Sonderurlaub für Eltern erkrankter Kinder
Mehr zum Thema: Experteninterviews, Sonderurlaub, Freistellung, Krankheit, Lohnfortzahlung, KrankengeldDas Kind ist krank. Können Arbeitnehmer von der Arbeit freigestellt werden, um das Kind zu betreuen?
Nahezu alle Eltern, gerade mit einem oder mehreren Kleinkindern zuhause, kennen das: Das Kind ist mal wieder krank. Ob es die Erkältung mit Fieber ist oder aber Scharlach oder ein verklebtes Auge, das mit Antibiotika behandelt werden muss. Die Krippe bzw. KiTa weigert sich, das Kind in der Zeit zu betreuen. Mama oder Papa müssen zuhause bleiben und dem Chef absagen. Aber ist das auch immer so umsetzbar und mit dem Job vereinbar? 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt Jörg Klepsch.
123recht.de: Herr Klepsch, haben Eltern ein Recht auf bezahlten Sonderurlaub bei Krankheit eines oder mehrerer Kinder?
seit 2011
Freistellung resultiert aus Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Rechtsanwalt Klepsch: Ich möchte weniger von einem „bezahlten Sonderurlaub" sprechen als von einer Freistellung mit Fortzahlung der Vergütung. Der Begriff „Sonderurlaub" ist verschiedentlich gesetzlich definiert und sollte für die Fälle, in denen ein Arbeitnehmer wegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit eines Kindes der Arbeit fern bleiben muss, nicht verwendet werden. Die Vorstellung, die mit dem Begriff „Urlaub" verbunden ist, führt eher in die Irre.
Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen der Möglichkeit, der Arbeit fern bleiben zu können und der Frage, ob man trotzdem noch Vergütung bekommt. Eigentlich gilt der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn" und erschwerend kommt hinzu, dass man Arbeitsleistung eigentlich nicht nachholen kann.
Im Arbeitsverhältnis spielt aber auch in der modernen Arbeitswelt immer noch eine Rolle, dass es sich nicht um ein anonymes Austauschverhältnis handelt, sondern um eine Sonderbeziehung. Letztlich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers resultiert dann auch der Anspruch des Arbeitnehmers darauf, dass er bei besonders wichtigen persönlichen Ereignissen – und dazu zählt eine entsprechende Erkrankung eines Kindes – einen Anspruch darauf hat, von seiner Arbeitspflicht freigestellt zu werden. In diesen Fällen besteht dann grundsätzlich auch ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung.
"Man muss sich nicht auf die Oma verweisen lassen"
123recht.de: Was sind die grundsätzlichen Bedingungen für die Freistellung bei einem kranken Kind?
Rechtsanwalt Klepsch: Zunächst einmal muss es sich um ein Kind handeln, das unter zwölf Jahre alt ist. Bei älteren Kindern geht der Gesetzgeber davon aus, dass diese für die Dauer eines Arbeitstages auch einmal alleine bleiben können. Das Kind muss natürlich erkrankt sein und es muss durch ärztliches Zeugnis bestätigt sein, dass das Kind entsprechende Beaufsichtigung, Betreuung bzw. Pflege benötigt. Dafür stellt der Arzt eine entsprechende gesonderte Bescheinigung aus. Allerdings muss man beim Kinderarzt danach fragen. Schließlich muss es so sein, dass keine andere im Haushalt lebende Person das Kind betreuen bzw. pflegen kann.
In der Regel geht es da um den anderen Elternteil. Wenn dieser auch arbeiten geht, können die Eltern sich aussuchen, wer entsprechend zu Hause bleibt. Es kann natürlich immer nur einer zu Hause bleiben. Man muss sich aber z.B. nicht auf die Oma verweisen lassen, die zwar in der Nähe, aber nicht im gleichen Haushalt lebt. Ob ältere Geschwister ausreichend sind, hängt vom Einzelfall ab. Je nach Erkrankung wird ein elfjähriges krankes Kind vielleicht von einem im Haushalt lebenden 18-jährigen Bruder betreut werden können. Je kleiner das Kind ist, desto weniger wird das natürlich möglich sein. Die „andere Person" muss schon zur Pflege geeignet sein. Da darf man auch nicht zu kleinlich sein. Ist das Kind behindert und auf Hilfe angewiesen, gilt die Altersgrenze von zwölf Jahren nicht.
123recht.de: Was muss ich tun, um beim Kind bleiben zu können?
Rechtsanwalt Klepsch: Wie immer, wenn man nicht zur Arbeit erscheinen kann, muss man den Arbeitgeber so früh wie möglich informieren. Steht dann fest, in der Regel nach dem Besuch beim Kinderarzt, dass das Kind entsprechend pflegebedürftig krank ist, muss man die besondere Bescheinigung darüber unverzüglich beim Arbeitgeber vorlegen.
Pro Kind und Jahr kann man bis zu 10 Tage freigestellt werden
123recht.de: Geht das unbegrenzt? Wie lange kann man freigestellt werden?
Rechtsanwalt Klepsch: Die Regelung in § 45 SGB V sieht vor, dass pro Kind und Jahr zehn Arbeitstage in Anspruch genommen werden können. In den ganz besonders dramatischen Fällen, in denen Kinder an einer tödlichen Krankheit leiden und die behandelnden Ärzte dies bestätigen, gilt diese Grenze allerdings nicht.
123recht.de: Ändert sich daran etwas, wenn man mehr als ein Kind hat oder alleinerziehend ist?
