizelle sich bereits im Eileiter oder in der Gebärmutter befinden, kann nach Aussage der Experten weder die Befruchtung noch das Einnisten in die Gebärmutter verhindert werden.

Nach Angaben des BfArM (Bundesinstituts für Arzneimittel) vom 14.1.2014 führt Levonorgestrel (LNG) nicht zum Abbruch einer bestehenden Schwangerschaft. Es gibt keine Erkenntnisse, so das BfArM, dass eine Einnahme trotz bestehender Schwangerschaft zu einer Schädigung des Fötus führt.

Levonorgestrel, das sich auch in 50fach geringerer Dosis in der „Minipille" befindet, verhindert, in Abhängigkeit vom Einnahmezeitpunkt, 52% bis 94% der erwarteten Schwangerschaften. Die Wirksamkeit nimmt mit der seit dem Geschlechtsverkehr vergangenen Zeit ab.

Durch die Wirkung von Levonorgestrel wird das Sekret des Gebärmutterhalses zäher. Dies führt dazu, dass Spermien nicht oder nur sehr vereinzelt die Gebärmutter erreichen können. Die schwangerschaftsverhütende Wirkung beruht hauptsächlich hinsichtlich der Verhinderung des Eisprungs, nicht aber die Einnistung der befruchteten Eizelle.

Seit Oktober 2009 ist eine neuere „Pille danach" zugelassen, sie enthält den Wirkstoff Ulipristal. Er verhindert oder verzögert ebenfalls den Eisprung, sie kann bis spätestens zum fünften Tag nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr, also deutlich länger, eingenommen werden. Zudem verhindert Ulipristal auch die Einnistung der befruchteten Eizelle.

Ulipristal darf nach Herstellerinformationen (HRA Pharma Deutschland zur Pille EllaOne 30 mg) Stand 23.1.2015 nicht eingenommen werden, wenn eine Schwangerschaft bereits besteht.

Zum Einfluss fehlerhaft eingenommenen Wirkstoffs auf die Gesundheit und Entwicklung von Ungeborenen und Neugeborenen laufen bisher noch Beobachtungsstudien, da die Tierversuche nicht aussagekräftig genug waren.

Die Pille danach unterscheidet sich vom medikamentösen Schwangerschaftsabbruch, bei dem nach der gesetzlich vorgeschriebenen Beratung nach § 219 StGB eine Schwangerschaft mit einer Kombination von Medikamenten abgebrochen wird.

Der Schwangerschaftsabbruch wird gemäß § 218 StGB unter Strafe gestellt. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.

Zusammenfassend kann man also sagen: Die Einnistung beginnt etwa sechs Tage nach der Befruchtung und ist Ende der zweiten Woche nach Befruchtung abgeschlossen. Die „Pille danach" verhindert, wenn nicht bereits den Eisprung, die Einnistung.

Über Nebenwirkungen gründlich informieren

123recht.de: Der Eingriff in den Menstruationszyklus ist ja kein kleiner Eingriff in den Körper. Welche Risiken sind bekannt?

Rechtsanwältin Punk: Durch die Einnahme der „Pille danach" kann sich der Zyklus verschieben, die Menstruation stärker werden, oder es entstehen Schmierblutungen. Auch Schwindel, Spannungsgefühle in der Brust, Übelkeit oder Erbrechen können auftreten. Bei Erbrechen innerhalb zwei bis drei Stunden nach der Einnahme, wirkt die „Pille danach" möglicherweise nicht mehr.

Vorübergehend können Unregelmäßigkeiten bei der Monatsblutung auftreten.

Mediziner (so Herr Werner Harlfinger, Kongresspräsident der Frauenheilkundetagung Foko 2015 laut N24) halten den Wirkstoff Ulipristal auch für gefährlich, er könne in großer Menge abtreibende Wirkung haben. Werde nur eine UPA-Tablette mit der 30-Milligramm-Dosis eingenommen, sei die Einnahme sicher, wird er höher dosiert und liegt bereits eine Schwangerschaft vor, kann es zu einem Abort kommen und zu lebensbedrohlichen Blutungen für die Frau. Wie auch andere Mediziner warnt er, dass die beiden Präparate bei schweren Frauen nicht geeignet sind. Wer zu Thrombose neige, dürfe kein LNG verwenden, betont der Berufsverband der Frauenärzte.

123recht.de: Warum wird die Pille danach zukünftig ohne Arzt und Rezept erhältlich sein?

Rechtsanwältin Punk: Insgesamt wurden in Deutschland nach Auskunft des BfArM vom 14.1.2014 jährlich rund 400.000 Verordnungen mit der Diagnose Notfallkontrazeption ausgeführt, hiervon waren ca. 300.000 dem LNG zuzuordnen.

