Die Sozialversicherungspflicht des Arbeitnehmers
Mehr zum Thema: Experteninterviews, Sozialversicherungspflicht, Arbeitnehmer, Beitragsbemessungsgrenze, Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung, ArbeitslosenversicherungKrankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung - die verschieden Bereiche der gesetzlichen Sozialversicherung
Jeder Arbeitnehmer hat die Sozialversicherung anteilig auf der Lohn-/ Gehaltsabrechnung. Aber was genau verbirgt sich dahinter und welche Bedeutung haben z.B. die Beitragsbemessungsgrenzen und die Jahresarbeitsentgeltgrenze? Rechtsanwalt Sebastian Braun erläutert im Interview mit 123recht.de, was Arbeitnehmer beachten müssen.
123recht.de: Herr Braun, was ist die Sozialversicherungspflicht und warum gibt es sie?
seit 2016
Rechtsanwalt Braun: Als Sozialversicherungspflicht wird die Pflicht bezeichnet, sich gegen bestimmte Risiken des alltäglichen Daseins abzusichern. Die Sozialversicherungspflicht führt dazu, dass jeder Arbeitnehmer, der sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, automatisch Pflichtmitglied in folgenden Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung wird, dies sind die Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung. Neben der automatischen Pflichtmitgliedschaft der Arbeitnehmer in den vorgenannten Zweigen der Sozialversicherung werden Arbeitnehmer über Ihren Arbeitgeber auch gegen berufliche Unfälle abgesichert.
Zu den weiteren Aspekten des Sozialversicherungssystem gehört auch, dass alle Bürger sich krankenversichern müssen, es besteht über die arbeitsplatzgebundene Sozialversicherungspflicht auch eine allgemeine Krankenversicherungspflicht, die Erfüllung dieser Pflicht kann auch durch den Abschluss einer privaten Krankenversicherung erfolgen.
Die Sozialversicherungspflicht sichert die Risiken des Alltags ab, also Risiken, die jeden treffen können, bspw. Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Arbeitslosigkeit, Erwerbsminderung, Alter und auch die Mutterschaft. Dabei werden die Kosten in den gesetzlichen Sozialversicherungen von allen Versicherten getragen, es handelt sich demnach um eine Solidarversicherung, wobei die Beiträge von den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern zum Großteil jeweils paritätisch getragen werden. Ausnahme ist hier die Umlage zur Mutterschaft und zur betrieblichen Unfallversicherung, diese wird nur von den Arbeitgebern getragen. Die privaten Versicherungssysteme sparen die Beiträge der jeweiligen Versicherten dagegen und begleichen eventuelle Ausgaben aus dem angesparten Guthaben.
Die gesetzliche Sozialversicherung wurde gegründet, weil viele Menschen vor der Gründung der Sozialversicherung beim Eintreten eines der oben genannten Risiken unmittelbar ohne Einkommen waren und diese Mittellosigkeit nicht nur schwerwiegende persönliche Konsequenzen hatte, bspw. Arbeitsplatzverlust bei schweren Unfällen, Wohnungsverlust, sondern auch den Staat in wirtschaftliche Schwierigkeiten brachte, wenn plötzlich ein größerer Teil der Bürger ohne Einkommen ist. Diese Bürger schränken dann bspw. ihr Konsumverhalten ein, wodurch wiederum die Wirtschaftsleistung sinkt und zum Beispiel die Arbeitslosigkeit steigt.
Zu beachten ist noch, dass der Gesetzgeber für die verschiedenen Sozialversicherungszweige so genannte Beitragsbemessungsgrenzen festgelegt hat. Die Beitragsbemessungsgrenzen führen dazu, dass das Einkommen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze für die Beitragsberechnung herangezogen wird. Einkommen, das über einer solchen Beitragsbemessungsgrenze liegt, wird für die Bestimmung des Beitrages nicht berücksichtigt.
Ob Sozialversicherungspflicht oder Selbstständigkeit regelt die Statusfeststellung
123recht.de: Wie erfolgt die Statusfeststellung und wer ist dafür zuständig?
Rechtsanwalt Braun: Die Statusfeststellung dient dazu, festzustellen, ob eine Person mit der konkreten Tätigkeit sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist oder selbstständig beschäftigt. Im Fall einer selbstständigen Tätigkeit zahlt die Person keine Beiträge in die gesetzliche Sozialversicherung ein, muss anstelle dessen selbst Vorsorge für Alter, Krankheit und alle anderen Risiken des alltäglichen Daseins sorgen.
123recht.de: Welche Bedeutung hat die Jahresarbeitsentgeltgrenze?
Rechtsanwalt Braun: Die Jahresentgeltgrenze im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung dient dazu, zu bestimmen, ob die Person im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig ist oder nicht. Die Person ist nämlich grundsätzlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt, bezieht aber ein so hohes Einkommen, dass der Gesetzgeber bestimmt hat, dass die Person Eigenvorsorge treffen kann, bspw. durch eine private Krankenversicherung. Versichern muss diese Person sich dennoch.
Freie Berufe können von der Sozialversicherungspflicht befreit werden
123recht.de: Kann man sich von der Sozialversicherung befreien lassen? Wie geht so etwas?
