Die ärztliche Schweigepflicht
Mehr zum Thema: Experteninterviews, Schweigepflicht, Arzt, Geltungsbereich, Entbindung, psychische Erkrankungen, Verstoß, SelbstmordgefahrHerkunft, Geltungsbereich, Entbindung - die wichtigsten rechtlichen Fragen zur Schweigepflicht von Ärzten und medizinischem Personal
Ärzte unterliegen genau wie Anwälte der beruflichen Schweigepflicht. Doch nach dem Germanwings-Absturz fragten sich viele: Gibt es nicht vielleicht doch eine Pflicht für Ärzte, den Arbeitgeber eines Patienten über gefährdende Erkrankungen zu informieren? Und was ist bei gefährlichen, ansteckenden Krankheiten oder Seuchengefahr? Grund genug, die Schweigepflicht des Arztes einmal näher zu betrachten. Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Guido C. Bischof steht zu den wichtigsten Fragen Rede und Antwort.
Der Ursprung der ärztlichen Schweigepflicht geht auf den Eid des Hippokrates zurück
123recht.de: Herr Bischof, woher kommt die Schweigepflicht für Ärzte?
Rechtsanwalt Bischof: Die Schweigepflicht war schon seit der Antike fester Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit. Schon der Eid des Hippokrates, benannt nach dem griechischen Arzt Hippokrates von Kos (um 460 bis 370 v. Chr.), beinhaltet die ärztliche Schweigepflicht. Heute regeln die Berufsordnungen der jeweiligen Ärztekammern die Schweigepflicht. So heißt es in der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer (BÄK) "Ärztinnen und Ärzte haben über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Ärztin oder Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist - auch über den Tod der Patientin oder des Patienten hinaus - zu schweigen.". Daneben ist die Schweigepflicht auch in § 203 Strafgesetzbuch (StGB) geregelt.
Es gibt Schweigepflichten für verschiedenste Berufsgruppen, nicht nur für Ärzte
123recht.de: Gilt die Schweigepflicht nur für Ärzte?
Rechtsanwalt Bischof: Die Regelungen der ärztlichen Berufsordnung gelten zunächst nur für Ärzte. Die Regelung der Schweigepflicht im Strafgesetzbuch ist aber wesentlich umfassender. Dort fallen z. B. Tierärzte, Apotheker oder Angehörige anderer Heilberufe, Rechtsanwälte, Steuerberater, Sozialarbeiter und noch einige mehr unter die Schweigepflicht. Daneben auch Hilfskräfte und Auszubildende dieser Berufsgruppen.
Praktisch sind damit z. B. das Pflegepersonal, Praxisangestellte, aber auch etwa Studenten, die in der Praxis oder einer Kanzlei ein Praktikum absolvieren, von der Schweigepflicht erfasst.
Schweigepflicht gilt auch gegenüber Ehegatten
123recht.de: Wem gegenüber gilt die Schweigepflicht?
Rechtsanwalt Bischof: Die Schweigepflicht gilt grundsätzlich zunächst gegenüber jedem, außer dem Patienten selbst. Will ein Arzt mit anderen Personen über den Patienten reden, muss hierfür das Einverständnis des Patienten vorliegen. Bei einigen Personen kann man aber logisch von einem Einverständnis ausgehen, z.B. dem Praxispersonal oder gegenüber weiteren behandelnden Ärzten. Auf der anderen Seite kann der Patienten den Arzt von der Schweigepflicht entbinden, er kann also Mitteilungen des Arztes generell oder im jeweiligen Einzelfall ausdrücklich erlauben.
123recht.de: Die Schweigepflicht gilt also auch gegenüber Angehörigen oder Ehegatten? Und haben Arbeitgeber kein Recht darauf zu erfahren, was mit ihren Mitarbeitern los ist?
Rechtsanwalt Bischof: Ja, auch gegenüber Angehörigen, auch Ehegatten, gilt zunächst die Schweigepflicht. Erst recht gilt sie gegenüber dem Arbeitgeber. Der Arzt darf auch hier nur Auskunft geben, wenn der Patient dies ausdrücklich erlaubt hat oder der Arzt von einer solchen Erlaubnis ausgehen kann. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn ein Ehegatte bei den Arztbesuchen dabei ist und so etwa von einer Krankheit und der Behandlung sowieso Kenntnis hat. Gegenüber Arbeitgebern darf ein Arzt nur bei ausdrücklicher Erlaubnis des Patienten Angaben machen. Dies gilt auch für den Betriebsarzt, dieser darf zwar Angaben zur Tauglichkeit des Patienten gegenüber dem Arbeitgeber machen, jedoch grundsätzlich keine Details zu Diagnosen mitteilen.
Bei Seuchengefahr oder psychischen Erkrankungen kann der Arzt von der Schweigepflicht entbunden sein
123recht.de: Ist der Arzt immer an die Schweigepflicht gebunden oder gibt es Ausnahmen?
