Wohnen mit Bahnlärm

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Wieviel Lärm durch Züge muss man hinnehmen und wie kann man sich gegen Lärm durch die Bahn wehren?

Das Wohnen in der Nähe von Bahnstrecken hat für die Anwohner meist nichts mehr mit Eisenbahnromantik zu tun. Besonders stark frequentierte Strecken führen zu einer großen Belastung. Was kann man aber gegen den permanenten Lärm unternehmen und was muss man dulden? Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Matthias M. Möller-Meinecke im Interview mit 123recht.de.

Rund zwei Millionen Menschen sind ständigem Bahnlärm ausgesetzt

123recht.de: Herr Möller-Meinecke, wer ist von Bahnlärm wesentlich beeinträchtigt?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Der Schienenverkehr ist eine bedeutende Lärmquelle in Deutschland. Über 1/3 der deutschen Bevölkerung empfindet sich nach Zahlen des Umweltbundesamtes durch Schienenverkehrslärm gestört oder belästigt. Das Eisenbahn-Bundesamt berechnete bei der Ermittlung des Umgebungslärms, dass rund 1 Million Menschen in Deutschland ganztags Pegeln von mehr als 65 dB (A) ausgesetzt und 2 Millionen Menschen mit Pegeln von mehr als 55 dB (A) belastet sind. Das sind Schwellen zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung.

123recht.de: Ab welcher Schwelle kann Bahnlärm mit einem Rechtsanspruch abgewehrt werden?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Das zivilrechtliche Nachbarrecht eröffnet den stark belasteten Anliegern einer Bahnstrecke einen Anspruch auf Unterlassung solcher Immissionen, die die Schwelle einer wesentlichen Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung überschreiten.

Entscheidend ist das Empfinden eines Durchschnittsbenutzers

123recht.de: Wann ist das der Fall? Sind dafür eine Berechnung bzw. Messung oder die menschliche Wahrnehmung relevant?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Maßstab ist das Empfinden eines verständigen und daher auch etwa das Umweltbewusstsein berücksichtigenden Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks. Berücksichtigt wird die Schutzwürdigkeit des Grundstücks nach den Festsetzungen des Bebauungsplans oder der Typik des Baugebiets. Die Ergebnisse einer Berechnung des Bahnlärms sind lediglich Hilfsmittel und Indiz für die Überschreitung der Schwelle der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung.

123recht.de: Welche Rolle spielt eine Minderung des Grundstückswertes durch den Lärm?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Eine große. Auch eine lärmbedingte Minderung des Verkehrswerts ist ein Indiz für das Überschreiten der Schwelle der Wesentlichkeit.

Schlafen bei teilgeöffneten Fenster zählt zum Grundrecht auf Eigentum

123recht.de: Müssen die Lärmbetroffenen ihre Fenster geschlossen halten?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Fehlt eine eisenbahnrechtliche Genehmigung des Betriebs der Strecke mit Regelungen zum passiven Schallschutz, müssen die Lärmbetroffenen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich keine Schutzmaßnahmen wie die Verlegung des Schlafzimmers oder das Geschlossen halten der Fenster ergreifen. Gerade in den wärmeren Monaten zählt ein Schlafen bei teilgeöffneten Fenster zum Grundrecht auf Eigentum und zu attraktiven gesunden Wohnverhältnissen

123recht.de: Welche Grundstücksnutzungen sind schutzwürdig?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Schutzwürdig sind als Teil der Wohnnutzung Gespräche, Telefonate, die Verständlichkeit des Fernsehtones, der Genuss auch leiser klassischer Musik, das Ruhen auch im Außenwohnbereich der Terrasse oder des Balkons, das konzentrierte Lesen und natürlich ein ausreichend langer und nicht durch einzeln Geräusche unterbrochener Schlaf.

123recht.de: Welche Rolle spielt eine eisenbahnrechtliche Genehmigung des Streckenbetriebs?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Fehlt es an einer bahnrechtlichen Genehmigung der Schallimmissionen oberhalb der Schwelle der Wesentlichkeit, ist dies ein Indiz für eine schädliche Umwelteinwirkung und spricht gegen die Ortsüblichkeit des Lärms.

