Urlaubstage verfallen nicht automatisch am Jahresende
Mehr zum Thema: Experteninterviews, Urlaub, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Verfall, UrlaubsanspruchUrlaubsanspruch: BAG setzt EuGH-Vorgaben zum Arbeitnehmerschutz um
Ansprüche von Arbeitnehmern auf Urlaub dürfen nicht mehr automatisch verfallen. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Einklang mit der Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofs. Nach dem deutschen Bundesurlaubsgesetz verfiel der Urlaubsanspruch bisher, wenn der Arbeitnehmer bis zum Jahresende keinen Urlaub nahm. Dies sei aber nicht mit dem Arbeitnehmerschutz vereinbar, da viele Arbeitnehmer ihren Urlaubsanspruch nicht geltend machten, weil sie berufliche Nachteile befürchteten. (BAG, Urteil vom 19.02.2019, Az: 9 AZR 541/15)
Welche Folgen dieses Urteil nun für Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat, erklärt die Fachanwältin für Arbeitsrecht, Anja Möhring, im Interview mit 123recht.de.


seit 2013
123recht.de: Frau Möhring, wann verfällt ein Urlaubsanspruch?
Rechtsanwältin Möhring: Der Urlaub verfällt nicht mehr automatisch am Ende des Urlaubsjahres oder eines Übertragungszeitraums. Er verfällt nur noch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, den Urlaub zu nehmen und ihn „klar und rechtzeitig" darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub sonst verfällt. Wann ein Hinweis auf das Verfallsrisiko rechtzeitig ist, hat das Bundesarbeitsgericht allerdings offen gelassen, dies werden die Arbeitsgerichte im jeweiligen Einzelfall zu prüfen haben.
Arbeitgeber müssen "klar und rechtzeitig" auf den Urlaubsverfall hinweisen
123recht.de: Welche Fragen sind durch das BAG noch geregelt worden?
Rechtsanwältin Möhring: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht von sich aus Urlaub gewähren muss. Wenn der Arbeitnehmer den noch offenen Urlaub nicht beantragt, obwohl er vom Arbeitgeber konkret aufgefordert wurde, ihn zu nehmen und auf das Verfallsrisiko hingewiesen wurde, verfällt der Urlaub am Ende des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums.
123recht.de: Welche Folgen hat das Urteil für bereits verfallene Urlaubsansprüche aus den Vorjahren?
Rechtsanwältin Möhring: Das Urteil führt dazu, dass verfallen geglaubte Urlaubsansprüche noch bestehen können, Arbeitnehmer sollten dies prüfen und ggf. Urlaubsansprüche beim Arbeitgeber nachfordern. Ob Ansprüche bestehen und für welchen Zeitraum, hängt davon ab, ob eine arbeitsvertragliche oder tarifliche Ausschlussfrist besteht. Offen ist, ob die allgemeinen Verjährungsregeln greifen oder ob die Urlaubsansprüche wie bei dauerhaft arbeitsunfähigen Arbeitnehmern 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfallen (BAG, Urt. v. 16. 10. 2012 – 9 AZR 63/11). Diese Frage wird von der Rechtsprechung zu klären sein.
Ein Rundschreiben oder ein Aushang am schwarzen Brett reicht nicht aus
123recht.de: Was müssen Arbeitgeber ab sofort beachten?
Rechtsanwältin Möhring: Arbeitgeber müssen nun im Auge behalten, ob ihre Mitarbeiter den ihnen zustehenden Urlaub in Anspruch nehmen. Ein allgemeines Rundschreiben oder ein Aushang am schwarzen Brett, mit dem Mitarbeiter aufgefordert werden, ihren Urlaub zu beantragen, da er ansonsten verfällt, dürfte nicht ausreichen. Die Rechtsprechung fordert eine konkrete Information des einzelnen Arbeitnehmers.
