Die Schweigepflicht: das müssen Ärzte und andere Berufsgruppen wissen
Mehr zum Thema: Experteninterviews, Schweigepflicht, Verschwiegenheitspflicht, Arzt, Heilpraktiker, OffenbarungspflichtFür welche Berufe gilt die Verschwiegenheitspflicht und was ist umfasst? Wann greift die Schweigepflicht nicht mehr?
Ärzte, Rechtsanwälte und andere Berufsgruppen unterliegen gegenüber Patienten oder Mandanten der Schweigepflicht. Was genau heißt das und was ist davon umfasst? Gibt es Ausnahmen und wie sieht es in einem Strafprozess aus? 123recht.de im Gespräch mit Rechtsanwalt Ulf Grambusch, Fachanwalt für Medizinrecht und Versicherungsrecht und Herrn Tobias Jung, Rechtsanwalt und Mediator, zur Verschwiegenheitspflicht.
123recht.de: Herr Grambusch, was versteht man unter der Verschwiegenheits- oder Schweigepflicht? Was ist der Grund für die Schweigepflicht?
Schutz der Privatssphäre
Rechtsanwalt Grambusch: Zu der Frage, was unter der Verschwiegenheits- und Schweigepflicht zu verstehen ist, führt das Bundesverfassungsgericht aus:
„Wer sich in ärztliche Behandlung begeben muss, darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt (…)“ (BVerfGE 32,373).
Im Ergebnis bedeutet das, dass ein Arzt zu allen Dingen – die er im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit von seinem Patienten erfährt – zu schweigen hat. Denn
„(…) nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, dass zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt, weil es die Chance der Heilung vergrößert und damit - im Ganzen gesehen - der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient“,
so das Verfassungsgericht weiter. Der Grund für die Verschwiegenheits- und Schweigepflicht des Arztes liegt in dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedes Menschen. Dieser Schutz der Privatsphäre genießt – nach Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG – Verfassungsrang.
123recht.de: Für welche Berufe gilt eine Schweigepflicht?
Rechtsanwalt Jung: Zu der wohl bekanntesten Berufsgruppe gehört sicherlich die der Ärzteschaft. Die Berufsordnungen der Landesärztekammern regeln die Schweigepflicht für Ärztinnen und Ärzte. Bei einem Verstoß macht sich der Arzt sogar gem. § 203 Abs. 1 StGB strafbar. Dem Straftatbestand des § 203 StGB unterliegen aber nicht nur Ärzte. Auch Angehörige anderer Heil- und Gesundheitsberufe, deren Ausbildung oder Berufsbezeichnung staatlich geregelt sind – wie etwa Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Angehörige der Pflegeberufe und Gehilfen von Ärzten und Heilberufen – sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Von der Schweigepflicht sind aber auch andere Berufsgruppe – wie u.a. Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater – erfasst.
123recht.de: Heilpraktiker sind nicht von der Schweigepflicht für Heilberufe umfasst. Darf der Heilpraktiker also über seine Patienten plaudern, so viel er will?
Rechtsanwalt Grambusch: Heilpraktiker gehören nicht zu den Katalogberufen nach § 203 StGB und sind nicht an diese Schweigepflicht gebunden. Die Berufsordnung für Heilpraktiker (https://www.heilpraktikerverband.de/aktuelles/recht/93-1-berufsordnung-fuer-heilpraktiker-boh.html) regelt jedoch ebenfalls eine Schweigepflicht, mit berufsrechtlichen Konsequenzen bei Verstößen. Für die Schweigepflicht ist auch der Behandlungsvertrag nach § 603 a BGB relevant, weshalb die Schweigepflicht den Umfang der Schweigepflicht der Ärzte hat.
123recht.de: Was genau umfasst die Schweigepflicht?
Auch Wahrnehmungen sind von der Schweigepflicht umfasst
Rechtsanwalt Jung: Vor dem Hintergrund der Historie der Erbringung ärztlicher Leistungen regelte bereits der Eid des Hippokrates:
“Was immer ich sehe und höre bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach außen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als solches betrachte, dass nicht ausgesprochen werden darf.“ (vgl. Laufs/Kern, Hdb. des Arztrecht § 65 Rd. 1 f.).
Konkret bedeutet dies, dass der Arzt zu allen Wahrnehmungen schweigen muss, die er bei der Ausübung seines Berufes erlangt hat. Dies umfasst nicht nur das zwischen ihm und dem Patienten direkt gesprochene Wort. Hiervon sind auch Wahrnehmungen, die er über Patienten oder deren Begleiter erlangt hat. Dies ist auch nur konsequent, denn sonst könnte die Verpflichtung – und damit das Geschützte Arzt-Patientenverhältnis – umgangen werden.
