Was macht und darf das Jugendamt?
Mehr zum Thema: Experteninterviews, Jugendamt, Kinder, Eltern, Aufgabe, Kindeswohlgefährdung, ErmessenAmt für Kinder, Jugend und Familie - Was steckt hinter der Behörde "rund ums Kind"?
Viele Menschen wissen nicht so recht, was sie vom Jugendamt halten sollen. Manchmal mischt es sich zu sehr ein, manchmal zu wenig. Doch was ist das Jugendamt eigentlich, was darf es und wofür ist es zuständig? Darf das Jugendamt Eltern und Kinder trennen?
Rechtsanwältin Miriam Möller im Gespräch mit 123recht.de zum Thema Jugend, Familie und die Rechte und Pflichten der Behörden:
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123recht.de: Frau Möller, was ist das Jugendamt?
Rechtsanwältin Möller: Das Jugendamt ist eine Abteilung innerhalb der jeweiligen Gemeinde-, Stadt- bzw. Kreisverwaltung. Der Begriff „Jugendamt“ ist insoweit etwas kurz gefasst. In vielen Gemeinden wird diese Abteilung deshalb auch „Amt für Kinder, Jugend und Familie“ genannt.
Anders als andere Ämter in den Verwaltungen besteht das Jugendamt zudem nicht nur aus staatlichen Verwaltungsmitarbeitern, sondern auch aus dem so genannten Jugendhilfeausschuss. Ihm gehören unter anderem normale Bürger an, die sich für Kinder und Jugendliche engagieren und über entsprechende Erfahrungen verfügen.
Das Jugendamt unterstützt Kinder, Jugendliche und ihre Familien
123recht.de: Welche Aufgabe hat das Jugendamt und warum ist das nötig?
Rechtsanwältin Möller: Die Aufgaben des Jugendamtes sind zahlreich und sehr verschieden. In erster Linie liegen seine Aufgaben darin, Kinder, Jugendliche und ihre Familien mit Hilfsangeboten zu unterstützen. Dies kann u.a. durch Beratung aber auch Gewährung von Hilfen wie z.B. durch Stellung einer Person als ambulantem Familienhelfer, Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder und auch durch unmittelbare finanzielle Unterstützung wie z.B. Unterhaltsvorschuss erfolgen.
Zudem ist das Jugendamt auch vermittelnd bei getrennt lebenden Eltern tätig und unterstützt sowohl die Familiengerichte als auch die Strafgerichte in Verfahren, an denen Kinder beteiligt sind.
Manche dieser Aufgaben überträgt das Jugendamt auf andere Stellen und verweist dann an diese bzw. vermittelt sie, wobei es hierbei die Kosten für die Tätigkeit dieser Stellen übernimmt.
Natürlich gehört in Extrem-Fällen auch die Inobhutnahme von Kindern und deren Unterbringung in einer Pflegefamilie oder Einrichtung zu den Aufgaben des Jugendamtes.
Notwendig ist dies zum gesetzlich verankerten Schutz aller Kinder in unserem Land. Deren Rechte werden zunächst von ihren Eltern wahrgenommen. Der Staat hat jedoch zusätzlich die Aufgabe, darüber zu wachen, dass dies auch so erfolgt, dass sich Kinder, als die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft, gesund entwickeln können und keinen Schaden nehmen.
Inobhutnahme eines Kindes geht in der Regel nur mit richterlichem Beschluss
123recht.de: Welche Rechte kann das Jugendamt ausüben und was sind das für Situationen, in denen es das darf?
Rechtsanwältin Möller: Das Jugendamt kann eigenständig Kontakt zu Familien, insbesondere Eltern, aufnehmen, wenn ihm Probleme im häuslichen Umfeld eines Kindes bekannt werden. Dies kann durch Einladung zu Gesprächen, aber auch durch unangekündigte Hausbesuche erfolgen. Es kann auch Verwarnungen aussprechen.