In 28 europäischen Nachbarländern, in Frankreich bereits seit 16 Jahren, ist die „Pille danach" auf Basis von LNG bereits rezeptfrei. Das Bundesinstitut für Arzneimittel plädierte bereits 2004 für eine Freigabe, ebenfalls stieg der innenpolitische Druck.

Nach § 48 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 des Arzneimittelgesetzes (AMG) ist das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, die Verschreibungspflicht für Arzneimittel aufzuheben, wenn auf Grund der bei der Anwendung des Arzneimittels gemachten Erfahrungen die Voraussetzungen für die Verschreibungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegen.

Auf Grund der Entscheidung der Europäischen Kommission, das Notfallkontrazeptivum ellaOne® mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat (UPA) aus der Verschreibungspflicht zu entlassen, wurde die Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) entsprechend angepasst und die Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Levonorgestrel (LNG) und im gleichen Zug dem Wirkstoff Ulipristal aus der Verschreibungspflicht entlassen. Der Bundesrat stimmt der Änderung am 6.3.2015 zu.

Alle in Deutschland zugelassenen Präparate sind rezeptfrei

123recht.de: Gilt die Rezeptfreiheit für alle Varianten der Pille danach?

Rechtsanwältin Punk: Die rezeptfreie Abgabe betrifft vier Präparate: das Ulipristalacetet-haltige „ellaOne", sowie drei weitere Levonorgestrel-haltige Präparate.

Damit dürfte die Rezeptfreiheit sich auf alle am deutschen Markt zugelassenen Medikamente beziehen.

123recht.de: Unter welchen Voraussetzungen kann man die Pille danach kaufen?

Rechtsanwältin Punk: Hierzu gibt es keine gesetzlichen Vorgaben an den Apotheker.

Es gibt Leitlinien zur Qualitätssicherung, die in einen Mindeststandard des Beratungsumfanges vorgeben, aber keine gesetzliche Verbindlichkeit schaffen.

Die Bundesapothekerkammer (BAK) empfiehlt zwar die Beratung und Abgabe einer Packung an die Frau persönlich, gleichwohl darf der Apotheker die Präparate auch an Dritte verkaufen - und ebenso die Abgabe auch verweigern.

Im Regelfall soll auch keine Abgabe „auf Vorrat" nach den Handlungsempfehlungen der Bundesapothekerkammer erfolgen und im Einzelfall der Frau ein Arztbesuch empfohlen werden.

Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Apotheker auch ausnahmsweise „auf Vorrat" die Pille verkaufen darf und im Regelfall der Frau keinen Arztbesuch empfehlen muss.

Jugendliche bekommen Medikamente auch ohne ihre Eltern

123recht.de: Was gilt für Jugendliche? Müssen die Eltern mit in die Apotheke?

Rechtsanwältin Punk: Besondere rechtliche Vorgaben zur Abgabe von konkret bestimmten nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bzw. dem Verbot zur Abgabe Arzneimitteln an Kinder liegen in Deutschland nicht vor. Also steht es auch hier im Ermessen des Apothekers, die Herausgabe der „Pille danach" zu entscheiden.

Die Handlungsempfehlung der Bundesapothekerkammer vom 28.1.2015 sieht bezüglich der „Pille danach" aber eine gesonderte Empfehlung hinsichtlich der Abgabe an Minderjährige vor:

Bei Abgabe durch den Apotheker an Minderjährige wird empfohlen, die Beratung zu dokumentieren. Der Apotheker muss das Alter nicht überprüfen, er darf auf die Selbstauskunft vertrauen.

„Notfallkontrazeptive sollen ohne Einverständnis eines Erziehungsberechtigten nicht an Mädchen unter 14 Jahren abgegeben werden (Arzt/Ärztin)"

Auch hier steht „sollen", ein generelles Abgabeverbot ist hierin nicht zu unterstellen.

123recht.de: Hat der Sex-Partner ein Mitspracherecht?

Rechtsanwältin Punk: Nein! Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung wird nicht durch ein Mitspracherecht beschränkt.

Da auch Dritte die „Pille danach" in der Apotheke erwerben können, steht dem Sexpartner nun grundsätzlich aber eine aktive Möglichkeit des Schaffens einer nachträglichen Verhütung offen.

Wie stets bietet jede Möglichkeit auch dem Missbrauch eine Tür.

123recht.de: Wer übernimmt die Kosten?

Rechtsanwältin Punk: Für Frauen bis zum vollendeten 20. Lebensjahr ist die „Pille danach" weiterhin kostenlos – wenn sie sich diese beim Arzt verschreiben lassen.

