Welche Rechte haben Kassenpatienten?

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Was können Patienten machen, wenn die Wartezeiten beim Arzt zu lang sind oder sie gar nicht aufgenommen werden?

Lange Wartezeiten auf Facharzttermine, wohin im Notfall, kann der Arzt die Behandlung verweigern? Wer schon mal einen Termin beim Facharzt brauchte, hat vielleicht schon Erfahrungen mit den Schwierigkeiten der Terminvergabe gemacht. Oft sind nur Monate im Voraus Termine zu buchen. Erst Recht als Kassenpatient. Hat das alles so seine Richtigkeit? Wir fragten bei Rechtsanwältin Almuth Arendt-Boellert nach.

123recht.de: Frau Arendt-Boellert, mein Hausarzt hat mir wegen meines schmerzenden Rückens eine Überweisung zum Orthopäden gegeben. Ich habe nun bei drei verschiedenen Ärzten versucht, einen zeitnahen Termin zu bekommen. Keine Chance. Der früheste Termin wäre in acht Wochen. Das kann es doch nicht sein, ich hoffe doch, dass ich bis dahin wieder gesund bin. Muss der Arzt mich nicht früher behandeln, schließlich habe ich Schmerzen?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Sind Ihre Schmerzen wirklich stark und für mehrere Wochen unerträglich? Schmerzpatienten haben Vorrang! Insistieren Sie darauf, dass Sie Schmerzen haben und dass Sie als Schmerzpatient eingestuft werden. Schmerzpatienten müssen zeitnah behandelt werden.

Terminservicestellen der kassenärztlichen Vereinigungen bieten seit einiger Zeit die Möglichkeit einer schnelleren Terminierung. Die Wartezeit soll dann nicht mehr als vier Wochen betragen. Oft funktionieren diese Servicestellen aber nicht gut. Denn die Fachärzte versäumen es, freie Termine an die jeweilige Servicestelle zu melden.

Für so eine Terminierung benötigen die Patienten eine Überweisung des Hausarztes und einen Code. Dieser Code muss am Telefon genannt werden. Die Terminservicestelle benennt dann den Arzt und den Termin. Freie Arztwahl gibt es in diesem System natürlich nicht mehr.

Bei den Servicestellen soll darauf geachtet werden, Ärzte in einer zumutbaren Entfernung zum Wohnort der Patienten zu wählen. Die Anfahrt sollte 30 Minuten nicht übersteigen. Nur bei sehr speziellen Ärzten, wie Radiologen, gilt eine Anfahrtsdauer von 60 Minuten als zumutbar. Gelingt es der Terminservicestelle nicht, einen Termin innerhalb von 28 Tagen zu organisieren, sind diese Stellen gehalten, einen ambulanten Termin in einem Krankenhaus zu vereinbaren.

Hausarztpraxis kann Facharzttermin für Sie vereinbaren

Da diese Terminservicestellen oft nur schlecht erreichbar sind, hier noch ein bewährter praktischer Tipp: Bitten Sie die Sprechstundenhilfe Ihres Hausarztes, zum Telefonhörer zu greifen und den Facharzt anzurufen. Die Terminvereinbarung von Praxis zu Praxis funktioniert häufig erstaunlich gut.

123recht.de: Bei einem Arzt ist mir aufgefallen, dass es zwei Rufnummern gibt: eine für Privatpatienten, eine für Kassenpatienten. Da kommt mir der Verdacht, dass Privatpatienten leichter einen Termin bekommen. Ist das rechtens? Muss der Arzt nicht alle Menschen gleich behandeln?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Alle sind gleich, nur manche sind gleicher? Natürlich sind das unhaltbare Zustände. Auch bei den aktuellen Koalitionsverhandlungen ging es immer wieder um das Thema Gesundheit. Das Thema Bürgerversicherung ist zwar erst mal in eine Schublade gepackt, kommt aber sicher wieder auf den Tisch.

Die Zweiklassenmedizin muss weg. Diejenigen Ärzte, die mit Kassenzulassung Geld verdienen wollen, sollten meiner Meinung nach jede Woche mindestens 3/4 der wöchentlichen Sprechzeiten für Kassenpatienten reservieren und in dieser überwiegenden Zeit auch nur Kassenpatienten behandeln.

Ich finde es regelrecht unanständig, wenn Ärzte sich von der Kassenärztlichen Vereinigung Stempel und Abrechnungsbefugnis abholen, die gesetzlich Krankenversicherten dann aber über Jahre und Jahrzehnte in die zweite Reihe schieben und zusätzlich viel Geld mit den privat Krankenversicherten machen.

Patienten ohne Termin dürfen weggeschickt werden

123recht.de: Wenn ich nun einfach in der Praxis stehe, darf der Arzt bzw. die Sprechstundenhilfe mich einfach wegschicken, weil ich keinen Termin habe?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Das kann passieren. Zwar gibt es in Deutschland die ärztliche Behandlungspflicht. Das bedeutet aber nicht, dass Patienten jederzeit überall sofort behandelt werden müssen. Sie müssen versorgt werden. Die Versorgungsverpflichtung der Ärzte wurde in den recht unübersichtlichen Gesetzesvorschriften im Sozialgesetzbuch V (SGB V) festgeschrieben.

