Pflegekinder - Nestwärme auf Zeit

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Pflegeeltern werden - wie geht das? Was Interessierte über die Aufnahme eines Pflegekindes wissen sollten

Immer wieder lesen wir in unseren Foren Einträge von besorgten Menschen, die gern ein Pflegekind aufnehmen würden. Manchmal handelt es sich bei diesem Wunsch um ganz bestimmte Kinder, von denen die Fragesteller denken, dass es ihnen zu Hause nicht gut geht. Aber viele würden auch einfach einem fremden Kind ein besseres zu Hause bieten wollen. Wir haben bei Rechtsanwältin Milazzo nachgefragt: Was raten Sie Menschen, die mit folgenden Fragen zu Pflegekindern an Sie herantreten?

Der erste Schritt ist die Kontaktaufnahme zum Jugendamt

123recht: Dem besten Freund meines Sohnes geht es merklich nicht gut. Er wirkt verängstigt, möchte nicht gern nach Hause gehen und isst wie ein Scheunendrescher, wenn er bei uns zu Mittag ist. Ich mache mir große Sorgen um ihn und würde ihn gern bei uns aufnehmen. Er möchte das auch. Geht das so einfach? Wie wäre das Vorgehen? Das Jugendamt ist auch der Meinung, dass der Junge aus der Familie herausgeholt werden muss. Was kann ich tun, dass er zu uns und nicht ins Heim kommt?

Rechtsanwältin Milazzo: Menschen, die ein Interesse daran haben, als Pflegeeltern ein Kind aufzunehmen, müssen sich beim Jugendamt als Pflegeeltern bewerben. Ein Anruf dort ist der erste Schritt. Oft gibt es auch Informationsveranstaltungen für Menschen, die Interesse an einer Pflegeelternschaft haben. Beim Jugendamt wird man Ihnen eine Schulung anbieten, die über die Thematik näher informiert.

Im darauffolgenden Prüfungsverfahren macht das Jugendamt Gespräche und auch einen oder mehrere Hausbesuche. Man wird von Ihnen ein erweitertes Führungszeugnis sowie ein Gesundheitszeugnis anfordern, sowie Einkommensnachweise. Weiterhin wird Ihre Motivation abgefragt, warum Sie das Kind aufnehmen wollen. Wollen Sie nur einen Spielkameraden für Ihr eigenes Kind haben, so wird das Jugendamt dies eher als problematisch einschätzen. Dies stellt eine egoistische Motivation dar, die mit Erwartungen an das Pflegekind verbunden ist und das Kind unter Druck setzen könnte. Positiver sind altruistische Motive für die Aufnahme, z.B. eine bereits vorhandene Bindung zu dem Kind und der daraus resultierende Wunsch, dem Kind zu helfen.

Man kann sich dort auch als Pflegeeltern für ein bestimmtes Kind bewerben. Allerdings gibt es keine Garantie, dass das dann auch klappt. Das Jugendamt wählt die Pflegeeltern aus, die es für am besten geeignet erachtet. Ausschlaggebend ist dabei das Kindeswohl.

Die Entscheidung, wo das Kind hinkommt, liegt bei den Eltern, solange diese das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder haben. Dieses Recht kann bei Gefährdung des Kindeswohls aber entzogen werden. In einem Hilfeplangespräch beim Jugendamt wird mit allen Beteiligten gemeinsam versucht, eine Lösung zu finden.

Sperren sich die Eltern, ist das Familiengericht gefragt

123recht: Was macht man, wenn die Eltern dagegen sind? Gibt es vermittelnde Stellen?

Rechtsanwältin Milazzo: Wenn die Eltern dagegen sind, ist eine Pflegeelternschaft nur über Einschränkungen des elterlichen Sorgerechts möglich. Eine solche Einschränkung beschließt das Familiengericht, wenn es wegen Kindeswohlgefährdung erforderlich ist. Das Jugendamt stellt dann einen entsprechenden Antrag ans Familiengericht. Bei akuter Gefährdung des Kindes kann das Jugendamt auch sofort das Kind aus dessen Familie nehmen (so genannte Inobhutnahme). Dann muss das Jugendamt schnellstmöglich eine gerichtliche Entscheidung herbeiführen.

Vermittelnde Stelle ist in erster Linie das Jugendamt. Sie können sich aber auch an Familienberatungsstellen von privaten, kirchlichen oder staatlichen Trägern wenden oder anwaltliche Mediation in Anspruch nehmen, wenn die Eltern damit einverstanden sind.

Pflegeeltern müssen nicht zwangsläufig verheiratete Paare sein

123recht: Welche "Qualifikationen" muss eine Pflegefamilie erfüllen?

Rechtsanwältin Milazzo: Sie sollten in geordneten Verhältnissen leben, ausreichend Platz und finanzielle Mittel für das Kind haben und es dürfen natürlich keine Umstände vorliegen, die das Kindeswohl beeinträchtigen könnten. Grundsätzlich kann eine Pflegefamilie nicht nur ein Ehepaar sein, sondern auch Alleinstehende, unverheiratete Partner, homosexuelle Lebenspartnerschaften oder sogar Wohngemeinschaften können ein Kind in Pflege nehmen. Es kommt immer darauf an, ob es dem Kind gut gehen wird.

Auch das Alter ist relevant. Sie sollten nicht zu jung sein. Der Altersunterschied zum Kind sollte im Normalfall dem Eltern-Kind-Verhältnis entsprechen und nicht einem Großelternverhältnis. Ausnahmen sind aber möglich.

Die Aufnahme eines Pflegekindes erfolgt auf unbestimmte Dauer

123recht: Bleibt das Kind dann "für immer" bei uns?

Rechtsanwältin Milazzo: Das Pflegeverhältnis ist grundsätzlich auf Zeit angelegt und so gedacht, dass das Kind sobald es geht zu den Eltern zurückkehren kann. Das heißt, wenn es wieder möglich ist, dass das Kind dort lebt, dann endet die Pflege. Sie müssen dann das Kind wieder zurückgeben. Worauf Sie sich also einstellen müssen ist, dass irgendwann der Abschied kommt.

Allerdings sollten Sie andererseits auch nicht damit rechnen, dass das Kind sie irgendwann wieder verlassen wird, denn es ist auch möglich, dass eine Rückkehr des Kindes in die Herkunftsfamilie aus welchen Gründen auch immer gar nicht mehr gelingt. Offen sein müssen Sie daher für beide Möglichkeiten.

123recht: Wird ein Pflegekind in irgendeiner Weise kontrolliert? Und was ist mit Kontakt zu den Eltern?

Rechtsanwältin Milazzo: Die Eltern haben ein Recht und die Pflicht zum Umgang mit dem Kind, den die Pflegeeltern zu fördern haben. Bei Kindeswohlgefährdungen kommt oft nur ein begleiteter Umgang mit den Eltern, z.B. in einer Familienberatungsstelle in Betracht. Selten gibt es auch Fälle, wo auch begleiteter Umgang dem Kind schaden würde und der Umgang mit den Eltern daher ganz ausfällt. Dies sollte dann aber jedenfalls nicht Dauerzustand sein, sondern nur solange es nötig ist.

Nicht nur die Eltern haben ein Recht auf Umgang mit ihrem Kind, sondern umgekehrt hat auch das Kind selbst ein Recht auf Umgang mit seinen Eltern.

Als Pflegefamilie haben Sie Anspruch auf Beratung und Betreuung durch das Jugendamt, werden aber auch vom Jugendamt kontrolliert. Hierzu sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes sogar verpflichtet und würden sich strafbar machen, wenn durch das Unterlassen von Kontrollen dem Kind etwas zustoßen würde. Oft sind dies aber keine umfangreichen Kontrollen, sondern es handelt sich lediglich um ein Gespräch einmal im Jahr.

Es ist aber davon auszugehen, dass die Kontrollen in Zukunft erhöht werden, weil es immer wieder zu Fällen gekommen ist, in denen Kindern in Pflegefamilien etwas Schlimmes zugestoßen ist.

Entscheidungen des Alltags liegen bei den Pflegeeltern

123recht: Wie ist das rechtlich - ist man dann voll sorgeberechtigt und auch verantwortlich für das Kind?

Rechtsanwältin Milazzo: Pflegeeltern sind berechtigt und verpflichtet zur so genannten Alltagssorge für das Kind, jedoch gerade nicht voll sorgeberechtigt. Das heißt, dass wichtige Entscheidungen entweder weiter von den Eltern getroffen werden oder vom Vormund, wenn die Eltern das Sorgerecht verloren haben.

Was wichtige Entscheidungen sind und was dem Bereich der Alltagssorge angehört ist häufig umstritten, weshalb hierzu umfangreiche Rechtsprechung vorliegt.

Zur Alltagssorge gehören z.B. die Alltagsgestaltung, Freizeitgestaltung, normale Arztbesuche, die Entscheidung, wer das Kind aus einer Kindertagesstätte abholen darf, oder die Frage, mit welchen Kindern es spielt.

Wichtige Entscheidungen, die von der Alltagssorge nicht umfasst sind, sind zum Beispiel die Frage der Schulwahl, Abschluss eines Vertrages mit einer Kindertagesstätte oder das Einverständnis in einen geplanten chirurgischen Eingriff oder bestimmte Therapien.

Im Notfall aber dürfen auch Sie als Pflegeeltern einem medizinischen Eingriff zustimmen, z.B. bei einem Blinddarmdurchbruch. Grob zusammengefasst kann man sagen, dass Pflegeeltern mehr Pflichten als Rechte übernehmen.

123recht: Ich habe auch mal von "Bereitschaftspflege" und "Kurzzeitpflege" gehört, was ist das denn?

Rechtsanwältin Milazzo: Bereitschaftspflegefamilien nehmen Kinder spontan auf, wenn es in der Herkunftsfamilie eine Krise gibt und das Kind für kurze Zeit, also Wochen oder Monate, in ein geschütztes Umfeld kommen soll, bis es in der Familie wieder so weit in Ordnung ist, dass das Kind zurückkehren kann. Die Dauerpflege dagegen ist auf Jahre angelegt.

Pflegeeltern, die sich zur Bereitschaftspflege bereit erklären, müssen damit rechnen, spontan angerufen zu werden, dass sie in einer halben Stunde ein Kind beim Allgemeinen Sozialdienst des Jugendamtes abholen sollen. Bereitschaftspflegefamilie zu sein heißt also, man nimmt mehrfach verschiedene Kinder ganz plötzlich auf, ohne sich vorab darauf einstellen zu können. Die Anforderungen, die auf Sie zukommen, falls Sie sich hierzu entschließen sollten, sind also sehr hoch.

In die so genannte Kurzzeitpflege können Eltern ihr Kind geben, wenn sie z.B. wegen eines Krankenhausaufenthalts oder einer Kur für eine feststehende begrenzte Zeit, die nicht länger als drei Monate dauern soll, ihr Kind nicht betreuen können. Die Eltern beantragen die Kurzzeitpflege beim Jugendamt und müssen sich an den Kosten nicht beteiligen, wenn sie in einer schwierigen finanziellen Situation stecken.

Ein Pflegekind ist vergleichbar mit der Betreuung in einer Kindertagesstätte

123recht: Was ist der Unterschied zwischen Adoption und Aufnahme eines Pflegekindes?

Rechtsanwältin Milazzo: Eine Adoption verändert das Verwandtschaftsverhältnis des Kindes. Ein Kind, das Sie adoptieren, wird Ihr Kind, mit allen Rechten und Pflichten. Die Adoption kann grundsätzlich nicht mehr rückgängig gemacht werden. Es gibt nur ganz seltene Ausnahmen, z.B. wenn die Eltern gezwungen wurden, der Adoption zuzustimmen und es dem Kindeswohl nicht schadet, die Adoption wieder rückgängig zu machen. Kontakte zu den leiblichen Eltern bestehen nach einer Adoption in aller Regel nicht mehr.

Die Aufnahme eines Pflegekindes dagegen ist rechtlich gesehen eher vergleichbar mit der Betreuung in einer Kindertagesstätte. Sie ist auf Zeit angelegt, kann grundsätzlich jeder Zeit beendet werden. Im Prinzip geht es darum, ein Kind erst einmal aufzunehmen, solange die Eltern selbst nicht für das Kind da sein können. Nicht mehr und nicht weniger.

123recht: Vielen Dank Frau Milazzo.