Seenotrettung von Flüchtlingen - Beihilfe zum Menschenschmuggel?

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Unterlassene Hilfeleistung oder illegale Einreise - Rechtliche Informationen zur Rettung von Flüchtlingen auf der Mittelmeerroute

Vor wenigen Tagen gab es wieder einen Aufsehen erregenden Fall in den Medien. Kapitänin Carola Rackete von Sea-Watch hat auf hoher See Flüchtlinge aufgenommen und trotz Verbot nach Italien in Sicherheit gebracht. An Land wurde sie sofort von den italienischen Behörden verhaftet. Zu Recht? Wie ist derzeit überhaupt die Rechtslage? 123recht.de im Interview mit Rechtsanwältin Anja Heinrich.

123recht.de: Frau Heinrich, wer mischt bei der Flucht über das Mittelmeer alles mit, man liest da ja Verschiedenes, wie Schlepper, Frontex, Seenotretter...?

Anja Heinrich
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Ausländerrecht, Strafrecht, Verfassungsrecht, Familienrecht, Verwaltungsrecht

Rechtsanwältin Heinrich: Hier gibt es viele Protagonisten. Auf der einen Seite natürlich die Schlepper, die die Not der Menschen ausnutzen und versuchen, damit Geld zu verdienen und die Geflüchteten vielfach auf seeuntaugliche Schiffe setzen und damit in Lebensgefahr bringen. Auf der anderen die europäischen Küstenstaaten, die, unterstützt durch die europäische Grenzschutzagentur Frontex, ihre Grenzen schützen wollen, zugleich aber an menschenrechtliche Verträge gebunden und zur Seenotrettung verpflichtet sind.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielt zudem die libysche Küstenwache, die sowohl in ihren eigenen Gewässern als auch auf hoher See entdeckte Geflüchtete zurück an die nordafrikanische Küste zwingt. Sie gehen häufig äußerst brutal vor. Flüchtlingsboote sind durch sie wiederholt gekentert.

"Seenotrettung ist in verschiedenen internationalen Abkommen geregelt"

123recht.de: Welchen Regeln unterliegt die Seenotrettung?

Rechtsanwältin Heinrich: Die Pflicht zur Rettung in Seenot befindlicher Schiffe ist als ungeschriebenes Völkergewohnheitsrecht seit langem anerkannt. Heute ist die Seenotrettung in verschiedenen internationalen Abkommen geregelt. Dazu gehört das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, das Internationale Übereinkommen von 1979 zur Seenotrettung sowie die SOLAS-Abkommen.

Aus diesen Übereinkommen folgt, dass alle Küstenstaaten verpflichtet sind, die Rettung von in Seenot geratenen Personen sicherzustellen. So müssen die Staaten die Kapitäne, die unter ihrer Flagge fahren, verpflichten, in Seenot geratenen Personen zu helfen. Für die Kapitäne gilt die Pflicht zur Rettung dann aus dem nationalen Recht des Flaggenstaates. Küstenstaaten sind zudem verpflichtet, wirksame Such- und Rettungsdienste einzurichten.

123recht.de: Welche Aufgaben haben dabei die Seenotleitzentralen?

Rechtsanwältin Heinrich: Die Seenotleitzentralen koordinieren die Rettungsmaßnahmen, wenn Schiffe in Seenot geraten sind.

123recht.de: Wenn ein Boot mit Flüchtlingen auf hoher See aufgegriffen wird, wer ist für die Flüchtlinge zuständig?

Rechtsanwältin Heinrich: Die Meere sind in 13 Seenotrettungszonen unterteilt, für die jeweils eine bestimmte Seenotleitzentrale die Koordination der Rettungsmaßnahmen übernimmt. Diese ist für die Rettung der Geflüchteten zuständig.

Kapitäne haben die Pflicht, in Seenot befindlichen Menschen zu helfen

123recht.de: Darf ein Kapitän Flüchtlinge an Bord nehmen oder muss dazu eine konkrete Gefährdung vorliegen? Die Boote sind ja in der Regel nicht hochseetauglich.

Rechtsanwältin Heinrich: Jeder Kapitän darf zunächst an Bord nehmen, wen er möchte; also auch Geflüchtete. Problematisch wird es erst, wenn das Schiff mit den Geflüchteten in das Hoheitsgebiet eines Staates einfährt.

Besteht eine konkrete Gefährdungslage, also befinden sich die Geflüchteten in Seenot, trifft die Kapitäne eine Pflicht zur Rettung dieser Personen. Bei den Booten, mit denen die Geflüchteten das Mittelmeer überqueren, handelt es sich in aller Regel um sehr kleine, nicht für die Hochsee geeignete und überfüllte Boote, sodass hier die Gefahr eines Kenterns besteht. Diese Menschen befinden sich in Seenot.

123recht.de: Muss der Kapitän die Flüchtlinge ggf. wieder zurückbringen?

