Wann haben Sie einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger?

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Die Pflichtverteidigung im Strafrecht - Was müssen Sie als Beschuldigter im Strafverfahren wissen?

In Fernsehkrimis wird der Pflichtverteidiger meist als eher unmotiviert oder sogar als Anwalt zweiter Klasse dargestellt, der nur beigeordnet wird, damit der Angeklagte überhaupt einen Verteidiger hat. Wie sieht es aber in der Realität aus? Wie wird ein Pflichtverteidiger bestellt, kann ich mir den Pflichtverteidiger aussuchen, wer trägt die Kosten? Rechtsanwalt Jannis Geike räumt im Interview mit 123recht.de mit den Vorurteilen auf.

123recht.de: Herr Geike, was ist die Aufgabe eines Pflichtverteidigers?

Jannis Geike
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Ein Pflichtverteidiger stellt die ordnungsgemäße Verteidigung eines Angeklagten im Falle einer notwendigen Verteidigung sicher. Die Notwendigkeit ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip. Durch die Möglichkeit der Pflichtverteidigerbestellung unabhängig von der Vermögenssituation wird eine wirksame Verteidigung eines Angeklagten sichergestellt.

Wenn eine Verteidigung zwingend notwendig ist, wird dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt

123recht.de: Wann wird eine Pflichtverteidigung bestimmt?

Rechtsanwalt Geike: Eine Pflichtverteidigung wird bestimmt, wenn ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Dies ist der Fall, wenn:

  • die Gerichtsverhandlung bereits in erster Instanz vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet,
  • man eines Verbrechens (eine Tat die im Mindestmaß mit 1 Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist) beschuldigt ist
  • ein Berufsverbot droht
  • die Schwere der vorgeworfenen Tat dies gebietet, da im Falle einer Verurteilung von einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr oder mehr auszugehen ist
  • eine schwierige Sach- oder Rechtslage vorliegt,
  • man unfähig ist, sich selbst zu verteidigen (etwa aufgrund von Erkrankungen oder mangelnden Sprachkenntnissen
  • man in Untersuchungshaft sitzt.

Ein Pflichtverteidiger kann frühestens im Ermittlungsverfahren bestellt werden

123recht.de: Wer bestellt den Pflichtverteidiger? Ab welchem Zeitpunkt muss der Verteidiger bestimmt werden?

Rechtsanwalt Geike: Der Pflichtverteidiger wird vom zuständigen Gericht bestellt. Eine Beiordnung muss gemäß § 141 Abs. 1, 2 StPO spätestens dann erfolgen, wenn dem Angeklagten die Anklageschrift durch das Gericht zugestellt wird und somit das Zwischenverfahren beginnt. Einem Beschuldigten wird meist zu diesem Zeitpunkt ein Pflichtverteidiger bestellt. Mit der Aufforderung an den Beschuldigten, einen Verteidiger seiner Wahl als Pflichtverteidiger zu benennen, bereitet das Gericht seinen Eröffnungsbeschluss vor.

123recht.de: Geht das auch schon früher?

Rechtsanwalt Geike: Ja, liegt ein entsprechender Antrag der Staatsanwaltschaft vor, ist eine Pflichtverteidigung auch schon bereits im Ermittlungsverfahren möglich. Ob ein Antrag gestellt wird, liegt jedoch im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Nur wenn der Beschuldigte bereits in Untersuchungshaft sitzt, ist ihm sofort ein Pflichtverteidiger zu bestellen.

123recht.de: Ist Pflichtverteidigung dasselbe wie Anwaltszwang?

Rechtsanwalt Geike: Nein. Anwaltszwang besteht etwa in Zivilsachen ab dem Landgericht. Hier sind die Kosten grundsätzlich vom Mandanten zu übernehmen. Ist das aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich, besteht die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu beantragen.

Ob ein Pflichtverteidiger beigeordnet wird, hängt vom Vorliegen der genannten Voraussetzungen ab. So ist es etwa möglich, dass Strafverhandlungen am Landgericht ohne Anwalt bzw. Pflichtverteidiger stattfinden, wenn es sich um eine Berufungsverhandlung handelt und die Voraussetzungen nicht vorliegen.

123recht.de: Habe ich die Möglichkeit, den Pflichtverteidiger zu beeinflussen?

Rechtsanwalt Geike: Der Angeklagte hat grundsätzlich die Möglichkeit, auf den Pflichtverteidiger einzuwirken und Wünsche zu äußern. Der Pflichtverteidiger selbst ist aber in erster Linie verpflichtet, gewissenhaft und zum Wohle seines Mandanten zu handeln. Wenn dies von den Wünschen des Mandanten abweicht, so ist der Rechtsanwalt an Letztere nicht gebunden.

