Streik im ganzen Land

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So streikt man in Deutschland

Mehr Lohn, bessere Bedingungen, weniger Arbeitsstunden. Die Parolen streikender Arbeitnehmer sind meist die gleichen. Wie oft verschiedene Branchen auf die Barrikaden gehen, ist hingegen stark unterschiedlich. Nach 2008 waren die Zahl und das Ausmaß der Arbeitsniederlegungen in Deutschland vier Jahre rückläufig – bis 2013.

Der neueste Bericht der Arbeitsagentur zeigt einen Anstieg der beteiligten Arbeitnehmer. Im Vergleich mit europäischen Ländern sind die Deutschen aber keine Streikfreunde, hierzulande fallen wesentlich weniger Streittage an. Die letzten großen Klassenkämpfe seit der Wende lieferten sich Drucker (1994) und Metaller (2002). Bergarbeiter, Metaller, Öffentlicher Dienst, Bahn-Angestellte und der Einzelhandel sind historisch jene Geschäftszweige mit den folgenreichsten und größten Streiks. Verglichen dazu war der jüngste Streik bei der Lufthansa mit 5.400 Piloten eine Kleinigkeit, der Schaden ist jedoch enorm.

123recht.de klärt im Interview mit Rechtsanwalt Lenas Götz auf, was genau Streikrecht ist und was es umfasst.

123recht.de: Herr Götz, was versteht man unter einem Streik?

Rechtsanwalt Götz: Ein Streik ist das primäre Arbeitskampfmittel der Arbeitnehmerseite (in der Regel der Gewerkschaften). Bei einem Streik legt eine Vielzahl von Arbeitnehmern planmäßig die Arbeit nieder. Bei einem rechtmäßigen Streik werden die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert. Die Arbeitnehmer haben keine Pflicht mehr zu arbeiten und der Arbeitnehmer muss keine Vergütung bezahlen.

Das ist auch der Grund, warum aus einem rechtmäßigen Streik keine individualrechtlichen Folgen (wie z.B. Kündigung oder Abmahnung) resultieren dürfen. Bis ca. 1955 war dies anders. Man trennte damals nicht zwischen kollektivem und individuellem Arbeitsrecht. Das hatte zur Folge, dass beispielsweise bei einer lösenden Aussperrung des Arbeitgebers die Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren.

Der Streik dient in erster Linie dazu, die Gegenseite im Kollektiv unter Druck zu setzen und damit eigene tariflich regelbare Ziele durchzusetzen.

123recht.de: Was gibt es für Formen des Streiks?

Rechtsanwalt Götz: Es gibt viele unterschiedliche Arten des Streiks. Manche dieser Streikformen sind rechtlich nicht zulässig. Die Auseinandersetzung mit den rechtlichen Voraussetzungen der einzelnen Streikformen würde aber den Rahmen dieses Interviews sprengen. Daher belasse ich es bei einer Aufzählung:

  • klassischer Streik,
  • Warnstreik (Kurzzeitige Arbeitsniederlegung in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit laufenden Tarifverhandlungen),
  • Generalstreik (Streik aller Arbeitnehmer einer Volkswirtschaft),
  • Wellenstreik (Arbeitnehmer eines Betrieb oder einer Betriebsabteilung legen plötzlich unbefristet die Arbeit nieder, nehmen dann genauso unerwartet die Arbeit wieder auf, um sie dann nach unbestimmter Zeit wieder niederzulegen),
  • Unterstützungsstreik (Die Teilnehmer des Unterstützungsstreiks unterstützen einen Hauptstreik anderer Arbeitnehmer mit dem Ziel, den Druck auf den vom Hauptarbeitskampf betroffenen Arbeitgeber zu verstärken),
  • politischer Streik (Streik gegen oder für politische Ziele)
  • Schwerpunktstreik (Belegschaften ausgewählter Betriebe eines Wirtschaftszweiges oder Arbeitnehmer betriebswichtiger Abteilungen streiken in einem einzelnen Unternehmen),
  • Teilstreik (Nur bestimmte Arbeitnehmergruppen oder Betriebsabteilungen streiken).
  • Mit einem Streik muss ein tariflich regelbares Ziel verfolgt werden

    123recht.de: Wann und innerhalb welcher Grenzen ist das streiken erlaubt?

