Die Bemessung von Schmerzensgeld

Mehr zum Thema: Haftpflicht, Schadensersatz, Schmerzensgeld
0 von 5 Sterne
Bewerten mit: 5 Sterne 4 Sterne 3 Sterne 2 Sterne 1 Stern
0

1. Schmerzensgeldtabellen

Von Rechtsanwalt Martin Spatz, München

Der Geschädigte kann für erlittene immaterielle Schäden, die aufgrund einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung entstanden sind, Schmerzensgeld fordern. Einen Sondertatbestand bildet der Schmerzensgeldanspruch wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts.

Zur Höhe des Schmerzensgeldes bestimmt das Gesetz in § 253 Abs. 2 BGB lediglich, dass er der "Billigkeit" zu entsprechen hat. Entsprechend dieser vagen gesetzlichen Vorgabe macht das Herausfinden "billiger" Schmerzensgelder in der Praxis nicht unerhebliche Schwierigkeiten.

Die Praxis arbeitet mit Schmerzensgeldtabellen, in denen Vergleichsentscheidungen aufgelistet sind. Diese Tabellen sollen eigentlich nur als Orientierung dienen und sind grundsätzlich unverbindlich. Trotzdem ist oftmals festzustellen, dass Versicherer und auch manche Gerichte die Schmerzensgeldtabellen als starres Schema begreifen und die Besonderheiten des konkreten Falles völlig unberücksichtigt lassen.

So ist der Betrag, der einem Erwachsenen zugebilligt worden ist, nur bedingt auf einen Jugendlichen oder ein Kind zu übertragen. Eine Verletzung, die nur fahrlässig herbeigeführt wurde, ist anders zu beurteilen als eine absichtliche Verletzung. Schmerzensgeldentscheidungen, die älter als zehn Jahre sind, sind häufig schon wegen der Geldentwertung nicht mehr aussagekräftig. Zudem besteht in der neueren Rechtsprechung die Tendenz gerade bei schweren Verletzungen grundsätzlich höhere Schmerzensgelder als bisher zuzuerkennen. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Umstand, dass ein einmal in eine Tabelle eingestelltes Urteil sich mit all seinen Unzulänglichkeiten und etwaigen fehlerhaften Einschätzungen in der Praxis fortsetzt und sich so durch spätere Urteile in alle Zukunft verfestigt. Schmerzensgeldtabellen sind vor diesem Hintergrund also mit Vorsicht zu genießen.

2. Bemessungsumstände

Die Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes hat unter Berücksichtigung aller den konkreten Fall kennzeichnenden Besonderheiten zu erfolgen. Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einerseits einen angemessenen Ausgleich für die entstandenen immateriellen Schäden bieten und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat.

Kriterien zur Bemessung des Schmerzensgeldes sind etwa:

  • Schmerzen
  • Alter des Verletzten
  • Art und Schwere der Verletzung
  • Verlauf des Heilungsprozesses
  • Dauerschäden
  • Entstellungen, Narben
  • Fahrlässige oder vorsätzliche Schädigung, Mitverschulden des Geschädigten
  • Psychische Beeinträchtigungen
  • Einschränkung der Berufswahl
  • Entgangene Lebensfreuden, wie z.B. Sport; Autofahren etc;
  • Verzögertes Regulierungsverhalten des Versicherers
  • Wirtschaftliche Verhältnisse der Beteiligten

Nach der Rechtsprechung ist regelmäßig ein Kapitalbetrag geschuldet. Daneben kann auf entsprechendem Antrag ein Teil des Schmerzensgeldes auch als Rente gewährt werden. Dies kommt allerdings in der Regel nur bei schweren oder schwersten Dauerschäden in Betracht.

Bei der Geltendmachung von Schmerzensgeld ist es deshalb wichtig, sich nicht nur darauf zu beschränken, den jeweiligen ärztlichen Bericht vorzulegen, in dem die medizinische Diagnose der erlittenen Verletzung aufgeführt ist. Von ebensolcher Bedeutung ist die Darstellung der Auswirkungen der erlittenen Verletzung auf den gesamten Lebensbereich des Geschädigten.

3. Besondere Fallgruppen

  • Schockschaden aufgrund von Verletzung/Tod naher Angehöriger

    Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen in Europa (z.B. Schweiz, Frankreich, Belgien, Spanien, Italien, Griechenland und Großbritannien) kennt das deutsche Recht kein Angehörigenschmerzensgeld. Den Schock, den jemand durch den Tod oder die Verletzung eines anderen erleidet, soll grundsätzlich dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen sein. Erst wenn der Schock die Schwelle zur Gesundheitsverletzung überschreitet, also die seelische Erschütterung zu nachhaltigen traumatischen Schädigungen oder zu psychopathologischen Zuständen führt und damit Krankheitswert annimmt, will die Rechtsprechung ein Schmerzensgeld zuerkennen und dies dann auch noch auf relativ niedrigem Niveau. Ein Sonderfall dürfte hier die Entscheidung des OLG Nürnberg vom 01.08.1995, Az. 3 U 468/95, darstellen, in der einem Vater € 35.000,00 und einer Mutter € 20.000,00 für den gleichzeitigen Verlust ihrer 3 Kinder zuerkannt wurden.

  • Kein Schmerzensgeld für (sofortigen) Tod

    § 253 BGB gewährt kein Schmerzensgeld im Falle des (sofortigen) Todes des Geschädigten. Anders ist die Rechtslage, wenn der Verletzte noch eine gewisse Zeit gelebt hat. Im internationalen Vergleich muten die in diesen Fällen auf die Erben übergegangenen Schmerzensgeldbeträge aber ebenfalls äußerst gering an. Bei einer Überlebenszeit von fünf Tagen im Koma hat das Oberlandesgericht Köln in seinem Urteil vom 28.04.1999, Az. 5 U 15/99, gerade einmal € 5.000,00 als angemessen erachtet; € 15.000,00 hatte das Oberlandesgericht Hamm (Urt. v.29.03.2000, Az. 6 U 184/99) bei einer Überlebenszeit von 32 Tagen auf der Intensivstation zuerkannt.

  • Schmerzensgeld bei schwersten Verletzungen

    Das Schmerzensgeld für schwere Verletzung fällt in der neueren Rechtsprechung wesentlich höher aus als in der Vergangenheit. Besonders hohe Schmerzensgeldbeträge werden bei Fallgestaltungen wie schweren inneren Verletzungen nach einem Verkehrsunfall, Querschnittlähmung oder Zerstörung der Persönlichkeit zuerkannt. Konnte man Mitte der neunziger Jahre noch feststellen, dass in der Regel keine höheren Schmerzensgelder als € 200.000,00 zuerkannt wurden, so wurde die Messlatte mit der Entscheidung des Landgerichts München I vom 29.03.2001, Az. 19 O 8647/00, und einem zuerkannten Schmerzensgeld von € 500.000,00 deutlich höher gelegt. Das OLG Hamm folgte mit ebenfalls jeweils € 500.000,00 in seinen Entscheidungen vom 16.01.2002, Az. 3 U 156/00, und vom 21.05.2003, Az. 3 U 122/02. Das OLG Braunschweig erkannte am 22.04.2004, Az. 1 U 55/03, einen Schmerzensgeldbetrag von € 375.000,00 zu.


Martin Spatz
Rechtsanwalt

www.raspatz.com