123recht.de: Was droht, wenn man gegen die Schweigepflicht verstößt?
Rechtsanwalt Grambusch: Nach § 203 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis, offenbart, das ihm als Arzt anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist. Ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht kann berufsrechtliche und/oder berufsgerichtliche Folgen haben, sowie Schadensersatzansprüche begründen.
Schweigepflicht über den Tod hinaus
123recht.de: Gilt die Pflicht unendlich lange oder gibt es Grenzen?
Rechtsanwalt Grambusch: Die ärztliche Schweigepflicht reicht nach der Rechtsprechung des OLG München über den Tod des Patienten hinaus. Wörtlich führt das Gericht aus:
„Fehlt es an einer Willenserklärung des verstorbenen Patienten zu Lebzeiten, so ist der mutmaßliche Wille des Verstorbenen zu erforschen. Geht ein mutmaßlicher Wille des Verstorbenen eindeutig dahin, dass er unter Berücksichtigung seines wohlverstandenen Interesses auf eine weitere Geheimhaltung verzichten würde, so steht dem Zeugen ein Verweigerungsrecht aus § 385 Abs. 2 ZPO nicht zu (vgl. dazu BayObLG, NJW 1987, 1492). (…) Um der Gefahr zu begegnen, dass der Arzt aus unsachlichen Gründen sich auf die Schweigepflicht beruft, muss der Arzt zumindest darlegen, unter welchen allgemeinen Gesichtspunkten er sich durch die Schweigepflicht an einer Aussage gehindert sieht, d. h. eine Weigerung muss er auf konkrete oder mutmaßliche Belange des Verstorbenen stützen. Sofern die von dem Arzt in diesem Rahmen angeführten Gründe nicht nachvollzogen werden können und eine Weigerung nicht rechtfertigen können, ist daher von einer mutmaßlichen Einwilligung zur Entbindung der ärztlichen Schweigepflicht auszugehen (Beschluss vom 19.09.2011, Az. 1 W 1320/11, vgl. BGH NJW 1983, 2627; OLG München, MedR 2009, 49).“
123recht.de: Man kann also von der Schweigepflicht entbunden werden? Kann man das mündlich machen?
Rechtsanwalt Grambusch: Selbstverständlich kann der Arzt – so wie jeder andere Berufsgeheimnisträger auch – durch den Patienten oder den sonst Berechtigten von der Schweigepflicht entbunden werden. Dies kann mündlich oder schriftlich geschehen. Aus Gründen der Dokumentation und der Notwendigkeit eines Nachweises im Falle einer strafrechtlichen, zivilrechtlichen oder berufsrechtlichen Streitigkeit ist eine schriftliche Entbindung aus anwaltlicher Sicht in der Praxis aber zwingend geboten.
Ärzte haben Zeugnisverweigerungsrecht - Heilpraktiker nicht
123recht.de: Was ist vor Gericht, z.B. in einem Strafprozess?
Rechtsanwalt Jung: In einem Strafprozess steht dem Arzt – wie auch den anderen in § 53 StPO genannten Berufsgruppen und über § 53 a StPO deren Gehilfen – ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Diese Regelung ist auch nur konsequent. Denn die Schweigepflicht des § 203 StGB gilt auch im Strafprozess fort. Der Arzt würde sich mit einer Zeugenaussage strafbar machen. Darüber hinaus soll mit dieser prozessualen Vorschrift das Arzt-Patientenverhältnis – das, neben den Beziehungen zu den anderen dort genannten Personen, auf einem besonderen Vertrauen basiert – auch in einem Strafverfahren geschützt werden. Die Schweigepflicht und das Zeugnisverweigerungsrecht entfallen, wenn eine Entbindung von der Schweigepflicht vorliegt.
Heilpraktiker haben übrigens kein Zeugnisverweigerungsrecht wie Ärzte. Die Regelung des § 53 StPO ist eine abschließende Regelung und kommt nur den dort genannten Berufsgruppen zugute.
123recht.de: Ein Heilpraktiker, der in einem Strafprozess über einen Patienten aussagt, drohen dann also auch keine berufsrechtlichen Konsequenzen?
