Anwohner eines Gewerbe- oder Industriebetriebes haben Anspruch auf Unterlassung von wesentlichem Verkehrslärm

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Verlegung der Zufahrt, aktive Lärmschutzmaßnahmen oder zeitliche Verlegung von Lkw-Fahrten sind zur Vermeidung des Lärms als Alternativen zu ergreifen

Unterlassungspflichten beispielsweise für Müllverbrennungsanlagen, Steinbruchbetriebe und Großmärkte

Von Rechtsanwalt Matthias Möller-Meinecke

1. Sachverhalt

Der Anwohner eines Schlachthofes wird durch den Lärm nächtlicher Lkw Anfahrten gestört.

2. Gerichtliche Entscheidung

Das Oberlandesgericht Naumburg (Az. 12 U 130/00) hat die Entscheidung des Landgerichts Halle (Az. 5 O 116/98) bestätigt, dass dem Anwohner ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch gegen den Lärm zusteht und der Schlachthof verpflichtet ist, Maßnahmen zur Vermeidung der nächtlichen Geräuschentwicklung auch durch den betriebsfremden Schwerverkehr zu ergreifen.

Rechtsgrundlage ist § 1004 BGB in Verbindung mit § 906 BGB. Danach kann der Eigentümer eines Grundstücks die Zuführung von Geräuschen dann verbieten, wenn diese durch eine zwar ortsübliche Benutzung hervorgerufen werden, dies jedoch zu einer wesentlichen Beeinträchtigung führt und durch zumutbare wirtschaftliche Maßnahmen vermieden werden kann.

Diese Voraussetzungen haben beide Gerichtsinstanzen bejaht.

  1. Der den LKW-Verkehr verursachende Gewerbe- oder Industriebetrieb ist Zustandsstörer. Auch der mittelbarer Störer ist nach einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs für Beeinträchtigungen verantwortlich, die adäquat ursächlich durch dessen Willensentscheidung unter dessen Betrieb veranlasst sind. Für die Störereigenschaft reicht es aus, dass ein Betrieb als Grundstückseigentümer den Lieferverkehr in Kenntnis möglicher Belästigungen Dritter duldet.

  2. Die Lärmbelastung muss zu einer wesentlichen Beeinträchtigung führen. Dies wird in der Rechtsprechung bejaht, wenn die zulässigen Richtwerte nach der Technischen Anleitung Lärm überschritten werden. Dieses antizipierte Sachverständigengutachten legt folgende Immissionsrichtwerte fest:

    Gebiete nach der BauNVO tags/nachts in dB(A)
    in denen ausschließlich Wohnungen untergebracht sind 50/35
    in denen vorwiegend Wohnungen untergebracht sind 55/40
    in denen Wohnungen und gewerbliche Anlagen vorhanden sind 60/45

    Der Gebietscharakter ist nach den Festsetzungen eines Bebauungsplanes oder in Ermangelung eines solchen Planes nach der realen Nutzung vor Ort zu bestimmen.

    Der äquivalente Dauerschallpegel ist entweder von Amts wegen durch das Landesamt für Umwelt oder zur Begründung einer Klage gegebenenfalls in einem Beweisverfahren durch einen Sachverständigen zu messen.

    Auch im Grenzbereich zu einem Gewerbegebiet müssen Anwohner nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg die Störung ihrer Nachtruhe nicht hinnehmen, sofern sie nicht nur gelegentlich auftreten.

  3. Unerheblich ist es, ob die Lärmbeeinträchtigung noch als ortsüblich einzustufen ist, wenn dem angefahrenen Gewerbe- oder Industriebetrieb Gegenmaßnahmen wirtschaftlich zumutbar sind. Im vorliegenden Fall eines Schlachthofes bejahte das Gericht „eine Vielzahl von Maßnahmen, die es der Beklagten ermöglichen, Einfluss auf das Verhalten der den Lärm verursachenden und sie beliefernden Unternehmern zu nehmen, ohne dass damit ersichtlich eine wirtschaftliche Belastung einhergeht. So dürfte es möglich sein, durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Viehtransporter zeitlich versetzt am Betriebssitz der Beklagten eintreffen. Auch eine Verlegung der Zufahrt sowie Lärmschutzmaß-nahmen sind nicht von vornherein auszuschließen."

  4. Der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch darf nicht durch öffentlich-rechtliche Vorschriften ausgeschlossen sein. In diesem Fall hatte sich der Betreiber erfolglos auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung der Schlachthofbetriebes und eine Umweltverträglichkeitsprüfung berufen. Denn das Oberlandesgericht analysierte rechtlich zutreffend, dass der Schwerverkehr außerhalb der Werkstore nach den Vorgaben des Immissionsschutzrechts im Genehmigungsverfahren nicht geprüft und daher auch nicht genehmigt wird. Selbst wenn in der Umweltverträglichkeitsprüfung der Lärm der Schwerverkehr erkannt wird, wird diese Be-lastung in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht sanktioniert.

  5. Der Gewerbebetrieb hatte sich weiterhin darauf berufen, den Anwohnern sei bei Erwerb des Wohngrundstückes der störende benachbarte Betrieb bekannt gewesen und sie hätten mögliche Belastungen erwarten müssen. Das Oberlandesgericht wies diese Argumentation mit dem Hinweis zurück, das Zivilrecht kenne keine solche Duldungspflicht. Eine Duldungs-pflicht ergebe sich auch nicht aus einem übergeordneten öffentlichen Interesse an einem ungestörten Betriebsablauf. Auch wenn der Betrieb eine der wichtigsten Arbeitgeber in der Region sei und sein Fortbestand ein überwiegendes Interesse des Gemeinwohls darstelle, dürfe dieses Argument nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erst dann zählen, „wenn die Beeinträchtigung nicht auf andere wirtschaftlich zumutbarer Weise abgestellt wer-den kann". Eine solche Handlungsoptionen bejahten beide Gerichtsinstanzen.

3. Bewertung

Die obergerichtliche Entscheidung eröffnet den Anwohnern zahlreicher Gewerbe- und Industriebetriebe die effektive Abwehr insbesondere von nächtlichem Lärm durch Schwerverkehr. Betriebe wie Schlachthöfe, Steinbrüche, Müllverbrennungsanlagen oder Großmärkte haben durch aktive Maßnahmen des Lärmschutzes die Beeinträchtigung der Anlieger durch Lärm zu vermeiden. Zu diesen Maßnahmen zählen u.a. die Anlage neuer Zuwegungen, die vertraglich zwingende Vorgabe der Nutzung von alternativen Zuwegungen ohne erhebliche Beeinträchtigung von Wohnanliegern, Lärmschutzwände, vertragliche Nachtfahrverbote für den Schwerverkehr und alle sonst technisch und vertraglich denkbaren Lärmminderungsmaßnahmen.

Die durch Lärm belästigten Anwohner können ihren Anspruch häufig mit Hilfe einer Rechtsschutzversicherung und damit mit einem begrenzten Kostenaufwand 11 durchsetzen.

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