Immer diese Überstunden

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Nicht nur in der Gastronomie, auch in vielen anderen Branchen werden regelmäßig die üblichen acht Stunden Arbeitszeit überschritten

Die reguläre vereinbarte Arbeitszeit überziehen und später nach Hause gehen - in vielen Jobs ist das normal. Wer pünktlich geht, wird schief angeschaut. Doch ist das überhaupt erlaubt und wenn ja, welche Ausnahmeregelungen gelten? Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Ute Lins weiß, was erlaubt ist und was nicht.

Es dürfen acht Stunden täglich gearbeitet werden

123recht.de: Frau Lins, ist es gesetzlich geregelt, wie viele Stunden ein Arbeitnehmer arbeiten darf? Wenn ja, wie viele Stunden sind das?

Rechtsanwältin Lins: Ja, im Arbeitszeitgesetz. Die Gesetzgeber hat mit dem ArbZG die gesetzliche Grundlage für die Flexibilisierung der Arbeitszeit geschaffen.§ 3 ArbZG regelt die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten. Die werktägliche Arbeitszeit darf demnach acht Stunden nicht überschreiten.

123recht.de: Gibt es Ausnahmen, in denen diese Arbeitszeit überschritten werden darf? Und wenn ja, um wie viel?

Rechtsanwältin Lins: Die Arbeitszeit kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten (26 Wochen) oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden (§ 3 S. 2 ArbZG). Werktage sind alle Tage, die nicht Sonn- oder Feiertag sind. Arbeitnehmer dürfen an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen von 0 bis 24 Uhr nicht beschäftigt werden. Ausnahmefähig sind hier jedoch z.B. Gaststätten und andere Einrichtungen zur Bewirtung und Beherbergung sowie der Haushalt.

Der Arbeitgeber kann frei entscheiden, ob er den Ausgleichszeitraum von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen wählt. Die gesetzliche Höchstarbeitszeit beträgt damit 6x8 Stunden = 48 Stunden. Dies ist im Jahr für 48 Wochen zulässig (52 Jahreswochen abzüglich vier Wochen gesetzlicher Urlaub). Dementsprechend ist eine maximale Arbeitszeit von 2.304 Stunden zulässig.

Gilt ein Tarifvertrag, wie dies beispielsweise im Gaststättengewerbe häufig der Fall ist, können abweichende Regelungen Anwendung finden.

Der Arbeitszeitausgleich muss innerhalb eines halben Jahres erfolgen

123recht.de: Wie lange dürfen die Phasen der Stoßzeiten, Saison o.ä. andauern, gibt es da Richtwerte?

Rechtsanwältin Lins: In Saisonbetrieben können für die Zeit der Saison oder Kampagne längere tägliche Arbeitszeiten bewilligt werden, wenn die Verlängerung über acht Stunden hinaus durch eine entsprechende Verkürzung der Arbeitszeit zu anderen Zeiten ausgeglichen wird. Tägliche Arbeitszeiten von mehr als zwölf Stunden sind aus Gründen des Gesundheitsschutzes allerdings auch in diesem Fall nicht zu vertreten. Außerdem muss die Arbeitszeit der Arbeitnehmer im Durchschnitt von sechs Kalendermonaten oder 24 Wochen wieder auf die höchstzulässige Arbeitszeit von 48 Stunden wöchentlich ausgeglichen werden (Abs. 4). Saisonbetriebe arbeiten das ganze Jahr über, sind jedoch zu bestimmten Jahreszeiten bzw. während bestimmter Zeiträume zu einer außergewöhnlich hohen Betriebstätigkeit genötigt.

Beispiele für Saisonbetriebe im Sinne des § 22 KSchG finden sich u.a. im Bereich des Baugewerbes, des Gartenbaus und des Hotel- und Gaststättengewerbes.

123recht.de: Könnte man die Arbeit nicht einfach für ein paar Stunden unterbrechen und dann eine neue Schicht anfangen?

Es gelten 11 Stunden Ruhezeit

Rechtsanwältin Lins: Nein, dass geht generell erst einmal nicht. Nach § 5 Abs. 1 ArbZG haben Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine Ruhezeit von mindestens 11 Stunden. Die Ruhezeit muss ununterbrochen gewährt werden. Die gesetzlich vorgeschriebene elfstündige Ruhezeit berechnet sich nicht kalendertäglich, sondern ist im Anschluss an die tägliche Arbeitszeit zu gewähren. Dementsprechend kann daraus auf keine täglich maximal 13 Stunden dauernde Arbeitszeit geschlossen werden. Übt der Arbeitnehmer während dieser Ruhezeit betriebliche Arbeitsleistungen aus, wird die Ruhezeit unterbrochen. So z.B. wenn der Arbeitnehmer während der Rufbereitschaft zur Arbeitsleistung herangezogen wird. Im Anschluss an eine solche Arbeitsleistung ist dem Arbeitnehmer eine neue ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden zu gewähren.