123recht.de: Darf ein Arzt die Behandlung eines Patienten komplett verweigern?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Dem Recht der Patienten auf freie Arztwahl (geregelt in § 76 SGB V) steht die Freiheit der Ärzte gegenüber, nur die Patienten zu behandeln, die sie behandeln möchten. Diese Freiheit darf aber keinesfalls dazu führen, dass Patient ohne eine dringend notwendige medizinische Versorgung bleiben.

Notfallpatienten dürfen von den Ärzten nicht abgewiesen werden

123recht.de: Was gilt im Notfall? Wo soll ich hingehen, wenn ich wirklich starke Schmerzen habe, in die Notfallaufnahme eines Krankenhauses? Ich hatte doch keinen Unfall oder ähnliches.

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Notfallpatienten dürfen von den Ärzten nicht abgewiesen werden. Weisen Ärzte derartige Akutfälle ab, wäre das eine Straftat nach § 323 c Strafgesetzbuch (Unterlassene Hilfeleistung).

123recht.de: Die acht Wochen sind vergangen, ich sitze endlich pünktlich zu meinem vereinbarten Termin im Wartezimmer. Allerdings warte ich jetzt schon seit über einer Stunde, dass ich aufgerufen werde. Habe ich nicht das Recht, zum vereinbarten Termin behandelt zu werden?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Nein, es gibt keinen Rechtsanspruch auf pünktliche Behandlung. Aber gibt es in der Gesundheitsbranche nicht auch so etwas wie Verhaltensnormen für das soziale Miteinander?

Wenn Menschen andere Menschen Stunden warten lassen, ist das rücksichtslos und ungehörig. Meine Vermutung: Ärzte sind schlechte Praxismanager. Dienstleistungsgedanken und Serviceorientierung? Oft Fehlanzeige. Viele Ärzte gehen mit Patienten noch immer wie mit Bittstellern um. Um beim König vorzusprechen, mussten die Untertanen schon früher sehr lange warten.

Lange Wartezeiten im Wartezimmer verpflichten den Arzt nicht zu Schadensersatzzahlungen

123recht.de: Kann man Schadensersatz verlangen, wenn ein Arzttermin z.B. 2 Stunden später stattfindet als geplant?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Nein, theoretisch wäre das unter Umständen zwar möglich, praktisch aber kaum durchführbar. Schadensersatz hat ganz bestimmte Voraussetzungen: Auf der einen Seite die (nachweislich) schuldhafte Pflichtverletzung auf der Arztseite, auf der anderen Seite einen kausalen Schaden auf der Patientenseite. Absicht, Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit beim Praxisteam können stundenlang wartende Patienten wohl kaum nachweisen.

123recht.de: Dürfen andersrum Ärzte Schadensersatz verlangen, wenn man nicht zu einem Termin erscheint oder diesen kurzfristig absagen muss?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Diese Ausfallhonorare sind umstritten. Die Gerichte in Deutschland haben sich schon öfters damit beschäftigt und leider sehr unterschiedlich geurteilt. Patienten sollten Arzttermine möglichst frühzeitig absagen. Bei festen Terminen sollte die Absage schriftlich erfolgen, damit diese belegt werden kann. Aufgrund der Uneinigkeit der Gerichte besteht jedoch keine allgemein gültige Rechtsgrundlage. Bei Unglücksfällen und ernsthaften Zwangslagen würde jedoch kein deutsches Amtsgericht den Patienten das Ausfallhonorar abverlangen.

Bettlägerige haben Anspruch auf Hausbesuche

123recht.de: Wann hat man eigentlich einen Anspruch auf einen Hausbesuch?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Sobald Ärzte die Behandlung übernommen haben, haben sie auch die Verpflichtung zu Hausbesuchen übernommen, wenn die Patienten aus gesundheitlichen Gründen nicht selbst in die Praxis kommen können oder der Weg zur Praxis unzumutbar wäre. Dies ist in der Regel erst dann der Fall, wenn die Patientin oder der Patient nicht mobil und bettlägerig oder offensichtlich schwer erkrankt sind. Darunter fallen zum Beispiel Patienten nach einem Schlaganfall mit Hemiparese (halbseitige Lähmung des Körpers), Tumorerkrankungen im Endstadium oder an COPD (chronische Lungenerkrankung) erkrankte Patienten, die auf Heimsauerstoff angewiesen sind.

123recht.de: Es gibt Tabletten, die mir immer gut geholfen haben, der Arzt will sie mir aber nicht aufschreiben. Kann ich von ihm verlangen, dass er sie mir verschreibt?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Nein, das können Sie nicht verlangen. Der Arzt entscheidet Medikation und trifft die Therapieentscheidung.

123recht.de: Stattdessen verordnet er mir Krankengymnastik, dazu habe ich ja mal überhaupt keine Lust, muss ich das machen?

Rechtsanwältin Arendt-Boellert: Das müssen Sie natürlich nicht, es gibt keine Therapiepflicht.

123recht.de: Vielen Dank für Ihre Einschätzung Frau Arendt-Boellert.