Für die Inobhutnahme eines Kindes, also die Wegnahme aus dem Haushalt und anderweitige Unterbringung bedarf auch das Jugendamt in der Regel vorab eines richterlichen Beschlusses. Nur in sehr seltenen extremen Ausnahmefällen der akuten Kindeswohlgefährdung ist das Jugendamt berechtigt, eine solche Inobhutnahme ohne vorherigen richterlichen Beschluss durchzuführen, muss diesen dann aber unmittelbar nachträglich einholen.
123recht.de: Was bedeutet Kindeswohlgefährdung?
Rechtsanwältin Möller: Gerade zwischen getrennt lebenden Eltern wird der Begriff „Kindeswohlgefährdung“ allzu häufig und inflationär als Vorwurf gegen den anderen Elternteil benutzt. Sowohl hier als auch generell ist jedoch zu beachten, dass es eigentlich keine perfekte Familie gibt. Allein Streitigkeiten über verschiedene Erziehungsansätze stellen eben keine Kindeswohlgefährdung dar. Eine solche liegt nur dann vor, wenn das Kind nicht mehr ausreichend versorgt wird, die Erziehung durch die Eltern völlig ausbleibt oder gar eine Misshandlung vorliegt.
123recht.de: Was muss passieren, damit das Jugendamt ein Kind aus der Familie nimmt? Wie läuft das ab?
"Die Inobhutnahme ist das letzte verfügbare Mittel des Jugendamtes um Kinder vor Schaden zu bewahren"
Rechtsanwältin Möller: Zunächst muss nicht nur eine Kindeswohlgefährdung, sondern eine konkrete akute Gefahr für das Kind vorliegen. Diese muss auch zu einer vermutlich entsprechend gravierenden Schädigung des Kindes führen, bevor das Jugendamt mit einer solch drastischen Maßnahme direkt in die Familienverhältnisse eingreift.
In aller Regel steht das Jugendamt nicht urplötzlich eines Tages zum ersten Mal vor der Tür und holt das Kind ab. Vielmehr muss es auf ihm bekannt gemachte Umstände hin die Situation erst einmal selbst bewerten, was durch eine Kontaktaufnahme mit den Eltern, durchaus auch unangekündigte Hausbesuche, geschieht. Auf etwaige Missstände wird dann aufmerksam gemacht und versucht, Lösungen zu finden, z.B. durch entsprechende Hilfemaßnahmen. Nur wenn diese nicht in Anspruch genommen werden oder einfach nicht greifen, kann es dann dazu führen, dass eine Inobhutnahme des Kindes entschieden wird.
Hierüber wiederum entscheidet nie nur ein „Sachbearbeiter“, sondern die Bewertung der Familiensituation erfolgt stets auch innerhalb des Jugendamtes durch ein Gremium aus verschiedenen Fachkräften.
Die Inobhutnahme ist das letzte verfügbare Mittel des Jugendamtes, um ein Kind vor Schaden zu bewahren. Deshalb wird diese Entscheidung nie leichtfertig und vorschnell getroffen. Aufgabe und Ziel des Jugendamtes ist es eigentlich, die Familie als Ganzes zu unterstützen, damit die Kinder in ihrer Familie körperlich und psychisch gesund aufwachsen können.
Wenn ein Mitarbeiter des Jugendamtes vor der Tür steht, sollte man ihn hereinlassen
123recht.de: Eine Inobhutnahme kommt für die Eltern also meist nicht ganz unerwartet...
Rechtsanwältin Möller: Genau! Fälle, in denen das Jugendamt sozusagen ohne jegliche Vorwarnung gleich beim ersten Auftreten Kinder aus ihrer Familie nimmt, sind in der Regel lediglich solche, bei denen das - zumeist schon ältere jugendliche - Kind sich selbst an das Jugendamt gewandt hat mit der Bitte, aus der Familie entfernt zu werden. Und auch hier reagiert das Jugendamt selbstverständlich nicht auf jede Laune eines pubertierenden Teenagers, sondern nur bei erheblichen Vorwürfen der Vernachlässigung oder Misshandlung.
