Voraussetzungen für das geteilte Sorgerecht und die Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen der Eltern

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Die Eltern müssen sich bei der Erledigung der sie treffenden Aufgaben zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder (Sorgerecht) in erster Linie am Kindeswohl orientieren.

In einer Entscheidung des OLG Schleswig, Beschluss vom 19.12.2013, Az. Az. 15 UF 55/13, ging es um die Frage zum geteilten Sorgerecht (Sorgerechtsentziehung) und die Regelung des Umgangs, speziell in Form des Wechselmodells. Im Ergebnis hat das Gericht sich in diesem Rechtsstreit für das geteilte Sorgerecht ausgesprochen und die Regelung des Wechselmodells angeordnet.

Für das geteilte Sorgerecht ist es von besonderer Bedeutung, dass die Kindseltern auf der Ebene der Kommunikation und Kooperation sowohl dazu fähig und bereit sind. Die Kindseltern haben bei der Erledigung der sie treffenden Aufgaben zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder, sich in erster Linie am Kindeswohl zu orientieren.

Steffen Bußler
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Gemeinsame elterliche Sorge dient dem Kindeswohl

Das Gericht stellte in dem Verfahren zu den Voraussetzungen des geteilten Sorgerechts fest:

„Gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB n. F. ist die gemeinsame elterliche Sorge auf Antrag eines Elternteils dann aufzuheben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge sowie die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Das den Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder dient in erster Linie dem Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der Elternverantwortung ist. Der Schutz des Elternrechts, der dem Vater und der Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts. Dabei setzt die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus, erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen und hat sich am Kindeswohl auszurichten. Fehlen die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung, darf der Gesetzgeber einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind zuordnen. Das regelt § 1671 BGB.

Wenn wegen der Entwicklung in der Vergangenheit die begründete Besorgnis besteht, dass die Eltern auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche Auseinandersetzungen beizulegen, ist die erzwungene Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl nicht zuträglich. Denn ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen, und zwar unabhängig davon, welcher Elternteil die Verantwortung für die fehlende Verständigungsmöglichkeit trägt."

Die Befugnis zur Alleinentscheidung bei Angelegenheiten des täglichen Lebens

Häufig beruhen die gegen die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts und die Umgangsregelung eingebrachten Einwände größtenteils auf Missverständnissen bezüglich des Umfangs der Rechte des Elternteils, bei dem die Kinder aktuell in Obhut sind.

„Eine hälftige Betreuung durch die Kindesmutter hindert den Kindesvater – und im umgekehrten Fall die Kindesmutter – nicht daran, während der Zeit, die die Kinder gemäß Einwilligung des anderen Elternteils oder Gerichtsentscheidung bei ihm verbringen, gemäß § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB in Angelegenheiten des täglichen Lebens allein zu entscheiden. Nach § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Elternteil, bei dem sich das Kind mit Einwilligung des anderen Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung gewöhnlich aufhält, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (§ 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB).

Solange sich das Kind mit Einwilligung dieses Elternteils oder auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung bei dem anderen Elternteil aufhält, hat dieser die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten der tatsächlichen Betreuung (Satz 4). Zu Angelegenheiten des täglichen Lebens zählen z. B. der Schulalltag samt Anmeldungen zum Nachhilfeunterricht, die Frage, wer ggf. die Kinder von der Schule abholen darf, Essensfragen, Routineerlaubnisse zu Freizeitfragen und die gewöhnliche medizinische Versorgung bei leichteren Krankheiten."

Das Gericht hat bei seiner Entscheidung die Gegebenheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen

In dem vorliegenden Fall entsprach die Entscheidung des Gerichts aus folgenden Gründen dem Kindeswohl am besten:

„Gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind die:
  • Bindungen des Kindes,
  • die Prinzipien der Förderung (Erziehungseignung) und
  • der Kontinuität sowie
  • die Beachtung des Kindeswillens.

Die einzelnen Kriterien stehen aber nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Erforderlich ist eine alle Umstände des Einzelfalls abwägende Entscheidung. Hierbei sind alle von den Verfahrensbeteiligten vorgebrachten Gesichtspunkte in tatsächlicher Hinsicht soweit wie möglich aufzuklären und unter Kindeswohlgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen, um eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen. …

Wesentliches Argument für die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts mit der Regelung des Aufenthaltsbestimmungsrechts im Sinne eines hälftigen Wechselmodells ist das Bedürfnis beider Kinder nach möglichst gleichberechtigter Teilhabe am Leben beider Elternteile und insbesondere der authentisch geäußerte Wunsch von A, die gegenwärtige Situation beizubehalten."

Anordnung des Wechselmodells auch gegen den Willen der Eltern

Viele Oberlandesgerichte lehnen das Wechselmodell ab, wenn ein Elternteil es nicht möchte. Das Gericht ordnete, im Rahmen der Regelung des Umgangs, das Wechselmodell gegen den Willen der Kindseltern an:

„Der Senat teilt die letztgenannte Auffassung. Maßgeblich und im Einzelfall zu prüfen ist, welche Lösung dem Kindeswohl am besten entspricht. Die fehlende ausdrückliche Zustimmung eines Elternteils ist dabei von untergeordneter Bedeutung.

Hier ist zu berücksichtigen, dass die Kinder und Kindeseltern das Wechselmodell bereits seit vielen Monaten erfolgreich praktizieren. Teilweise in der Rechtsprechung – und zunächst auch beim Senat – sowie im Schrifttum vorhandene Bedenken bezüglich des Funktionierens im Alltag greifen im Fall von A und B nicht durch. Kinder und Eltern kommen mit der Organisation im Wesentlichen gut klar. Die Wohnungen der Eltern liegen in relativ geringer Entfernung zueinander. Beide Kinder haben auf Nachfragen ausdrücklich erklärt, es sei kein Problem, die benötigten Schul- und sonstigen Sachen jeweils am rechten Ort zu haben. A steht inzwischen ein Schrankfach in der Schule zur Verfügung, in dem er Schulsachen direkt vor Ort aufbewahrt. Die Einwände des Kindesvaters gegen die Praktikabilität betreffen im Wesentlichen von ihm angenommene rechtliche Probleme, die gemäß § 1687 Abs. 1 BGB im oben genannten Sinne zu lösen sind."

Hätte das Gericht festgestellt, dass es ganz offensichtlich an einer hinreichend tragfähigen Grundlage für das Wechselmodell fehlt, hätte das Gericht das Wechselmodell nicht angeordnet.

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