Rechtsanwalt Klepsch: Der Anspruch besteht grundsätzlich für jedes Kind, allerdings wird bei drei oder mehr Kindern eine Höchstgrenze eingeführt, das sind 25 Arbeitstage im Jahr. Alleinerziehende erhalten nicht nur zehn Arbeitstage pro Kind, sondern 20 Arbeitstage pro Kind, die Höchstgrenze insgesamt bei drei und mehr Kindern liegt für Alleinerziehende bei 50 Arbeitstagen im Jahr.
Im Arbeitsvertrag kann vom Gesetz Abweichendes geregelt werden
123recht.de: Was gibt es bei der Vergütung für diese besondere Freistellung zu beachten?
Rechtsanwalt Klepsch: Der Arbeitnehmer hat immer, wenn er aus einem wichtigen persönlichen Grund für eine relativ kurze Zeit fehlt, einen Anspruch auf Vergütung gegen den Arbeitgeber. Das ergibt sich aus § 616 BGB. Allerdings ist diese Regelung nicht zwingend, im Arbeitsvertrag können Abweichungen vereinbart werden. So wird gerade für den Fall, dass der Arbeitnehmer wegen der Erkrankung eines Kindes zu Hause bleiben muss, häufig im Arbeitsvertrag die Fortzahlung der Vergütung ausgeschlossen. In diesen Fällen besteht dann ein Anspruch gegen die Krankenkasse auf Krankengeld. Das wiederum ist in § 45 SGB V geregelt. Das Krankengeld ist etwas niedriger als die Vergütung, die der Arbeitgeber zahlen müsste. Der Anspruch gegen die Krankenkasse setzt allerdings voraus, dass der Elternteil, der zu Hause bleibt, mit einem Anspruch auf Krankengeld in der gesetzlichen Krankenkasse versichert ist und dass auch das Kind, in der Regel über die Familienversicherung, in der gesetzlichen Krankenkasse versichert ist. Insbesondere bei Kindern, die privat krankenversichert sind, entfällt also die Möglichkeit, über die Krankenkasse Krankengeld in dieser Zeit zu bekommen.
123recht.de: Kann die Freistellung vom Arbeitgeber auch verwehrt werden, z.B. wegen der wirtschaftlichen Lage? Oder muss man mir dann zumindest unbezahlten Sonderurlaub gewähren?
Rechtsanwalt Klepsch: Wenn die oben beschriebenen Voraussetzungen eines nach ärztlichem Zeugnis kranken Kindes unter zwölf Jahren bei Fehlen einer anderen Betreuungspersonen gegeben sind, dann muss die Freistellung gewährt werden. Ob dann der Arbeitgeber zur Zahlung verpflichtet ist oder ob die Krankenkasse Krankengeld bezahlen muss, ist eine andere Frage. Selbst wenn der Arbeitgeber nicht zahlen muss, leistet die Krankenkasse.
123recht.de: Wenn ich im Erholungsurlaub bin oder krank werde, werden mir Urlaubstage gutgeschrieben. Gilt etwas ähnliches bei Krankheit des Kindes?
Rechtsanwalt Klepsch: Dieser Anspruch auf Freistellung ist ja eben gerade kein Urlaub. Es geht also nicht darum, dass Erholung nachgeholt werden soll. Die Freistellung von der Arbeit erfolgt ja auch bei eigener Krankheit. Bei eigener Krankheit erfolgt auch eine Entgeltfortzahlung. Diesbezüglich gibt es also keine Nachteile. Ob man aber dann noch Tage für die Kinderbetreuung sozusagen gutgeschrieben bekommt oder nicht, ist soweit ersichtlich vom Bundesarbeitsgericht noch nicht entschieden. Die allgemeine Meinung dazu ist aber, dass der zuerst aufgetretene Grund maßgeblich ist, das würde bedeuten, dass eine „Gutschrift" nicht erfolgt.
Keine Besonderheiten bei Teilzeittätigkeit
123recht.de: Gibt es Besonderheiten bei Teilzeit- oder Gleitzeitbeschäftigungen
Rechtsanwalt Klepsch: Die Freistellung wird ja nur benötigt für Zeiten, in denen eigentlich eine Arbeitsleistung hätte erbracht werden müssen. Dementsprechend gibt es bei Teilzeit eigentlich keine Besonderheiten. Im Rahmen von Gleitzeit erfolgte trotzdem eine volle Freistellung für den jeweiligen Arbeitstag. Die Vergütung wird dann auf Basis der regulären Normalarbeitszeit ermittelt.
Aufpassen muss man in den Fällen der Arbeit auf Abruf. Es gibt Arbeitgeber, die dann versuchen, schnell noch den Dienstplan dahin zu ändern, dass für die Zeit der Krankheit des Kindes plötzlich behauptet wird, man wäre nicht zur Arbeit eingeteilt gewesen. Dann muss der Arbeitgeber natürlich auch keine Vergütung fortzahlen. In diesen Fällen muss auf den alten Dienstplan vor der Meldung an den Arbeitgeber, dass man wegen Erkrankung des Kindes nicht kommen kann, zurückgegriffen werden. Auf Basis dieser Einteilung ist dann die Vergütung fortzuzahlen.
123recht.de: Was mache ich, wenn ich keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung habe? Ich kann mein Kind ja nicht alleine zuhause lassen.
Rechtsanwalt Klepsch: Selbst wenn kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, z.B. weil er im Arbeitsvertrag ausgeschlossen wurde und die Krankenkasse ebenfalls kein Krankengeld zahlen muss, wie bei fehlender gesetzlicher Krankenversicherung, besteht ein Anspruch auf Freistellung von der Arbeit. Das ist ausdrücklich in § 45 Abs. 3 und Abs. 5 SGB V so geregelt.
123recht.de: Vielen Dank!