Die neue Abhilfeklage
Mehr zum Thema: Experteninterviews, Abhilfeklage, Verbraucher, Verbraucherzentralen, Klage, UnternehmenMehr Rechte für Verbraucher bei Auseinandersetzungen mit Unternehmen?
Durch die neue Abhilfeklage hat der Gesetzgeber eine EU-Vorgabe umgesetzt, die es Verbraucherzentralen erleichtert, die Rechte der Verbraucher durchzusetzen. Mit diesem Instrument können Verbraucherzentralen und Verbände leichter direkt Entschädigungen für viele Verbraucher erstreiten. Rechtsanwalt Christian Lenz erläutert im Interview, was Verbraucher nun wissen müssen.
123recht.de: Herr Lenz, was ist der Zweck der neuen Abhilfeklage und warum hielt der Gesetzgeber die Einführung für notwendig?
seit 2021
Rechtsanwalt Lenz: Die sog. Abhilfeklage ist durch das am 13. Oktober 2023 Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) im Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) Gesetz geworden. Es regelt neben der Abhilfeklage auch noch die Musterfeststellungsklage, die es als Instrument für bestimmte Fälle auch schon zuvor gab. Im Rahmen eines solchen Musterfeststellungsverfahrens wurden Feststellungen getroffen, die für eine Vielzahl von Verfahren und damit auch für viele Verbraucher Auswirkungen hatten. Auf Grundlage dieser allgemeinen Feststellungen mussten die Verbraucher im Anschluss an das Musterfeststellungsverfahren aber noch individuelle Verfahren anstrengen, wo verbleibende Fragen geklärt wurden. Das wohl bekannteste Beispiel sind die sog. Dieselprozesse. Während bestimmte rechtliche Fragen (z.B. Vorliegen eines Sachmangels oder von Vorsatz oder Fahrlässigkeit) für sämtliche Einzelverfahren gleichermaßen zentral geklärt werden konnten und die Ergebnisse auch in diesen beachtet werden mussten, ist dies etwa für den Schaden des einzelnen Kfz-Eigentümers nicht möglich gewesen. Derartige Fragen mussten in einem Einzelprozess geklärt werden. Entsprechend traf den Verbraucher hier ein Prozess- und Kostenrisiko.
Diesem vom Gesetzgeber als Missstand identifizierten Zustand soll nun durch die Möglichkeit der Abhilfeklage begegnet werden.
Neben der Stärkung von Verbraucherrechten verspricht man sich mehr Prozessökonomie und insgesamt eine Entlastung der Gerichte.
Denkbare Anwendungsfälle sind z.B. auch die Stornierung eines Fluges oder einer Veranstaltung oder die Nachzahlung von Zinsen.
Verbraucher selbst können nicht klagen
123recht.de: Gilt die Abhilfeklage nur für Verbraucher? Wer hat Klagebefugnis?
Rechtsanwalt Lenz: Die Abhilfeklage ist vor allem für Ansprüche von Verbrauchern geschaffen worden. Allerdings sind auch kleine Unternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und deren Jahresumsatz zwei Millionen Euro nicht übersteigt, berechtigt, ihre Forderungen anzumelden, § 1 Abs. 2 VDuG.
Klagebefugt sind nach § 2 Abs. 1 VDuG bestimmte Verbraucherverbände und andere qualifizierte Einrichtungen, insbesondere Mitgliedsverbände, wie z.B. der ADAC oder die Deutsche Umwelthilfe, sowie Verbraucherzentralen.
Klagemöglichkeit erst ab 50 Verbrauchern
123recht.de: Welche Voraussetzungen müssen für eine Abhilfeklage vorliegen?
Rechtsanwalt Lenz: Neben der gerade angesprochenen Klageberechtigung muss z.B. ein Quorum an Verbrauchern erfüllt werden, § 4 Abs. 1 VDuG. Dies bedeutet, dass mindestens 50 Verbraucher von dem Verfahren betroffen sein müssen. Zudem muss es um bürgerlich-rechtliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern gehen, § 1 Abs. 1 VDuG. Verbraucher können hier also nicht gegeneinander prozessieren.