Mögliche Ansprüche gegen Apotheken bei Arzneimittelschäden

123recht.de: Die Beratung sollen zukünftig die Apotheken übernehmen. Kann eine Frau gegen die Apotheker vorgehen, wenn die Beratung unterblieben ist und sie doch schwanger geworden ist oder Unverträglichkeiten hat?

Rechtsanwältin Punk: Als Inhaber des Apothekenbetriebs haftet der Apotheker nach den zivilrechtlichen Haftungsgrundsätzen (§§ 823 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) für die infolge einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung verursachten Personen- und Sachschäden.

Damit sind Apotheker mögliche Anspruchsgegner bei eingetretenen Arzneimittelschäden. Erfüllt der Apotheker seine Informations- und Beratungspflicht nicht fehlerfrei, kann dies im Falle einer Schädigung des Patienten einen Schadensersatzanspruch begründen.

Gemäß der Handlungsempfehlung der BAK muss der Apotheker vor Abgabe der „Pille danach" den Zeitpunkt des ungeschützten Verkehrs, Verdacht einer Schwangerschaft, eine mögliche Übelkeit/Erbrechen, bestehende Stillzeit und anderweitige Medikamenteneinnahme erfragen.

Unbedingt erforderlich dürfte der Hinweis sein, dass kein Verhütungsschutz für den Rest des Zyklus besteht.

Verletzt der Apotheker seine Beratungspflichten und entsteht bei der Frau dadurch ein gesundheitlicher Schaden, haftet der Apotheker auf Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Kommt wegen der Beratungsfehler ein Kind auf die Welt, ist denkbar, dass der Apotheker die Unterhaltskosten tragen muss.

Mit Urteil vom 7. August 2013 hatte das Oberlandesgericht Köln (Aktenzeichen: 5 U 92/12) entschieden, dass der Grundsatz der Beweislastumkehr beim groben Behandlungsfehler von Ärzten auch auf Apotheker übertragen werden kann.

Bei Beratungsfehlern von Apotheken ist die Frau in der Beweispflicht

123recht.de: Wie kann man einen Beratungsfehler beweisen? Müssen Apotheker derart folgenschwere Medikamentenabgaben dokumentieren?

Rechtsanwältin Punk: Grundsätzlich muss der geschädigte Patient beweisen, dass der entstandene Schaden auf einen Behandlungsfehler - oder Beratungsfehler - und die Vertragsverletzung zurückzuführen ist.

Der Nachweis des Schadens wird sich schwierig gestalten.

Eine Dokumentationspflicht für den Apotheker gibt es nicht, auch wenn die BAK eine „Checkliste für die Abgabe von Notfallkontrazeptiva in der Selbstmedikation" erarbeitet hat und empfohlen ist, bei Minderjährigen diese auch auszufüllen.

123recht.de: Versandapotheken sollen von der Ausgabe der Pille danach ausgeschlossen sein. Womit wird das begründet?

Rechtsanwältin Punk: Begründet wird der Ausschluss nach meiner Information wegen einer nicht ausreichenden Beratung im Netz, eventuelle Vorratskäufe könnten nicht kontrolliert werden.

Zudem müsse die „Pille danach" innerhalb weniger Stunden nach dem Geschlechtsverkehr eingenommen werden – so schnell könnten Online-Apotheken aber nicht versenden.

Ausschluss von Versandapotheken "überzeugt nicht"

123recht.de: Ist das nicht wettbewerbswidrig?

Rechtsanwältin Punk: Die Ausschlussgründe überzeugen meines Erachtens nicht.

Durch Fragemasken könnten die Fragen der Checkliste online ebenso (und dazu noch dokumentiert) abgearbeitet werden und im Falle von potentiellen Ablehnungsgründen eine Versagung vorgeschrieben werden. Ob die Frau - oder auch der potentiell auch erwerbberechtigte Dritte - zutreffende Angaben tätigt, ist weder vor Ort in der Apotheke noch beim Versand abzusichern.

Dies gilt auch für Vorratskäufe. Die Abgabe sollte online wie auch in der Apotheke ohnehin auf nur eine Pille beschränkt werden.

Kurze Expressversandzeiten widerlegen auch das Argument zum zeitlichen Kriterium (innerhalb weniger Stunden), es kann zudem auch mit dem Bestellformular der späteste Einnahmezeitpunkt mitgeteilt werden.

Erlaubt oder nicht - im Internet kann man sich bereits ohne Beratung - die gängigen Präparate liefern lassen. Über die Versandapotheken könnte wenigstens ein Mindeststandard der Befragung und Beratung erfolgen.

Meines Erachtens wird der Ausschluss auf den Prüfstand gestellt und es wird besserer Argumente bedürfen, warum die Pille danach nicht über die Versandapotheken zu beziehen sein wird.

123recht.de: Wir bedanken uns ganz herzlich für das informative Gespräch.