Rechtsanwalt Jung: Diese Frage lässt sich leider nicht pauschal beantworten. Richtig ist jedenfalls, dass der Heilpraktiker nicht das Recht aus § 53 StPO hat. Er muss also bei einer Zeugenvernehmung in einem Strafverfahren eine Aussage machen. Er macht sich damit auch nicht nach § 203 StGB strafbar, denn er ist kein Berufsgeheimnisträger. Richtig ist aber auch, dass Art. 3 Berufsordnung für Heilpraktiker (BOH) die Verpflichtung zur Verschwiegenheit vorsieht. Ob er sich etwaigen Konsequenzen nach der Berufsordnung der Heilpraktiker aussetzt, ist dort nicht geregelt. Allerdings sind auch nicht alle Heilpraktiker einem Fachverband angeschlossen. Eine Kammer – wie z.B. bei Ärzten oder Rechtsanwälten – gibt es nicht. Welche Konsequenzen sollten damit denjenigen Heilpraktiker treffen, der keinem Berufsverband angehört? Keine! Im Zweifel sollte sich der Betroffene an seinen Fachverband – oder besser direkt an einen Rechtsanwalt – wenden.
123recht.de: Was gilt, wenn drohende Straftaten verhindert werden könnten, die Schweigepflicht das aber nicht zulässt?
Geplante Straftaten müssen zur Anzeige gebracht werden
Rechtsanwalt Grambusch: Die Schweigepflicht kann im Einzelfall zu Gunsten eines höherwertigen Rechtsguts zurücktreten, weshalb dem Adressaten der Schweigepflicht ein in der Praxis schwieriger und ohne Rechtsberatung kaum auflösbarer Abwägungsprozess aufgebürdet wird. Es muss immer eine sorgsame Abwägung zwischen den beiden Rechtgütern – dem vordergründig höherwertigen Rechtsgut und der Schweigepflicht – vorgenommen werden. Denn wann die Schweigepflicht hinter einem anderen Rechtsgut zurücktritt, ist immer im Einzelfall zu klären.
123recht.de: Was ist die Offenbarungspflicht? Kann diese Pflicht mit der Schweigepflicht kollidieren?
Rechtsanwalt Jung: Es gibt gesetzliche Regelungen die z.B. einen Arzt verpflichten, Informationen aus seiner ärztlichen Tätigkeit – zum Schutz höherwertiger Interessen – offen zu legen. So z.B. das Infektionsschutzgesetz, das regelt, welche Erkrankungen und Erreger den Behörden gemeldet werden müssen, welche Informationen über den Patienten offenbart werden müssen und welche Personen zur Meldung verpflichtet sind. Daneben besteht die Verpflichtung zur Anzeige von u.a. Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen durch den Arzt nach dem SGB VII.
Aber auch das Strafgesetzbuch sieht in § 138 StGB vor, dass der Arzt – wie jeder andere Bürger auch – geplante Straftaten wie Mord, Hochverrat etc. zur Anzeige bringen muss. Aber Achtung! Es geht in dieser Regelung nur um solche Taten, die lediglich geplant sind. Ein Räuber, der vielleicht bei der Flucht angeschossen wurde, kann sich in eine ärztliche Versorgung begeben ohne fürchten zu müssen, der Arzt würde ihn nun wegen des Verdachts einer Straftat anzeigen.
123recht.de: Kann man sich die Schweigepflicht auch vertraglich zusichern lassen?
Rechtsanwalt Grambusch: Zusätzlich zu den §§ 630a ff. BGB gibt es auch andere Fälle einer Schweigepflicht, zum Beispiel im Arbeitsrecht. Auch wenn es keine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung gibt, unterliegen Arbeitnehmer einer vertraglichen Nebenpflicht bezüglich aller betrieblichen und geschäftlichen Geheimnisse. Vertragliche Regelungen, mit denen sich Arbeitnehmer pauschal zur Geheimhaltung verpflichten müssen anwaltlich auf deren Verhältnismäßigkeit oder etwaige Nichtigkeit geprüft werden.
123recht.de: Vielen Dank Herr Grambusch! Vielen Dank Herr Jung!
somit ist die "schweigepflicht" NICHTS wert...garnichts...
Bitte lesen Sie das Interview nochmal in Hinblick darauf wer an die Schweigepflicht gebunden ist.
Desweiteren ist es nicht verboten, seinen Arzt nach der Handhabung der digitalen Daten zu fragen.
"Früher" standen die gleichen Daten auf dem Papier. Wurden dann eben kopiert und weitergegeben.
Ich verstehe grad nicht Ihr Problem.
Aber sie ist eben in der Praxis NICHTS wert, weil die schlecht oder garnicht ausgebildeten "Thekenkräfte" Zugriff auf PatientenDaten haben, die der Schweigepflicht unterliegen. Ich habe da schon "Schnatterweiber" erlebt, die in (knapper) Reichweite des Patienten "Fachgespräche" führen...Da so gut wie 100% der Praxen digital speichern, nutzt das Ganze "Schweigepflicht blahblah" garnichts, wenn der Datenschutz der Patienten mangelhaft ist...Das ist ein Grosses Problem...