AG Hagen: Wer zu lange wartet, verliert den Kindesunterhalt - vollstrecken Sie regelmäßig.

Mehr zum Thema: Familienrecht, Unterhalt, Verwirkung, Umstandsmoment, Zeitmoment, Vollstreckung
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Der Verwirkung des rückständigen Unterhalts steht nicht entgegen, dass die Verjährung von Kindesunterhaltsansprüchen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt ist.

Der Verwirkung des rückständigen Unterhalts steht nicht entgegen, dass die Verjährung von Kindesunterhaltsansprüchen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gehemmt ist.

Dies gilt auch, wenn ein Unterhaltsurteil vorliegt.

Klaus Wille
Rechtsanwalt
Waidmarkt 11
50676 Köln
Tel: 0221-79077052
Web: http://www.anwalt-wille.de
E-Mail:
Arbeitsrecht, Kindschaftsrecht, Familienrecht

1. Sachverhalt

Das vorliegende Verfahren betrifft Unterhaltsansprüche der Antragsgegner, die mit Urteil vom 05.03.2003 rechtskräftig tituliert worden sind. Es handelt sich dabei insbesondere um Ansprüche im Zeitraum von September 2001 bis Juni 2006. Die Anspruchsteller waren zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig und sind mittlerweile aber volljährig geworden. Ab Juli 2006 wurde der Unterhalt abgeändert und es liegt ein neues Urteil vor. Die in dieser Entscheidung titulierten Unterhaltsansprüche ab Juli 2006 sind aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen durch den Antragsteller ausgeglichen worden. Im März 2010 wurde der Antragsteller zur Leistung des rückständigen Unterhalts für die Zeit von 2001 bis 2006 aufgefordert. Die volljährigen Kinder leiteten nun die Zwangsvollstreckung ein. Der Antragsteller beantragt die Einstellung der Zwangsvollstreckung. Er hält die Zwangsvollstreckung für unzulässig.

2. Rechtlicher Hintergrund

Unterhalt wird in der Regel sofort für den Lebensunterhalt benötigt. Aus diesem Grunde hat die Rechtsprechung die Grundsätze der Verwirkung auch auf den Unterhalt angewandt. Die Verwirkung ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ( = also Sie) ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage wäre (sog. Zeitmoment). Außerdem muss sich der Verpflichtete mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten und sich darauf eingerichtet haben, dass der der Anspruch auch künftig nicht mehr geltend gemacht wird (sog. Umstandsmoment; BGHZ 146, 217, 220 m.N.). Insofern gilt für Unterhaltsrückstände nichts anderes als für andere in der Vergangenheit fällig gewordene Ansprüche (BGH vom 23. Oktober 2002 – XII ZR 266/99 – FamRZ 2002, 1698). Für die Verwirkung müssen daher ein Umstands- und ein Zeitmoment vorliegen, das im Ergebnis darauf hinaus läuft, dass aus Unterhaltsurteilen nicht mehr vollstreckt werden können oder der nichttitulierte Unterhalt nicht mehr geltend gemacht werden kann. Auch titulierte Unterhaltsforderungen können der Verwirkung unterliegen.

3. Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 10.11.2011 (Az. : 130 F 131/11)

Das Amtsgericht stellte die Zwangsvollstreckung vorläufig ein.
Der Antragsteller habe glaubhaft gemacht, dass die Zwangsvollstreckung unzulässig sei. Die Ansprüche für den Zeitraum von September 2001 bis 2006 unterlägen der Verwirkung. Die Voraussetzungen der Verwirkung seien erfüllt, da sowohl ein Umstands- wie auch ein Zeitmoment vorliegen.

Dazu führt das Gericht wie folgt aus:

„ An das Zeitmoment sind dabei keine hohen Anforderungen zu stellen. Die Rechtsprechung geht davon aus, das nach  frühestens einem und spätestens nach drei Jahren das Zeitmoment erfüllt ist. Dabei steht einer Verwirkung auch nicht entgegen, dass eine Verjährung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. nach früherer Rechtslage bis zur Volljährigkeit – gehemmt ist. Es verbietet sich die starren Fristen der Verjährung auf das Rechtsinstitut der Verwirkung zu übertagen, da die Verjährung im Interesse der Rechtssicherheit allein auf eine (formalisiert geregelte) zeitliche Erschöpfung von Ansprüchen gerichtet ist, während die Verwirkung stets eine bewertende Betrachtung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes vornimmt."

Vorliegend seien die Unterhaltsansprüche für einen Zeitraum von vor mehr als drei Jahren gefordert worden. Das Zeitmoment (drei Jahre) sei hiermit erfüllt.

Auch das Umstandsmoment zeige, dass hier eine Verwirkung vorliegt. Die Unterhaltsansprüche der Antragsteller seien für den Zeitraum ab Juli 2006 bereits zwangsvollstreckt worden. Der Antragsteller musste daher nicht damit rechnen, dass die titulierten Ansprüche für den Zeitraum von September 2001 bis Juni 2006 nochmals vollstreckt werden. Es frage sich warum diese nicht bereits im Jahre 2006 geltend gemacht worden seien. Hierzu führt das Amtsgericht wie folgt aus:

„ Gerade bei Unterhaltsansprüchen darf der Schuldner damit rechnen, dass diese zu Bedarf Deckung zeitnah durchgesetzt werden Unterbleibt eine zeitnahe Durchsetzung darf der Schuldner in der Regel den Eindruck gewinnen, von der Geltendmachung werde abgesehen. Es gilt bei titulierten Forderungen mehr noch als bei nicht titulierten Ansprüchen, da die Durchsetzung titulierter Forderungen in der Regel näher liegt. Im Übrigen wird in einem Unterhaltsschuldner durch die Nichtdurchsetzung titulierter Unterhaltsforderungen auch das Vertrauen erweckt, er müsse möglicherweise gebotene Abänderungen nicht beantragen, da der Unterhaltsgläubiger jedenfalls zeitweilig von einer Geltendmachung absehe. Nach alledem sind die Voraussetzung der Verwirkung vorliegend und insgesamt erfüllt und zwar in Bezug auf beide Antragsgegner."

4. Fazit

Die Entscheidung ist nachvollziehbar. Allen Unterhaltsgläubigern ist dringend anzuraten, den rückständigen Unterhalt regelmäßig zu vollstrecken und regelmäßig anzufordern. Aus Unterhaltstiteln sollte alle 6 Monate vollstreckt werden.

5. Quellen

  • Die Entscheidung ist in FamRZ Heft 11/2012 veröffentlicht.


Mit freundlichen Grüße
Klaus Wille
Rechtsanwalt
und Fachanwalt für Familienrecht
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