Rechtsanwältin Heinrich: Nein, die Kapitäne müssen die Geretteten an einen sicheren Ort bringen. Das kann, muss aber kein Hafen sein. Der Ort ist sicher, wenn dort ihr Überleben nicht mehr weiter in Gefahr ist und dort ihre menschlichen Grundbedürfnisse gedeckt werden können. Viele der Staaten, von denen die Geflüchteten abgelegt haben, gelten nicht als sicherer Ort, weil den Menschen dort massive Menschenrechtsverletzungen drohen. Hierzu gehört insbesondere Libyen, wo den Geflüchteten Folter und Zwangsprostitution droht.

"Rechtlich befinden sich Kapitäne in einer Zwickmühle"/h3>

123recht.de: Welche Vorwürfe werden den Kapitänen oft gemacht? Machen sich die Kapitäne tatsächlich strafbar?

Rechtsanwältin Heinrich: Den Kapitänen wird häufig Beihilfe zur illegalen Einreise vorgeworfen. Denn sie haben zwar das Recht und häufig auch die Pflicht, den Geflüchteten zu helfen. Gleichzeitig haben sie grundsätzlich nicht das Recht, die Geflüchteten ohne Erlaubnis des jeweiligen Staates an Land zu bringen. Rechtlich befinden sich Kapitäne damit in einer Zwickmühle. Denn sie würden sich ja auch wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen, wenn sie den in Seenot Geratenen nicht helfen würden.

Helfen sie, wird ihnen der Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einreise gemacht, wenn sie sodann ohne staatliche Erlaubnis im Hafen anlegen. Die EU lässt die Kapitäne hier durch die mangelhafte Rechtslage allein. Diese mangelhafte Rechtslage muss aber meiner Meinung nach in den Strafverfahren berücksichtigt werden. Was auch häufig erfolgt. Es gibt hier aber aus politischen Gründen auch häufig einen großen Belastungseifer und es wird versucht, Kapitänen eine Zusammenarbeit mit Schleppern nachzuweisen. Was sich meines Wissens nach aber bisher nie bestätigt hat.

Bei mangelhafter Versorgung darf das Einlaufen nicht untersagt werden

123recht.de: Wann darf einem Schiff das Einlaufen in einen Hafen untersagt werden?

Rechtsanwältin Heinrich: Fast immer. Denn jeder Staat besitzt volle Souveränität bezüglich seines Staatsgebietes und kann daher selbst entscheiden, wem er das Einlaufen in seine Häfen erlaubt. Die internationalen Übereinkommen sind hier insofern lückenhaft. Sie regeln zwar das Verfahren der Seenotrettung, lassen aber weitgehend offen, was mit den Geretteten geschehen soll.

Eine Ausnahme besteht nach dem Völkergewohnheitsrecht nur, wenn weiterhin Seenot besteht, also das Leben von Besatzungsmitgliedern oder Passagieren weiterhin unmittelbar und unabwendbar bedroht ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn sich unter den Geretteten Schwangere und Verletzte befinden oder, wenn die medizinische Versorgung und die Bereitstellung von Lebensmitteln aufgrund der hohen Zahl von Geretteten an Bord unmöglich ist. Man spricht hier völkerrechtlich von einem so genannten Nothafenrecht.

123recht.de: Sind die Länder wie Italien, Spanien usw. demnach nicht verpflichtet, die Flüchtlinge aufzunehmen?

Rechtsanwältin Heinrich: Ja, wenn Menschen an ihrer Grenze um Asyl nachsuchen, sind sie eigentlich dazu verpflichtet sie aufzunehmen und ihr Asylgesuch zu prüfen. Die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet ihnen solche Menschen zurückzuweisen. Das wird in der Praxis aber nicht entsprechend umgesetzt.

123recht.de: Wäre es nicht auch seitens des Staates unterlassene Hilfeleistung, Flüchtlingen bzw. Organisationen wie Sea Watch das Anlanden zu untersagen? Die Zustände auf den Flüchtlingsbooten sind ja katastrophal.

Rechtsanwältin Heinrich: Wie dargestellt, kann hier das Nothafenrecht greifen. Zudem kann ein Verstoß gegen das Recht auf Leben oder gegen das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung vorliegen, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte legt hier aber leider einen sehr strengen Maßstab an, weshalb er im Falle der Sea-Watch 3 keine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention angenommen hat.

123recht.de: Was geschieht mit den Flüchtlingen? Werden diese direkt wieder abgeschoben?

Rechtsanwältin Heinrich: Nein, sie haben das Recht, nun einen Asylantrag zu stellen, der sodann geprüft werden muss. Erst wenn festgestellt werden sollte, dass jemand kein Anspruch auf Schutz besitzt, kann er abgeschoben werden.

123recht.de: Wir bedanken uns bei Ihnen für das Gespräch.

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