Da im Streitfall der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig dafür ist, dass er den Arbeitnehmer aufgefordert hat, noch offenen Urlaub zu nehmen und rechtzeitig auf das Verfallsrisiko hingewiesen hat, sollte dies schriftlich erfolgen und auch dokumentiert sein, dass der Mitarbeiter den Hinweis erhalten hat. Um der Forderung einer rechtzeitigen Information gerecht zu werden, sollte diese spätestens Ende des dritten Quartals erfolgen. Das Schreiben sollte zur Personalakte genommen werden.
Bei einer Fünf-Tage-Woche beträgt der Mindesturlaubsanspruch 20 Tage
123recht.de: Hat eigentlich jeder Anspruch auf Urlaub?
Rechtsanwältin Möhring: Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub, geregelt ist dies im Bundesurlaubsgesetz (BUrlG).
123recht.de: Wie viele Urlaubstage stehen Arbeitnehmern generell zu?
Rechtsanwältin Möhring: Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt gemäß § 3 Abs. 1 BUrlG mindestens 24 Werktage. Da Samstage als Werktag zählen, bezieht sich dieser Anspruch auf eine sechs-Tage-Woche. Bei einer fünf-Tage-Woche beträgt der Mindesturlaubsanspruch 20 Tage. Häufig ergibt sich aber aus dem Arbeitsvertrag oder aus einem Tarifvertrag ein höherer Urlaubsanspruch.
123recht.de: Darf der Arbeitgeber den Urlaub ohne Grund verweigern?
Rechtsanwältin Möhring: Nach § 7 Abs. 1 BUrlG sind bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Urlaubswunsch des Arbeitnehmers grundsätzlich Vorrang. Der Arbeitgeber darf einen Urlaubswunsch des Arbeitnehmers nur verweigern, wenn dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen.
Als Beispiele für solche dringenden betrieblichen Interessen werden häufig personelle Engpässe, eine plötzlich veränderte Auftragslage oder auch sonstige Umstände der Betriebsorganisation genannt, die dazu führen, dass bei Gewährung des Urlaubs der Betriebsablauf erheblich beeinträchtigt würde.
Beispiele für dringende betriebliche Belange, die einer Urlaubsgewährung entgegenstehen können, sind personelle Engpässe und eine plötzlich veränderte Auftragslage. Dennoch muss der Arbeitgeber eine Interessenabwägung zwischen dem Urlaubswunsch des Arbeitnehmers und den betrieblichen Interessen vornehmen. Dafür, dass dringende betriebliche Interessen entgegenstehen, ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig.
Wenn im Betrieb unter Beteiligung des Betriebsrats Betriebsferien festgelegt wurden, begründet dies betriebliche Belange, die einer Urlaubsgewährung außerhalb der Betriebsferien entgegenstehen können.
Wegen Krankheit nicht genommener Urlaub verfällt 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres
123recht.de: Was geschieht mit dem Urlaubsanspruch bei Krankheit?
Rechtsanwältin Möhring: Ein Arbeitnehmer erwirbt auch dann einen Urlaubsanspruch und ggf. Anspruch auf Zusatzurlaub als Schwerbehinderter, wenn er krank ist oder wenn das Arbeitsverhältnis aufgrund einer befristeten Erwerbsminderungsrente ruht. Kann der Arbeitnehmer aufgrund einer Erkrankung seinen Urlaub nicht in Anspruch nehmen konnte, verfällt dieser Urlaub nicht Ende des Kalenderjahres bzw. eines Übertragungszeitraums. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann Urlaub aber nicht unbegrenzt angesammelt werden, vielmehr verfällt dieser 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres, also am 31.03. des Folgejahres.
123recht.de: Vielen Dank Frau Möhring.
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Fachanwältin für Verwaltungsrecht
Berliner Allee 14
30175 Hannover
Tel. 0511 23594830
Fax 0511 235948359
rae@karoff-moehring.de
www.karoff-moehring.de