Rechtsanwalt Bischof: Der Arzt ist nicht an die Schweigepflicht gebunden, wenn der Patient ausdrücklich einwilligt. Daneben gibt es aber auch andere Fälle, in denen die Schweigepflicht aufgehoben ist. So besteht z.B. für einige Krankheiten nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine namentliche Meldepflicht. Der Arzt ist hier sogar verpflichtet, die Krankheit des Patienten mit dessen Daten der Gesundheitsbehörde zu melden.
Daneben darf der Arzt die Schweigepflicht auch brechen, wenn er eine Eigen- oder Fremdgefährdung des Patienten erkennt, z.B. durch eine psychische Erkrankung. Voraussetzung ist, dass diese Gefährdung nicht anders abwendbar ist, etwa durch die freiwillige Behandlung des Patienten.
Erfährt ein Arzt, dass der Patient bestimmte, schwere Straftaten begehen will, ist er sogar zur Anzeige verpflichtet. Hierunter fallen jedoch nur einige schwere Straftaten wie etwa Mord und Geiselnahme (§ 139 StGB).
Diese Regelung gilt ausdrücklich nicht für bereits begangene Straftaten. Erfährt der Arzt von einer bereits abgeschlossenen Straftat, ist er an die Schweigepflicht gebunden.
"Bruch der Schweigepflicht muss immer der letzte Ausweg sein"
123recht.de: Bei erkennbaren Selbstmordabsichten etwa müsste ein Arzt also handeln? Wem würde er davon mitteilen? Und gibt es dann auch eine Verpflichtung, den Arbeitgeber zu unterrichten?
Rechtsanwalt Bischof: Ein Bruch der Schweigepflicht muss immer der letzte Ausweg sein. Wenn eine Selbsttötungsabsicht besteht und gleichzeitig der Patient sich einer Therapie verweigert, kommt auch eine Information an Dritte in Betracht. In der Praxis informiert der Arzt dann je nach örtlicher Zuständigkeit das Ordnungs- oder Gesundheitsamt. Diese veranlassen kurzfristig ggf. eine zwangsweise Krankenhauseinweisung. Eine Verpflichtung unmittelbar den Arbeitgeber zu informieren, gibt es nicht. In der Regel ist dies auch nicht erforderlich, wenn Ordnungs- oder Gesundheitsamt informiert sind, obliegen weitere Maßnahmen diesen.
123recht.de: Was ändert sich an der Schweigepflicht, wenn der Patient verstirbt?
Rechtsanwalt Bischof: Die Schweigepflicht gilt über den Tod hinaus. Allerdings haben nach dem Tod die Erben und nahe Angehörige ein Einsichtsrecht in die Behandlungsunterlagen (§ 630g Abs. 3 BGB). Dadurch ergibt sich faktisch eine Umgehung der Schweigepflicht.
Verstöße gegen die Schweigepflicht können zum Verlust der Approbation führen
123recht.de: Was droht dem Arzt, wenn er die Schweigepflicht unberechtigt verletzt?
Rechtsanwalt Bischof: Dem Arzt drohen zum einen berufsrechtliche Folgen. Diese können bei einer Art Verwarnung durch die zuständige Ärztekammer anfangen und bis zum Verlust der Approbation führen. Daneben stellen Verletzungen der Schweigepflicht regelmäßig auch Straftaten nach § 203 Strafgesetzbuch dar und können mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden. Alleine die Verletzung der Schweigepflicht führt zudem zu Schadensersatzansprüchen des Patienten.
123recht.de: Kommen Verstöße häufig vor?
Rechtsanwalt Bischof: Die meisten Verstöße geschehen nicht aus Absicht, sondern versehentlich. Dies kann etwa der Fall sein, wenn etwa ein Befundbericht versehentlich an jemand vollkommen Unbeteiligten versandt wird. Dann liegt zwar keine Straftat vor, aber auch dies kann zu Schadensersatzansprüchen führen. Fälle, in denen die Schweigepflicht absichtlich gebrochen wird, sind relativ selten.
Bei anhaltenden Verstößen sollten Patienten den Rechtsweg wählen
123recht.de: Was kann ich tun, wenn ich meine, dass bei meinem Arzt mit dem Thema zu unsensibel umgegangen wird?
Rechtsanwalt Bischof: Am sinnvollsten wird sein, das Thema offen und vorwurfsfrei anzusprechen. Oft geschehen Verstöße unbeabsichtigt in der Hektik des Praxis- oder Krankenhausalltags. Bei Uneinsichtigkeit oder Wiederholungen sollten sich die Geschädigten allerdings nicht scheuen, den Rechtsweg zu beschreiten. Sofern tatsächlich ein Bruch der Schweigepflicht vorliegt, gehören dann auch Anwalts- und Gerichtskosten zum Schadensersatz. Der Geschädigte muss also regelmäßig keine Sorgen haben, auf diesen Kosten sitzen zu bleiben.
123recht.de: Herr Bischhof, wir bedanken uns ganz herzlich für das informative Gespräch.