Im Übrigen werden, wie schon gesagt, meist vorherige Kontaktaufnahmen durch das Jugendamt erfolgt sein. Auf solche sollte man deshalb auch immer kooperativ reagieren. Auch wenn gerade die Müllbeutel im Flur zum Runterbringen und die noch nicht zusammen genommene Wäsche aus der Waschmaschine im Wohnzimmer liegt: Wenn ein Mitarbeiter des Jugendamtes vor der Tür steht, sollte man ihn ruhig hereinlassen, damit er feststellen kann, dass abgesehen vom alltäglichen Chaos einer normalen Familie alles in Ordnung ist. Er wird sich nicht an den frischen Müllbeuteln oder der Wäsche stören, sondern allenfalls und wohl aber an offenem Drogen-, exzessivem Alkoholkonsum, Gewalt oder offensichtlicher Vernachlässigung der Kinder.
Heim oder Pflegefamilie sind nur als vorübergehende Hilfe geplant
123recht.de: Darf das Kind irgendwann zurück in die Familie?
Rechtsanwältin Möller: Die Antwort lautet ganz klar: ja! Das oberste Ziel auch des Jugendamtes ist es letztlich, die Familie durch Hilfsangebote dahingehend zu unterstützen, dass sie in die Lage versetzt wird, sich wieder selbst um ihr Kind zu kümmern und dieses auch wieder dort leben kann. Die Unterbringung eines Kindes in einem Heim oder einer Pflegefamilie ist stets zunächst nur als vorübergehende Situation geplant.
Entweder schon vor oder jedenfalls unmittelbar nach einer solchen Inobhutnahme wird in jedem Fall das Familiengericht mit der Angelegenheit befasst sein. In diesem gerichtlichen Verfahren sind die Eltern automatisch beteiligt und werden vom Gericht auch fortlaufend informiert. Sie können auch selbst Anträge an das Gericht stellen, Stellung nehmen und werden in Verhandlungsterminen persönlich angehört. Theoretisch können sie dies alles sogar von Gesetzes wegen selber tun. Es ist aber durchaus ratsam, in solchen doch recht schwierigen Umständen einen Rechtsanwalt hinzuziehen, allein deshalb, weil dieser vertrauter ist mit der Art und Weise, in der solche Verfahren geführt werden.
123recht.de: Was können oder sollten betroffene Eltern sonst noch tun?
Rechtsanwältin Möller: Selbstverständlich bedarf es im Rahmen des Verlaufs dieses Verfahrens auch der aktiven Mitwirkung der Eltern zur Verbesserung der Situation. Gegebenenfalls müssen ergänzend zu den Hilfsangeboten des Jugendamtes eigene Maßnahmen ergriffen werden. Bei Suchterkrankungen (Drogen, Alkohol) ist ein Entzug und weitere Behandlung notwendig, bei psychischen Erkrankungen eine Therapie. Bei einem gewalttätigen Elternteil wird die dauerhafte räumliche und verbindliche Trennung von diesem meist sehr schnell zur Rückführung des Kindes in den Haushalt des anderen Elternteils führen.
Es liegt im Ermessen des Jugendamtes, ob und wie weit es Akteneinsicht gewährt
123recht.de: Wenn eine Familie Kontakt mit dem Jugendamt hat, hat sie das Recht auf Akteneinsicht? Man möchte ja schließlich wissen, was "die über einen schreiben".
Rechtsanwältin Möller: Ein gesetzlich verankertes und gesichertes Recht auf Akteneinsicht besteht nur dann, wenn ein offizielles Verwaltungsverfahren geführt wird, das in einem so genannten Verwaltungsakt mündet. Das ist im Rahmen der Tätigkeit des Jugendamtes jedoch eher selten der Fall. Meistens sind die Tätigkeiten des Jugendamtes schlichtes so genanntes hoheitliches Handeln, wie eben die Beratung oder auch die Gefährdungseinschätzung zur Inobhutnahme eines Kindes. In diesem Bereich wiederum liegt es im Ermessen des Jugendamtes, ob und wie weit es Akteneinsicht gewährt. Dabei ist auch die Wahrung von Geheimhaltungsinteressen anderer zu berücksichtigen, ggf. durch Schwärzung bei Akteneinsichtsgewährung. Man wird also z.B. nie offiziell erfahren, welcher Nachbar oder welcher sonstige Person eine Mitteilung an das Jugendamt gemacht hat, damit dieses tätig wurde.