Eine Kernvoraussetzung ist jedoch, dass die Ansprüche der Verbraucher im Wesentlichen gleichartig sein müssen. Nur so lassen sich die Ziele des Gesetzgebers verwirklichen. Wann eine solche wesentliche Gleichartigkeit gegeben ist, wird die Rechtsprechung angesichts der im Gesetz verwandten unbestimmten Rechtsbegriffe noch herauszuarbeiten haben.
123recht.de: Gibt es Einschränkungen?
Rechtsanwalt Lenz: Ja, insbesondere sollen missbräuchliche Klagen verhindert werden. So ist eine Abhilfeklage etwa unzulässig, wenn die Finanzierung durch einen Wettbewerber des verklagten Unternehmens erfolgt oder diesem ein mehr als 10-prozentiger Anteil an der zu erbringenden Leistung versprochen wird, § 4 Abs. 2 VDuG.
123recht.de:Wie kann man sich anmelden?
Rechtsanwalt Lenz: Die Anmeldung von Ansprüchen richtet sich nach § 46 VDuG. Verbraucher können diese zur Eintragung in ein Verbandklageregister anmelden. Dies ist bis drei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung möglich. Dabei haben sie ihren Namen und ihre Anschrift, das Gericht und das Aktenzeichen sowie den Beklagten anzugeben. Des Weiteren müssen Gegenstand und Grund des Anspruchs und des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses benannt werden. Ggf. ist auch die Höhe eines geltend gemachten Zahlungsanspruchs zu benennen. Der Verbraucher hat die Angaben an Eides statt zu versichern. Kleine Unternehmen müssen zudem angeben, dass die Anmeldung in dieser Eigenschaft erfolgt.
Klagen finden vor dem Oberlandesgerichten statt
123recht.de: Wie soll das Verfahren ablaufen und wer ist dafür zuständig?
Rechtsanwalt Lenz: Zunächst ist zu beachten, dass die klageberechtigte Stelle, also spätere Klägerin, auf ihrer Internetseite über Verbandsklagen zu informieren hat, die sie erheben will oder bereits erhoben hat, sowie über deren Verfahrensstand. Verbraucher können sich so also recht einfach über anstehende oder bereits anhängende Verfahren informieren.
Das Verfahren wird vor dem Oberlandesgericht durchgeführt und beginnt wie andere Zivilprozesse mit der Klageeinreichung. Nach Einreichung der Klage und Darlegung der Mittelherkunft für die Finanzierung des Prozesses (§ 4 Abs. 2 VDuG) geht das Verfahren seinen üblichen Gang nach der Zivilprozessordnung. Es kann also ein schriftliches Vorverfahren geben und es kommt irgendwann zu einer mündlichen Verhandlung.
Insbesondere kann auch ein gerichtlicher Vergleich mit Wirkung auch für und gegen die beteiligten Verbraucher getroffen werden, § 9 VDuG. Dies ist allerdings erst dann möglich, wenn keine Anmeldung mehr zum Verbandklageregister durch weitere Verbraucher erfolgen kann.<
Erfolgt kein Vergleichsschluss, so ergeht letztlich ein Urteil. Dies ist zunächst das Abhilfegrundurteil nach § 16 VDuG. Darin wird rechtsverbindlich über zentrale Fragen des Rechtsstreits entschieden. Auch kann bereits ein konkreter Betrag genannt sein, der den einzelnen Verbrauchern zusteht. Über die konkrete Umsetzung wird darin gleichwohl noch nicht entschieden. Stattdessen unterbreitet das Gericht zur Umsetzung einen Vergleichsvorschlag, § 15 VDuG. Kommt ein Vergleich über die Umsetzung nicht zustande, entscheidet das Gericht durch Abhilfeendurteil, § 18 VDuG. In diesem wird das Umsetzungsverfahren angeordnet und das Unternehmen kann auf entsprechenden Antrag in der Klageschrift zu der Zahlung eines zu zahlenden Gesamtbetrags verurteilt werden. Es ist jedoch auch möglich, dass direkt ein Endurteil ergeht, § 16 Abs. 4 VDuG.
Gegen das Urteil ist stets Revision zum Bundesgerichtshof zulässig, § 18 Abs. 4 VDuG.
Das Abhilfeverfahren hemmt die Verjährung
123recht.de: Hat das Verfahren Auswirkung auf Verjährung?