Rechtsanwalt Braun: Eine Befreiung von der Sozialversicherungspflicht ist für bestimmte so genannte freie Berufe möglich, bspw. Ärzte, Anwälte, Architekten und ähnliche Berufe. Für diese Berufe bestehen Versorgungswerke. Versorgungswerke sind Einrichtungen, die bestimmte Bereiche der gesetzlichen Sozialversicherung übernehmen, hier die Rentenversicherung. Weiterhin ist eine Befreiung möglich, wenn eine Einschreibung als Student erfolgt, weitere Befreiungen sind in § 8 Abs. 1 SGB V geregelt.
Für Minijobber gilt die Geringfügigkeitsgrenze
123recht.de: Gibt es Besonderheiten bei Minijobbern?
Rechtsanwalt Braun: Minijobber üben keine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aus. Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber eine so genannte Geringfügigkeitsgrenze festgelegt hat. Wenn das Entgelt unter dieser Grenze, der Minijob-Grenze, bleibt, ist die Tätigkeit nicht sozialversicherungspflichtig. Im Jahre 2024 liegt diese bei monatlich 538 €. Daher können Minijobber ein Nettoentgelt in Höhe ihres Bruttoentgelts erhalten, so genanntes „Brutto gleich Netto“. Der Gesetzgeber hat zugleich beschlossen, dass auch für Minijobber Beiträge abgeführt werden müssen, diese werden aber komplett vom Arbeitgeber getragen. Bei Ausübung eines Minijobs erfolgt die Versicherung daher über die sozialversicherungspflichtige Haupttätigkeit, dies bedeutet zugleich im Umkehrschluss, dass ein Minijobber ohne Haupttätigkeit nicht versichert ist, es sei denn es greifen Sondertatbestände, bspw. eine Familienversicherung. Zu beachten ist dabei noch, dass auch mehrere Minijobs ausgeübt werden können, dabei darf dann das Entgelt aus den Minijobs insgesamt nicht die Minijob-Grenze überschreiten, sonst werden alle Minijobs sozialversicherungspflichtig.
Vorsicht bei Scheinselbstständigkeit
123recht.de: Was ist bei Scheinselbstständigkeit zu beachten?
Rechtsanwalt Braun: Als Scheinselbstständigkeit wird der Umstand bezeichnet, dass eine Tätigkeit als selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird, die Person aber tatsächlich wie ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber behandelt wird. Die Person wird in die Urlaubsplanung mit einbezogen, in Krankheitsfällen gibt es ein Entgelt und der Arbeitgeber ist weisungsberechtigt. Wenn die Scheinselbstständigkeit durch eine Prüfung der Deutschen Rentenversicherung festgestellt wird, wird die Person wie ein Arbeitnehmer nachversichert. Diese Beiträge muss dann der Arbeitgeber komplett leisten, er kann nur für die letzten 3 Monate eine Beteiligung des Arbeitnehmers fordern.
Beitragsbemessungsgrenze bei mehreren Jobs beachten
123recht.de: Was gilt bei mehreren Jobs?
Rechtsanwalt Braun: Mehrere sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten werden für die Bestimmung des Beitrages zusammengerechnet, die Beiträge bei dem jeweiligen Arbeitgeber bestimmen sich dann anteilig. Durch mehrere sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten kann auch die Jahresentgeltgrenze überschritten werden. So dass der Arbeitnehmer sich privat versichern kann. Bei Überschreiten der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenzen durch mehrere Jobs werden auch in solchen Fällen die Beiträge auf die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt. Einkommen, das über der Beitragsbemessungsgrenze liegt, wird dann nicht mehr belastet.
123recht.de: Für welche Arbeitgeber fallen keine Sozialversicherungsbeiträge an?
Rechtsanwalt Braun: Die Arbeitgeber der öffentlichen Hand leisten für Ihre Beamten, Richter und Soldaten keine Sozialversicherungsbeiträge. Dazu gehören auch die Beschäftigten der Kirchen, soweit sie geistliche Ämter ausüben (bspw. Pfarrer, Priester).
123recht.de: Kann man sich freiwillig versichern?
Rechtsanwalt Braun: Eine freiwillige Versicherung ist in der Kranken- und Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung möglich. In der Kranken- und Pflegeversicherung kann eine freiwillige Versicherung bei Überschreiten der Jahresentgeltgrenze oder als Selbstständiger erfolgen. In der Renten- und Arbeitslosenversicherung erfolgt dies nur auf Antrag und bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen.
Deutsches Sozialversicherungsrecht gilt bei Entsendung
123recht.de: Was gilt bei Auslandsbeschäftigten?
Rechtsanwalt Braun: Wenn ein Arbeitnehmer eines deutschen Unternehmens im Ausland beschäftigt wird, gilt grundsätzlich das Sozialrecht des Beschäftigungsstaates. Eine Ausnahme besteht für das EU-Ausland, hier kann eine Entsendung vereinbart werden. Bei der Entsendung wird der Arbeitnehmer für einen begrenzten Zeitraum, bspw. 2 Jahre, entsandt, dabei gilt dann das deutsche Sozialversicherungsrecht fort.
123recht.de: Wann endet die Sozialversicherungspflicht und kann diese wieder aufleben?
Rechtsanwalt Braun: Die Sozialversicherungspflicht endet mit dem Ende einer Beschäftigung und lebt bei Neuaufnahme einer Beschäftigung wieder auf. Wenn der Arbeitnehmer Arbeitslosengeld oder Bürgergeld bezieht, bleibt er sozialversicherungspflichtig. Wenn die Sozialversicherungspflicht durch Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit endet, lebt die Sozialversicherungspflicht wieder auf, wenn eine neue sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen wird.
123recht.de: Vielen Dank für das informative Interview.