Überhaupt wird das Akteneinsichtsrecht landläufig überbewertet. Die meisten wirklich zu Entscheidungen führenden Vorgänge innerhalb eines Jugendamtes, wie z.B. Gespräche zwischen verschiedenen Fachpersonen, werden selten offiziell protokolliert und in die Akte aufgenommen. Eventuell finden sich dort einige wenige interne Aktenvermerke. Die meisten „in der Akte“ befindlichen Dokumente werden jedoch solche sein, die einem ohnehin bereits zugesandt wurden, wie direkte Anschreiben oder Protokolle von Hilfeplangesprächen, an denen man selbst beteiligt war.
Auch ist zu berücksichtigen, dass eine solche Aktenführung nur für den internen Gebrauch bestimmt ist. Selbst wenn der Normalbürger Einsicht in die Akten erhält, wird ihm das in der Regel kaum weiteren Aufschluss geben als er vermutlich ohnehin schon aufgrund seiner eigenen Wahrnehmung hat. In der Regel führt das Lesen solcher Protokolle oder Aktenvermerke eher zu Verwirrung als zu Klarheit.
Wenn überhaupt ist deshalb eine solche Akteneinsicht nur durch einen im Familienrecht versierten Rechtsanwalt sinnvoll, der den maßgeblichen Inhalt dann für die betroffenen Eltern - seine Mandanten - „übersetzt“, so dass sie auch verstehen, worauf es ankommt.
Zudem ist jedes Handeln des Jugendamtes gerichtet auf das Wohl eines bzw. mehrerer Kinder und deren zukünftiger Entwicklung. Diese entwickeln sich ständig weiter und hierdurch verändern sich Lebensumstände aber auch der betroffene Mensch - das Kind - selbst. Da das Handeln des Jugendamtes und auch die notwendigen Entscheidungen der Familiengerichte immer ausschließlich zukunftsgerichtet sind, ist es meist von eher untergeordneter Bedeutung, was über die Vergangenheit geschrieben wurde.
Zur Verdeutlichung: auch ein Familienrichter wird nicht eine möglicherweise schon über Jahre geführte Akte des Jugendamtes anfordern, wenn er eine Entscheidung bezüglich des weiteren Lebens eines Kindes treffen soll. Ihm reicht hierzu vielmehr ein kurzer Bericht des Jugendamtes über die Vorkommnisse der Vergangenheit, um sozusagen die Geschichte der Familie zu erfassen. Seine Entscheidung wird jedoch auf den aktuellen Umständen und den Prognosen für die Zukunft basieren.
Entsprechend habe auch ich in den bislang 20 Jahren meiner Berufstätigkeit als Rechtsanwältin tatsächlich nur insgesamt zwei Mal überhaupt eine Akteneinsicht beim Jugendamt angefordert, weil die besonderen Umstände es erforderten, da mir nämlich meine Mandanten nicht vollumfänglich über die bisherige Historie berichten konnten.
Kinder, Jugendliche, Familien oder einzelne Elternteile können sich immer an das Jugendamt wenden
123recht.de: Welche weiteren Aufgaben übernimmt das Jugendamt, ich denke hier an etc?
Rechtsanwältin Möller: Das Jugendamt übernimmt sozusagen alle erdenklichen Aufgaben „rund um das Kind“. Auch die Adoptionsvermittlung oder Beratung in Scheidungsfällen gehört dazu.
Generell gilt: Kinder, Jugendliche, Familien oder einzelne Elternteile können sich immer an das Jugendamt wenden, wenn sie Fragen oder Probleme haben oder unzufrieden mit der familiären Situation sind, egal aus welchem Grund!
Die Hauptaufgabe des Jugendamtes besteht seinem gesetzlichen Zweck nach darin, zu helfen und zu unterstützen. Es ist sinnvoll, sich lieber selbst und besser früher als später an dieses zu wenden.
123recht.de: Vielen Dank für das informative Gespräch, Frau Möller.
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