Entwarnung für Immobilieneigentümer: Beschlagnahme für Flüchtlingsunterkunft nicht ohne Weiteres zulässig

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Niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit stellt hohe Anforderungen an eine Beschlagnahme

Seit einiger Zeit befürchten Immobilieneigentümer in Ballungsräumen, dass leerstehende Objekte für die Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt werden könnten. Eine aktuelle Entscheidung des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. Dezember 2015 (OVG Lüneburg, 11 ME 230/15) zeigt, dass Kommunen dabei allerdings zahlreiche Hürden nehmen müssen.

Ausgangslage

Die Hansestadt Lüneburg hatte ein ehemaliges Kinder- und Jugendheim für sechs Monate zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt. Das Grundstück stand in privatem Eigentum und war zur Neubebauung mit Ein- und Mehrfamilienhäusern vorgesehen. Der Eigentümer wurde vor der Beschlagnahme nicht angehört, die Stadt ordnete außerdem per Bescheid die sofortige Vollziehung der Beschlagnahme an. Gleichzeitig wurde die Einweisung von insgesamt 50 Flüchtlingen in das Objekt angeordnet und eine monatliche Entschädigung des Eigentümers in Höhe von 4 EUR pro Quadratmeter festgesetzt. Der Eigentümer hat gegen die Beschlagnahme Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gestellt.

Entscheidung des OVG

Wie zuvor bereits das Verwaltungsgericht Lüneburg (9. Oktober 2015, 5 B 98/15) hat auch das OVG im Eilverfahren die Beschlagnahme ausgesetzt. Es hat dazu die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt, da die Klage nach Ansicht des Gerichts erfolgreich sein würde. Das OVG hat die Rechtslage summarisch geprüft und kommt zum Schluss, dass die Beschlagnahmeanordnung „offensichtlich rechtswidrig" ist. Dafür sind nach Ansicht des Gerichts folgende Punkte ausschlaggebend:

Zweifelhaft sei bereits die Anwendbarkeit der von der Hansestadt Lüneburg gewählten Rechtsgrundlage. Die Stadt hatte sich auf die Generalklausel von § 11 des niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG) gestützt. Das OVG hält diese Grundlage für nicht ausreichend, um Eingriffe in das Grundrecht auf Eigentum zu rechtfertigen, wenn diese länger als nur kurzfristig andauern. Solche Eingriffe müsse der Landesgesetzgeber ausdrücklich (nicht nur in einer Generalklausel) regeln, wie dies etwa die Hansestädte Hamburg und Bremen getan hätten.

Aber selbst wenn man die Anwendbarkeit von § 11 SOG unterstelle, seien dessen Voraussetzungen nicht gegeben. Zwar sei die drohende Obdachlosigkeit von Flüchtlingen - gerade in der kalten Winterperiode - eine konkrete Gefahr im Sinne der Regelung. Aber dieser Gefahr habe sich weder aktuell verwirklicht, noch sei in allernächster Zeit mit ihrem Eintritt zu rechnen. Die Hansestadt Lüneburg habe selbst dargelegt, dass sowohl im Zeitpunkt der Anordnung der Beschlagnahme, als auch bei der Entscheidung des Gerichts noch ausreichende anderweitige Kapazitäten zur Aufnahme von Flüchtlingen vorhanden seien.

Die Stadt habe außerdem nicht dargelegt, dass - und ggf. warum - sie nicht in der Lage sei, Unterkünfte aus eigenem Bestand zur Verfügung zu stellen oder sich Kapazitäten von Dritten auf freiwilliger Basis (Kauf oder Miete) zu beschaffen. Damit fehle es an den Voraussetzungen, um die Aufgabe der sozialen Fürsorge für Flüchtlinge auf Private abzuwälzen.

Fazit

Das aktuell vielfach beschworene „Gespenst der Enteignung" von Immobilieneigentümern erscheint angesichts dieser Entscheidung nicht mehr ganz so gruselig. In Bundesländern ohne ausdrücklich gesetzliche Grundlage dürfte es für kommunale Behörde schwierig werden, unter Rückgriff auf das allgemeine Ordnungsrecht solche Beschlagnahmen durchzusetzen. Wie die Entscheidung verdeutlicht, verlangt die Beschlagnahme aber ungeachtet dessen in jedem Fall eine äußerst sorgfältige Darlegung und Abwägung auf behördlicher Seite. Eine Beschlagnahme „auf Vorrat" dürfte danach regelmäßig ausscheiden. Eigentümer, die sich trotzdem einer Beschlagnahme ausgesetzt sehen, sind daher in jedem Fall gut beraten, anwaltliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen.