Pflegeversicherung - das müssen Sie wissen

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Alles über die Pflegeversicherung und mögliche Probleme, die auf Pflegefälle zukommen können

Die Anzahl der Pflegebedürftigen und Dauer der Pflegebedürftigkeit sind in den letzten Jahrzehnten immer mehr gestiegen. Mit Einführung der Pflegeversicherung sollte das finanzielle Pflegerisiko und die Beantragung von Sozialhilfe verringert werden. Wann aber bekommt man Leistungen aus der Pflegeversicherung und welche Leistungen sind das? Was kann man machen, wenn es Probleme mit der Versicherung gibt und wie können Angehörige sich verhalten? 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt Jan Bergmann.

123recht.de: Herr Bergmann, welchen Zweck verfolgt die Pflegeversicherung?

Jan Bergmann
Partner
seit 2017
Rechtsanwalt
Storkower Straße 158
10407 Berlin
Tel: 030921080820
Web: http://www.12anwalt.de
E-Mail:
Sozialrecht, Arbeitsrecht, Ausländerrecht
Preis: 120 €
Antwortet: ∅ 8 Std. Stunden

Rechtsanwalt Bergmann: Die Pflegeversicherung soll sicherstellen, dass pflegebedürftige Menschen so lange wie nur möglich in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung verbringen können.

Die Pflegeversicherung sichert also das Risiko der Pflegebedürftigkeit ab. Pflegebedürftige erhalten Geld- oder Sachleistungen, um die erforderliche Pflege gewährleisten zu können.

123recht.de: Ist eine Pflegeversicherung Pflicht?

Rechtsanwalt Bergmann: Ja, die Pflegeversicherung ist in Deutschland Pflicht. Jede Person in Deutschland muss eine Pflegeversicherung abschließen. Jede gesetzliche und private Krankenkasse muss eine Pflegeversicherung anbieten.

123recht.de: Gibt es dabei Besonderheiten für privat Krankenversicherte?

Rechtsanwalt Bergmann: Nein. Tatsache ist, dass sich auch privat Krankenversicherte pflegeversichern müssen. Zusätzlich haben auch gesetzlich Pflegeversicherte die Möglichkeit, die Pflegeleistungen im Ernstfall durch eine private Vorsorge zu ergänzen. Sie decken die Kosten einer stationären Unterbringung, einer teilstationären Betreuung oder der ambulanten Pflege in Abhängigkeit von der festgestellten Pflegestufe I, II oder III nach einem festgelegten Höchstsatz ab. Wer mehr will muss privat vorsorgen.

123recht.de: Wann erhält man die Leistungen? Welche Voraussetzungen müssen für eine Pflege vorliegen?

Rechtsanwalt Bergmann: Die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung werden ausschließlich auf Antrag erbracht. Der Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung ist von einer Vorversicherungszeit abhängig.

Weitere Voraussetzung ist pflegebedürftigkeit, die im Gesetz wie folgt definiert ist:

Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches (SGB XI) sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße (§ 15) der Hilfe bedürfen.

123recht.de: Aber wie wird pflegebedürftigkeit im Ernstfall festgestellt? Gibt es Fristen, die beachtet werden müssen?

Rechtsanwalt Bergmann: Die Pflegekassen beauftragen den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung oder andere unabhängige Gutachter mit der Prüfung, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welcher Pflegegrad vorliegt.

Die gesetzlich vorgegebene Bearbeitungsfrist für Anträge auf Pflegeleistungen beträgt grundsätzlich 25 Arbeitstage. Allerdings gibt es zahlreiche Ausnahmen, d.h. die Kassen müssen oft deutlich schneller sein. Beispiel: Aufenthalt im Krankenhaus oder in einer stationären Rehabilitationseinrichtung, in einem Hospiz oder während einer ambulant­palliativen Versorgung.

123recht.de: Was bedeuten die unterschiedlichen Pflegegrade?

Rechtsanwalt Bergmann: Es gibt nun fünf Pflegegrade. Für die Berechnung der Pflegebedürftigkeit werden keine Minuten mehr gezählt, sondern Punkte vergeben.Entscheidend für die Pflegegrade ist, wie viel personelle Hilfe der Betroffene benötigt. Geprüft werden dazu sechs Lebensbereiche, zu denen der Gutachter zukünftig 64 Kriterien abfragen wird. Bei der Einstufung wird der ganze Mensch betrachtet und auch geistige Einschränkungen werden berücksichtigt.

123recht.de: Was gilt bei Kindern, die pflegebedürftig sind?

Rechtsanwalt Bergmann: Bei Kindern muss ein "natürlicher altersbedingter Hilfebedarf" von dem ermittelten Pflegeaufwand abgezogen werden.

Das bedeutet, dass nicht aufgrund seines "natürlichen altersbedingten Hilfebedarfs" ein Kleinkind eine Pflegestufe bekommen soll, sonst wären alle Kleinkinder Pflegefälle. Das ist natürlich nicht gewollt und nicht sinnvoll. Daher muss dieser "natürliche altersbedingte Hilfebedarf" von dem ermittelten Bedarf abgezogen werden.

Neu ist, dass es hierfür jetzt feste Werte in den Alterstufen gibt.

Bei den anderen Leistungen gibt es keinen Unterschied zu Erwachsenen.

123recht.de: Welche Arten der Pflege gibt es? Haben Angehörige darauf einen Einfluss?

Rechtsanwalt Bergmann: Bei der ambulanten Pflege bleiben die Pflegebedürftigen in ihrer heimischen Umgebung. Die teilstationäre Pflege dient zur Entlastung der Angehörigen. Die Pflegebedürftigen in den teilstationären Pflegeeinrichtungen werden von ausgebildeten Pflegekräften versorgt - entweder tagsüber oder nachts. Es handelt sich um einen Mix aus der ambulanten Pflege zu Hause und der stationären Pflege in einem Pflegeheim.

Wenn eine Pflege rund um die Uhr von Nöten ist, bleibt als einzige Möglichkeit oft nur der dauerhafte Aufenthalt in einem Pflegeheim übrig, also die stationäre Pflege. Ein Grund dafür könnte beispielsweise eine fortgeschrittene Demenz sein.

Grundsätzlich hängt es von der Pflegestufe ab, was der Pflegebedürftige bekommt.

123recht.de: Welche Möglichkeiten habe ich, wenn die Pflegebedürftigkeit abgelehnt wird?

Rechtsanwalt Bergmann: Es kann innerhalb eines Monats nach Zugang des Ablehnungsbescheids Widerspruch erhoben werden. Sofern der Widerspruch abglehnt wird, müsste innerhalb eines Monats nach Zugang des Widerspruchsbescheids Klage vor dem zuständigen Sozialgericht erhoben werden.

123recht.de: Welche Leistungen stehen Angehörigen und dem zu Pflegenden zu? Was sind Pflegesachleistungen?

Rechtsanwalt Bergmann: Das Pflegegeld ist eine finanzielle Leistung der Pflegeversicherung. Diese wird gezahlt, wenn die Pflege selbst sichergestellt wird.Ist die Pflegeperson nicht mehr als 30 Stunden in der Woche erwerbstätig, zahlt die Pflegeversicherung Beiträge zur Rentenversicherung. Erleichterungen gibt es auch bei der Unfall- und Arbeitslosenversicherung.

Anspruch auf Pflegezeit wird Beschäftigten gewährt, die eine nahe Angehörige oder einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen. Es gibt weitere zahlreiche Erleichterungen.

123recht.de: Was gilt bei Hartz IV Empfängern, gibt es da Besonderheiten?

Rechtsanwalt Bergmann: Nein, grundsätzlich sind auch Hartz IV Empfänger durch das Jobcenter pflegeversichert.

123recht.de: Gibt es Besonderheiten bei unverheirateten Paaren?

Rechtsanwalt Bergmann: Unabhängig davon, ob der Sohn verheiratet ist oder nicht, sind Kinder grundsätzlich unterhaltspflichtig, wenn sie über ein ausreichendes Einkommen verfügen. Reichen beispielsweise die Rente oder Rücklagen der Eltern nicht für die Pflegekosten im Alter aus, werden die Kinder zur Kasse gebeten. Ein Anwalt für Sozialrecht kann hier helfen.

123recht.de: Wo können Angehörige sich beraten lassen?

Rechtsanwalt Bergmann: In vielen Bundesländern haben Kommunen und Pflegekassen mittlerweile die so genannten Pflegestützpunkte eingerichtet. Eine Übersicht liefert eine bundesweite Datenbank mit Adressen der Pflegestützpunkte. In einigen Kommunen gibt es darüber hinaus Senioren- oder Pflegeberatungsstellen. Dort können Angehörige Hilfestellung und Beratung zu den örtlichen Hilfeangeboten bekommen. Auch ein Anwalt für Sozialrecht kann helfen.

123recht.de: Vielen Dank Herr Bergmann!

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Leserkommentare
von Retzlaff123 am 05.10.2017 15:11:15# 1
Super Artikel, als freier Gutachter für Pflege und Pflegeberatung, finde ich diese Information für Ratsuchende wirklich sehr hilfreich und zu empfehlen.

Mfg
Roland Retzlaf
    
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