Die Auswechslung eines Pflichtverteidigers ist schwierig

123recht.de: Wenn ich mit der Arbeit nicht zufrieden bin, kann ich den Pflichtverteidiger also ablehnen?

Rechtsanwalt Geike: Eine Auswechslung des Pflichtverteidigers kommt nur bei schwerwiegenden Gründen in Betracht. Hierfür gelten insofern hohe Hürden. Ein Auswechseln des zum Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalts ist möglich, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Pflichtverteidiger und Angeklagtem zerstört ist.

Die Behauptung eines zerstörten Vertrauensverhältnisses muss vom Angeklagten mit konkreten Tatsachen belegt werden und ist hierbei vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigten Angeklagten her zu beurteilen.

Die Tatsache, dass der Angeklagte mit der Arbeit des Pflichtverteidigers unzufrieden ist oder der Pflichtverteidiger nicht macht, was der Angeklagte sagt, ist nicht ausreichend.

Auch der Pflichtverteidigung kann seine Entflichtung nur in Ausnahmefällen erfolgreich beantragen.

123recht.de: Sollte ich mir daher den Pflichtverteidiger besser selbst aussuchen?

Rechtsanwalt Geike: Jeder Angeklagte hat das Recht, sich selbst seinen Pflichtverteidiger auszusuchen und diesen vom Gericht beiordnen zu lassen. Bei den Rechtsanwaltskammern werden hierzu "Strafverteidigerlisten" geführt. Wenn man sich nicht selbst einen Verteidiger sucht, übernimmt das Gericht diese Aufgabe.

Das Gericht kann die Anzahl der Pflichtverteidiger festlegen

123recht.de: Wieviele denn? Beate Zschäpe beispielsweise hatte ja gleich mehrere Pflichtverteidiger.

Rechtsanwalt Geike: Eine gesetzliche Vorgabe besteht nicht. Die Anzahl der Pflichtverteidiger steht im Ermessen des Gerichts und orientiert sich unter anderem an dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache. Eine gesetzliche Beschränkung auf drei Verteidiger gilt gemäß § 137 StPO nur für die Anzahl der Wahlverteidiger.

Jedoch muss die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers durch ein unabwendbares Bedürfnis gerechtfertigt sein: Die Ermöglichung einer wechselseitigen Vertretung oder die allgemeine Entlastung des bereits bestellten Pflichtverteidigers ist nicht ausreichend.

Der Regelfall ist daher die Beiordnung eines einzelnen Pflichtverteidigers. Beate Zschäpe hatte 4 Pflichtverteidiger, einer davon wurde erst nach 215 Prozesstagen nachträglich beigeordnet, und einen Wahlverteidiger.

Die Kosten für den Pflichtverteidiger können dem Angeklagten auferlegt werden

123recht.de: Muss ich den Pflichtverteidiger bezahlen?

Rechtsanwalt Geike: Das hängt vom Ausgang des Verfahrens ab. Zunächst werden die Kosten von der Staatskasse übernommen. Die Gebühren für einen Pflichtverteidiger zählen jedoch zu den Verfahrenskosten und sind vom Angeklagten im Falle einer Verurteilung zurückzuzahlen, wenn ihm auferlegt wird, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Gebühren für einen Pflichtverteidiger sind jedoch niedriger als die für einen Wahltverteidiger. Zudem wird im Jugendstrafrecht oft darauf verzichtet, einem Verurteilten diese Verfahrenskosten aufzuerlegen.

123recht.de: Gibt es Besonderheiten im Jugendstrafrecht?

Rechtsanwalt Geike: Neben den bereits genannten Voraussetzungen wird ein Pflichtverteidiger bei Jugendsachen auch beigeordnet,

  • wenn dem Erziehungsberechtigten gem. § 67 Abs. 4 JGG die Verfahrensrechte entzogen wurden, weil er der Tatbeteiligung verdächtig ist,
  • wenn zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des jugendlichen Beschuldigten eine Unterbringung in einer Anstalt in Frage kommt,
  • oder wenn gegen einen noch nicht 18 Jahre alten Beschuldigten Untersuchungshaft oder einstweilige Unterbringung vollstreckt wird.

123recht.de: Vielen Dank Herr Geike.

Ich freue mich über Kommentare und Meinungen.

Ihr Rechtsanwalt Geike
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