    Rechtsanwalt Götz: Ein rechtmäßiger Streik hat folgende Voraussetzungen: Es müssen zunächst die formalen Kriterien erfüllt sein, wie Gewerkschaftsbeschluss (Urabstimmung), Bekanntmachung und Vorankündigung; es darf kein Verstoß gegen die Friedenspflicht vorliegen. Nach der Friedenspflicht sind die Parteien zu bestimmten Zeiten oder aber auch stets verpflichtet, Kampfmaßnahmen (Streiks, Aussperrungen) zu unterlassen. Der Streik muss sich im Rahmen der Arbeitskampfparität bewegen (zwischen den Parteien eines Arbeitskampfes muss ein annäherndes Verhandlungs- und Kampfgleichgewicht gewahrt bleiben, also dürfen keiner Seite so starke Kampfmittel zur Verfügung stehen, dass der Gegenseite keine gleichwertige Verhandlungschance bleibt). Der Streik muss auch verhältnismäßig sein und es muss mit dem Streik ein tariflich regelbares Ziel verfolgt werden. Letzteres ist der Grund, warum meines Erachtens Unterstütungs- und politische Streiks rechtswidrig sind.

    123recht.de: Darf sich jeder am Streik beteiligen?

    Rechtsanwalt Götz: Nach ganz herrschender Meinung dürfen sich sowohl in der zum Streik aufrufenden Gewerkschaft organisierte Arbeitnehmer, als auch nicht oder in einer anderen Gewerkschaft organisierte Arbeitnehmer am Streik beteiligen. Letzteren komme nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts das Streikergebnis auch zugute, weshalb ihnen eine Streikbeteiligung möglich sein solle.

    Man kann streiken, muss aber nicht

    123recht.de: Muss man sich an einem Streik beteiligen? Hat das Folgen, wenn man trotzdem arbeiten geht?

    Rechtsanwalt Götz: Nein, das Recht auf koalitionsmäßige Betätigung ist ein Grundrecht, das unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt. Wenn man von diesem Recht keinen Gebrauch machen will, kann man dazu nicht gezwungen werden. Die Folge ist, dass man arbeitet, sofern das möglich ist.

    123recht.de: Darf jeder streiken oder gibt es davon ausgenommene Gruppen?

    Rechtsanwalt Götz: Beamte (Richter und Soldaten) dürfen nicht streiken. Für die Deutsche Bahn ist dieser Umstand im aktuellen Lokführerstreik vorteilhaft, da sie die verbeamteten Lokführer jederzeit einsetzen kann. Allerdings können sich die verbeamteten Lokführer durch Krankmeldungen solidarisieren.

    Der Arbeitgeber kann sich gegen einen Streik wehren

    123recht.de: Wie kann der Arbeitgeber reagieren?

    Rechtsanwalt Götz: Der Arbeitgeber kann zunächst die Arbeitnehmerschaft aussperren. Die Aussperrung ist das Gegenstück zum Streik auf der Arbeitgeberseite und hat dieselben rechtlichen Folgen. Der Arbeitgeber kann zudem den gesamten Betrieb stilllegen. Auch hier wird in der Regel der Kreis der betroffenen Arbeitnehmer vergrößert, um den Druck auf die Arbeitnehmerschaft zu erhöhen. Schließlich kann der Arbeitgeber so genannte Streikbruchprämien an Streikbrecher zahlen. Es handelt sich dabei allerdings nicht um ein klassisches Arbeitskampfmittel. Grundsätzlich kann ein Arbeitgeber bei drohendem Beginn oder aber auch während eines Streiks neue Angebote unterbreiten in der Hoffnung, dass ein Streik vorzeitig abgebrochen wird.

    123recht.de: Es gab jüngst verschiedene Stimmen, die das Streikrecht einschränken wollen, da kleine Gruppen das ganze Land lahmlegen können, z.B. bei Streiks der Piloten oder Lokführer. Was meinen Sie dazu?

    Rechtsanwalt Götz: Das dürfte aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 9 Abs. 3 GG schwierig sein. Das Streikrecht ist ein Grundrecht und kann nicht einfach durch ein Parlamentsgesetz eingeschränkt werden. Der Ansatz ist meines Erachtens auch falsch. Man sollte sich stattdessen überlegen, ob man in den Bereichen der Daseinsvorsorge (Verkehr, Versorgung etc.) eine Zwangsschlichtung als zusätzliche Voraussetzung eines Arbeitskampfes einführt.

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