Verkürzungen der Ruhezeiten für bestimmte Branchen sind jedoch nach § 5 Abs. 2 ArbZG oder aufgrund von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen möglich. Die Ruhezeit kann gemäß § 5 Abs. 2 ArbZG in den dort genannten Bereichen (Krankenhäuser und andere Einrichtungen zur Behandlung, Pflege und Betreuung von Personen; Gaststätten und andere Einrichtungen zur Bewirtung und Beherbergung; Verkehrsbetriebe; Rundfunk; Landwirtschaft; Tierhaltung) um bis zu eine Stunde verkürzt werden, wenn jede Verkürzung der Ruhezeit innerhalb eines Ausgleichszeitraums von einem Kalendermonat oder innerhalb von 4 Wochen durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit auf mindestens 12 Stunden ausgeglichen wird. Damit schreibt das Gesetz für jede Verkürzung der Ruhezeit, unabhängig davon, wie lange sie dauert, als Ausgleich eine Verlängerung einer anderen Ruhezeit um eine Stunde vor.

123recht.de: Müssen die Überstunden abgebummelt werden, oder dürfen sie ausgezahlt werden?

Rechtsanwältin Lins: Ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Vergütung von Arbeitszeit hat, richtet sich nicht nach dem ArbZG. Maßgeblich sind vielmehr in erster Linie die vertraglichen Abreden, ergänzend tarifvertragliche Regelungen oder Betriebsvereinbarungen, hilfsweise gemäß § 612 BGB die berechtigte Erwartung des Arbeitnehmers bzw. die Üblichkeit. Ob die Überstunden mit Freizeit ausgeglichen werden oder ausgezahlt werden müssen, entscheidet sich also nach den Vereinbarungen zwischen den Parteien. Das Abbummeln ist dabei immer noch die Ausnahme.

Gibt es keine Regelung im Arbeitsvertrag, darf der Arbeitgeber Überstunden nur im Notfall anordnen

123recht.de: Was kann ein Arbeitnehmer tun, wenn er immer wieder deutlich länger arbeiten muss?

Rechtsanwältin Lins: Wenn es um Überstunden geht, kommt es zunächst einmal darauf an, was in Ihrem Arbeitsvertrag steht - oder in dem Tarifvertrag, der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet. Wenn dort keine ausdrückliche Überstundenregelung aufgeführt ist, können Sie auch nicht so ohne Weiteres zu Überstunden verpflichtet werden.

Denn wenn es keine besondere Überstunden-Regelungen gibt, darf Ihr Arbeitgeber nur in Notfällen solche anordnen; auf keinen Fall jedoch bei dauernden und schwankenden Auftragslagen. Ein Notfall wäre beispielsweise, wenn eine wichtige Maschine ausfällt und Sie der Einzige sind, der sie wieder in Gang setzen kann.

Das Arbeitsgericht in Frankfurt/Oder hat beispielsweise entschieden, dass ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter mindestens vier Tage im Voraus über die anstehende Mehrarbeit zu informieren hat. Denn den Arbeitnehmern müsse ein Mindestmaß an Gestaltungsmöglichkeiten für ihr Privatleben eingeräumt werden, fanden die Richter (Az.: 7 Ca 3154/04).

Besteht ein Betriebsrat, so kann geprüft werden, ob der Arbeitgeber sich an mögliche Mitbestimmungsrechte gehalten hat. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei vorübergehenden Verlängerungen oder Verkürzungen der betriebsüblichen Arbeitszeit, d.h. bei der Anordnung oder einvernehmlichen Einführung von Überstunden oder Kurzarbeit, zu, das sich auf den Umfang der Arbeitszeit bezieht.

Auch in der Probezeit kann man sich wehren

123recht.de: Und wenn er noch in der Probezeit ist?

Rechtsanwältin Lins: Kündigt der Arbeitgeber in der Probezeit, weil der Arbeitnehmer nicht ständig deutlich mehr arbeiten möchte und der Arbeitgeber mit der Anordnung ganz offensichtlich gegen gesetzliche, vertragliche oder tarifvertragliche Vorschriften verstößt, so kann eine Kündigung auch ohne Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes unwirksam sein, da sie sittenwidrig ist. Der Arbeitnehmer darf nicht gemaßregelt werden, weil er seine Rechte wahrnimmt.

123recht.de: Vielen Dank Frau Lins.

Leserkommentare
von Rechtsanwalt Andreas Wehle am 29.06.2015 19:57:12# 1
Hallo Frau Kollegin,
aus rechtlicher Sicht stimme ich Ihnen gern in jeder hinsicht zu, ABER die Realität sieht doch zum Teil ganz anders aus. Das drohende Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit bewegt doch eine überwiegende Anzahl von abhängig Beschäftigten auf eine Vielzahl von Rechten zu verzichten. Die öffentlichen Ordnungsbehörden, wer auch immer das im Einzelfall ist, kontrollieren nur selten in der Hinsicht oder sind dazu einfach nicht qualifiziert.
So wird schlichtweg die stets schwächere Vertragspartei zu seinen Lasten zum Erhalt des Arbeitsplatzes zubuttern.
Beste Grüße aus Aachen
A. Wehle