123recht.de: Welche Relevanz haben die Berechnungsergebnisse des Eisenbahn-Bundesamtes zum Umgebungslärm?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Nach der Umsetzung der EU-Umgebungslärmrichtlinie in deutsches Immissionsschutzrecht berechnet das Eisenbahn-Bundesamt auf Grundlage der von der DB übermittelten Verkehrszahlen der Bahnstrecke alle fünf Jahre die davon ausgehenden Pegel an den Fassaden der angrenzenden Wohnhäuser. Die Ergebnisse werden auf der Homepage der Behörde in Karten mit Lärmisophonen veröffentlicht. Die dort ermittelte Überschreitungen einer Schwelle etwa von 55 dB (A) zur Nachtzeit sind ebenfalls ein Indiz für die Schädlichkeit des Umgebungslärm und die Wesentlichkeit der Nutzungsbeeinträchtigung.

123recht.de: Welche technischen Maßnahmen zur Lärmminderung gibt es?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Der DB stehen nach dem Stand der Technik heute mit dem regelmäßigen Schleifen der Schienenoberflächen, dem Einbau von Schienensteg(be)dämpfern, der Errichtung von Gabionen oder Lärmschutzwänden mehrere auch in der Kombination wirksame Maßnahmen der Lärmminderung zur Verfügung. Leider werden diese Maßnahmen in der Regel nicht angewandt.

123recht.de: Welche Kosten sind der DB zur Minderung wesentlicher Beeinträchtigungen wirtschaftlich zumutbar?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Die DB steht zu 100 % im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland. Der Staat ist verpflichtet, lärmbedingte Eingriffe in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit wirksam abzuwenden. Die Schwelle liegt nach der Rechtsprechung noch sehr hoch bei einem äquivalentem Dauerschallpegel von ca. Leq nachts 60 dB (A). Leq steht dabei für "Energie-äquivalenter Dauerschallpegel". Angesichts des Umfangs des Bundeshaushaltes sind die Kosten für geeignete Maßnahmen kein Hindernis.

Betroffene können Anspruch auf Schallschutzfenster haben

123recht.de: Wann ist Lärm ortsüblich und wann sind damit Ansprüche eingeschränkt?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Hat das Eisenbahn-Bundesamt Schallimmissionen oberhalb der Schwelle der wesentliche Nutzungsbeeinträchtigung genehmigt, sind diese ortsüblich und damit insoweit die Ansprüche auf Lärmschutz eingeschränkt. Diesen Betroffenen werden dann aber durch die Behörde in der Regel Schallschutzfenster zugebilligt.

123recht.de: Wann spielt eine Vorbelastung durch andere Lärmquellen eine Rolle?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Andere Lärmquellen werden dann schutzmindernd berücksichtigt, wenn der davon ausgehende Lärm – wie etwa von einer Straße oder einem Gewerbebetrieb – öffentlich-rechtlich genehmigt ist.

123recht.de: Wann beschränken sich die Abwehransprüche auf passiven Schallschutz (Schallschutzfenster)?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Sind aktive Maßnahmen des Schallschutzes im Einzelfall wirtschaftlich unzumutbar oder der Lärm ortsüblich, wird den Anliegern der Bahnstrecke für ihre Verpflichtung zur Duldung des Lärms durch den Gesetzgeber ein angemessener Ausgleich in Geld zugebilligt. Sie können damit passive Schallschutzmaßnahmen finanzieren.

Betroffene benötigen einen lange Atem

123recht.de: Wie sind die Erfolgsaussichten einer gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche auf Schallschutz?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Unsere Kanzlei führt derzeit vor rund einem Dutzend Landgerichten und Oberlandesgerichten Klageverfahren gegen die DB zum Lärmschutz. Vor den Landgerichten München I, Bochum und Göttingen haben unsere Mandanten die Prozesse gewonnen; die DB hat aber Rechtsmittel eingelegt. Daher müssen die Kläger einen langen Atem zeigen. In Nordrhein-Westfalen konnten unsere Mandanten aktuell erreichen, dass eine Schallschutzwand durch die Stadt gebaut wird.

123recht.de: Kann ich mir die Abwehr von Bahnlärm leisten?

Rechtsanwalt Möller-Meinecke: Unsere Kanzlei führt die Prozesse gegen die Bahn nur mit Unterstützung jeweils einer Rechtsschutzversicherung, die auch das Risiko des selbstgenutzten Wohneigentums umfasst. Nur den gesteigerten Arbeitsaufwand für tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten rechnen wir durch ein Arbeitszeithonorar zusätzlich mit den Mandanten ab. Die Kosten bleiben angesichts der angestrebten Abwehr von Minderung des Verkehrswerts von bis zu 30 % im Rahmen und sind zumutbar.

123recht.de: Viele Dank für das informative Gespräch.