Rechtsanwalt Lenz: Ähnlich wie bei anderen gerichtlichen Verfahren wird die Verjährung während des Abhilfeverfahrens gehemmt, d.h. diese läuft nicht weiter, § 204 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BGB. Dies gilt allerdings nur für solche Verbraucher, die sich durch Anmeldung dem Verfahren angeschlossen haben. Die Hemmung endet sechs Monate, nachdem der Verbraucher nicht mehr am Verfahren teilnimmt, also z.B. nach Rücknahme der Anmeldung oder schlicht durch rechtskräftiges Urteil, § 204a Abs. 3 BGB.
Nach dem Urteil folgt das Umsetzungsverfahren
123recht.de: Wie geht es nach dem Urteil oder Vergleich weiter?
Rechtsanwalt Lenz: An das Urteil schließt sich das Umsetzungsverfahren an. Das Gericht bestellt hier einen unabhängigen Sachwalter, § 23 VDuG, der wiederum einen Umsetzungsfonds errichtet, § 25 VDuG. Hieraus erfüllt der Sachwalter unter Beachtung der Vorgaben des § 27 VDuG die berechtigten Ansprüche der Verbraucher. An dem Umsetzungsverfahren nehmen alle Verbraucher teil, die ihre Ansprüche rechtzeitig angemeldet haben. Gegen die Entscheidungen des Sachwalters über die Berechtigung einer Forderung können sowohl der Unternehmer als auch der Verbraucher vorgehen, § 28 VDuG. Nicht vollständig klar ist, ob sich auch an einen Vergleich (vor einem Abhilfegrundurteil, mithin nach § 9, nicht nach § 17) ein Umsetzungsverfahren anschließen kann. Ohne Aufnahme in den Vergleich dürfte dies jedoch nicht der Fall sein.
123recht.de: Bestehen Übergangsregelungen für Altfälle?
Rechtsanwalt Lenz: Im Hinblick auf die Verjährung ist zu erwähnen, dass nach Art. 229 § 65 EGBGB die neuen Regelungen grundsätzlich nur für Ansprüche gelten, die am 13. Oktober 2023 noch nicht verjährt waren. Im Übrigen gibt es, soweit ersichtlich, keine Einschränkungen.
Verfahren sind sehr langwidrig
123recht.de: Gibt es auch Kritik?
Rechtsanwalt Lenz: Nicht überall stößt die neue Abhilfeklage auf Zustimmung. Von der Wirtschaft wird mitunter schon die Begründung für das Gesetz in Zweifel gezogen. Es lägen nicht regelmäßig verbraucherrechtswidrige Praktiken vor, sondern oft seien solche vermeintlich verbraucherrechtswidrigen Praktiken z.B. auf die Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung zurückzuführen. Es wird auch kritisiert, dass das nationale Gesetz über die europarechtlichen Vorgaben hinausgehe. Kleine Unternehmen seien nicht gleichermaßen schutzwürdig wie Verbraucher. Es wird hier befürchtet, dass Unternehmen bewusst Gestaltungen wählen könnten, um sich eine Teilnahmemöglichkeit am Abhilfeverfahren zu schaffen.
Andere gehen davon aus, dass die neue Klageart nahezu bedeutungslos bleiben wird. Es könne auch sein, dass wegen der Begrenzung des Streitwerts auf 300.000 EUR (und damit gedeckelten Anwaltsgebühren) Kanzleien nicht mehr willens seien, ein derart komplexes und aufwändiges Verfahren zu betreiben. Auch generell wird das Verfahren als zu umständlich und möglicherweise langwierig kritisiert.
123recht.de: Gibt es bei der Abhilfeklage die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu bekommen?
Rechtsanwalt Lenz: Ja, da nach § 13 Abs. 1 S. 1 VDuG grundsätzlich die Normen der Zivilprozessordnung anzuwenden sind, besteht auch die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe. Allerdings betrifft dies nur den jeweiligen Verband oder die jeweilige Einrichtung als Klägerin. Die Verbraucher selbst treffen keine Prozesskosten; die Anmeldung zum Verbandsklageregister ist kostenlos und bedarf keiner anwaltlichen Vertretung.
123recht.de: Vielen Dank Herr Lenz für das informative Gespräch.