Unterhalt aufgrund fiktiver Einkünfte

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Unterhaltspflicht ... neues vom Bundesverfassungsgericht

Es ist in familiengerichtlichen Verfahren (leider) Standard geworden:

Das minderjährige Kind macht Unterhaltsansprüche gegen den Elternteil geltend, bei dem es nicht lebt.

Thomas Klein
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Dieses Elternteil geht nicht vollschichtig arbeiten und kann aufgrund seiner Ausbildung, Bildung und Gesundheit auch nicht vollschichtig arbeiten gehen.

In diesen Fällen arbeiten die Gerichte mit dem sog. fiktiven Einkommen, d.h. es wird unterstellt, dass der unterhaltspflichtige Elternteil arbeiten gehen kann.

Hierbei wird -in Anlehnung an das Arbeitszeitgesetz eine mögliche wöchentliche Arbeitszeit von 48 Stunden angenommen und mit dem Mindestlohn multipliziert. So erreicht man schnell ein Einkommen, das den Unterhaltspflichtigen in die (fiktive) Lage versetzt, Unterhalt zahlen zu können. Damit wird tatsächlich der Unterhalt zwar immer noch nicht gezahlt, für den durch Beschluss verpflichteten Unterhaltsschuldner baut sich so aber eine Unterhaltslast auf, die nicht selten einen fünfstelligen Betrag erreichen kann.

Aber ist dies so zulässig?

Aktuelle Auffassung in der Rechtsprechung ist folgende:

"Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen bestimmt sich in erster Linie nach dem von ihm erzielten bzw. nach dem ihm möglichen und in zumutbarer Weise erzielbaren Einkommen. Erfüllt er seine Erwerbsobliegenheit nicht, ist ihm ein fiktives Einkommen in Höhe des aus einer ihm möglichen und zumutbaren Tätigkeit erzielbaren Verdienstes zuzurechnen.

Die Darlegungs- und Beweislast für eine mangelnde oder eingeschränkte Leistungsfähigkeit trägt der Unterhaltspflichtige. Dies gilt ebenfalls für ein von ihm geltend gemachtes Fehlen einer realen Beschäftigungschance."

(BGH Beschluss vom 9.11.2016, Az. XII 227/15)

Nach dieser ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Zurechnung von fiktiven Einkünften zunächst voraus, dass der Unterhaltsschuldner seine Pflicht, Erwerbsbemühungen zu zeigen, verletzt.

Danach muss sich ein arbeitsloser Unterhaltsschuldner intensiv um eine neue Anstellung bemühen. Er hat neben der Stellensuche über das Jobcenter auch noch aus eigenem Antrieb laufend über Zeitungsannoncen, Vermittlungsagenturen und ähnliches eine Anstellung zu suchen. Unter Umständen ist ihm eine Erwerbstätigkeit zuzumuten, die er nur im Wege eines Orts- oder Berufswechsels erreichen kann. Notfalls muss er auch Tätigkeiten außerhalb seines erlernten oder bisher ausgeübten Berufs bis hin zu Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten übernehmen. 20 bis 30 Bewerbungen pro Monat sind dabei von der Rechtsprechung gefordert.

Darüber hinaus muss zudem für den Unterhaltsschuldner die Möglichkeit bestehen, diese fiktiven Einkünften auch real in einem Job erzielen zu können. Zur Feststellung einer solchen realen Beschäftigungschance sind zunächst die persönlichen Umstände des Schuldners zu berücksichtigen, nämlich z. B. sein Alter, seine berufliche Qualifikation, seine Erwerbsbiografie und sein Gesundheitszustand sowie objektiv das Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen.

Hier ist die Rechtsprechung indessen wieder großzügig und nimmt an, da der Unterhaltsschuldner zumeist dies im Verfahren nicht darlegen oder beweisen kann, dass diese Möglichkeit besteht.

Aber was ist in diesen Fällen eigentlich mit den Grundrechten des Unterhaltsschuldners?

Kann man ihm fiktive Einkünfte einfach so großzügig zurechnen?

Die Praxis tut dies.

Das Bundesverfassungsgericht hat dies mehrfach und jüngst mit deutlichen Worten beanstandet (BVerfG Az. 1 BvR 697/20).

Es urteilte, dass eine OLG Entscheidung, die genauso argumentiert hatte, den Unterhaltsschuldner in seinen Grundrechten verletzt und damit die Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt keinen Bestand haben kann.

Im Hinblick auf die für den Unterhaltsschuldner mit der Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt aufgrund fiktiver Einkünfte verbundenen Beschränkung seines Rechts aus Art. 2 GG einerseits und dem Recht des Kindes auf Unterhalt, sagt das Gericht:

Die Instanzgerichte haben ausdrücklich darzulegen, sprich vorzurechnen:

Welches unterhaltsrechtliche Einkommen benötigt der Unterhaltsschuldner bei Berücksichtigung des geltenden Mindestselbstbehalts, um den titulierten Unterhalt für die gleichrangig Berechtigten aufbringen zu können? Welches Nettoerwerbseinkommen ist hierfür erforderlich? Welches Bruttoeinkommen entspricht diesem?

Am Ende dieser Berechnung hat ein Bruttobetrag zu stehen, der die Prüfung einleitet, dass dieses Bruttoeinkommen nach den persönlichen Voraussetzungen des Schuldners und den objektiven Gegebenheiten am Arbeitsmarkt erzielbar ist. Auch hier reichen bloße Behauptungen zum Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen nicht aus. Die Instanzgerichte haben vielmehr auf vorhandene Tarifverträge zurückzugreifen, Erkundigungen bei den Jobcentern einzuholen über die in der Region erzielbaren Löhne oder auch das Internet zu Rate zu ziehen.

Und schließlich muss geprüft werden, ob der Unterhaltsschuldner gesundheitlich und bildungsmäßig in der Lage ist, dieses Einkommen zu erzielen.

Nahezu alle hierzu bislang ergangenen Beschlüsse in Unterhaltsverfahren genügen den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht aufstellt, nicht.

Ein Anlass, Verpflichtungen zu überprüfen.

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