And the winner is .. .

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128 Millionen $ haben die Wahlkämpfe von Bush und Gore zusammen gekostet. Das ist eine Menge Geld, aber ein amtliches Ergebnis gibt es auch Tage nach der Wahl nicht. Zu knapp ist das Ergebnis der ersten Auszählung ausgefallen. Der nächste Präsident der mächtigsten Nation der Welt könnte dieses Amt übernehmen, ohne dass die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung ihn gewählt hat. Die Kombination aus Föderalismus, Mehrheitswahlrecht und Wahlmännern (Electoral College) in den Vereinigten Staaten besteht schon seit dem 18. Jahrhundert, aber selten gab es so viele Bedenken bezüglich des Wahlsystems wie dieses Mal. Aber auch noch nie zuvor war es so knapp. Noch sind die Stimmen nicht alle ausgezählt, schon werden Klagen angestrengt oder Neuwahlen gefordert.

Das Wahlmännersystem in den USA ist eine alte Tradition und hängt mit der elitären Denkweise der Väter der amerikanischen Verfassung sowie der Weite und Größe des Landes zusammen. Die Zwischenschaltung von Wahlmännern erfolgte, da man dem "normalen" amerikanischen Volk die direkte Wahl seines Oberhauptes nicht zutraute. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Wahl des Präsidenten heute eine durchaus "direkte" Wahl und die Zwischenschaltung von Wahlmännern ein durchaus anerkanntes demokratisches Wahlverfahren ist (Zur genauen Erklärung des Wahlsystems finden Sie hier eine englische Erklärung).
Der Präsident der Vereinigten Staaten wird nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt: Der Kandidat mit den meisten Stimmen bzw. Wahlmännern in einem Bundesstaat bekommt alles, die unterlegenen Stimmen fallen unter den Tisch. Dieses Prinzip kennt man auch aus dem deutschen Wahlrecht : Direktkandidaten werden mit der Erststimme gewählt, und auch hier wird nur der Kandidat berücksicht, der die meisten Stimmen eines Wahlkreises auf sich verbuchen konnte.

Das Prinzip des Mehrheitswahlrechts wird vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als verfassungskonform angesehen. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl wird nicht beeinträchtigt: Grundsätzlich muss jede Stimme den gleichen Zähl- und Erfolgswert haben. So darf meine Stimme z.B. nicht mehr Wirkung auf den Wahlausgang haben als die meines Nachbarn. Auch im Mehrheitswahlrecht zählt jede Stimme gleich viel. Aber haben sie auch den gleichen Erfolg? Dies kann man zumindest anzweifeln, denn unterlegene Stimmen werden nicht berücksichtigt, ihr Erfolg ist also gleich Null. Im Ergebnis jedoch muss man eingestehen, dass die Unterdrückung der "Verliererstimmen" durchaus mit rechten Dingen zugeht. Denn jeder deutsche Wähler hat mit seiner Stimme die gleiche Chance, einen Direktkandidaten in seinem Wahlkreis zu wählen, genauso wie jeder amerikanische Wähler die gleiche Chance hat, mit seiner Stimme einen amerikanischen Präsidenten in seinem Bundesstaat zu wählen - natürlich nur im Ergebnis mit zahlreichen anderen Wählern zusammen. Ob die unterlegenen Stimmen "stehen bleiben" oder gänzlich wegfallen, hat keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit einer freien, gleichen und demokratischen Wahl.

In Amerika kommt die Besonderheit dazu, dass es wie Deutschland aus einem übergeordneten Bundesstaat mit mehreren Gliedstaaten besteht, und diese Gliedstaaten bei der Präsidentenwahl eine unterschiedliche Gewichtung bekommen.-Abhängig von der Einwohnerzahl sind den Bundesstaaten unterschiedlich viele Wahlmänner zugeteilt. Mindestens drei Wahlmänner muss ein Staat haben, und das trifft auf spärlich bewohnte Staaten wie Alaska oder Delaware zu. Kalifornien dagegen kommt mit seinen drei Ballungszentren San Franzisko, Los Angeles und San Diego auf 54 Wahlmänner. Dieser krasse Unterschied in Verbindung mit dem Mehrheitswahlrecht kann zu einem paradoxen Ergebnis führen: Wenn die Wahl z.B. in einem Staat mit vielen Wahlmännern knapp ausgeht, bekommt der Kandidat mit den meisten Stimmen zwar alle Wahlmänner, hat aber gleichzeitig auch viele Wähler in diesem Staat, die nicht ihn, sondern seinen Gegenkandidaten gewählt haben. Gewinnt sein Gegenkandidat dafür viele "kleine" Staaten, kann dieser im Ergebnis zwar mehr Wählerstimmen bekommen haben, aber die Anzahl der Wahlmänner der "kleinen" Staaten fällt im Gegensatz zu dem "großen" Staat nicht ins Gewicht.
Nehmen wir also an, Gore gewinnt mit ganz knapper Mehrheit in Kalifornien und erhält so die 54 Wahlmänner. Gewinnt Bush dafür mit deutlicher Mehrheit z.B. acht Staaten mit je fünf Wahlmännern, hat er im Ergebnis zusammen mit seinen kalifornischen Wählern zwar insgesamt mehr Wählerstimmen als Gore, aber nur 40 Wahlmänner. Dagegen stehen 54 Wahlmänner auf der Seite von Gore.

Dies erscheint vielleicht paradox, aber nur auf den ersten Blick. Man darf nämlich nicht vergessen, dass die Vereinigten Staaten aus Bundesstaaten bestehen, deren Eigenständigkeit und Unabhängigkeit noch stärker ausgeprägt ist als die der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland. So kann Gore alle 54 kalifornischen Wahlmänner bekommen, wenn 52% der kalifornischen Stimmen an ihn und 48% der Stimmen an den Gegenkandidaten Bush gehen. Die 48% sind nicht nur eine beachtliche Zahl der kalifornischen Stimmen, sondern auch der amerikanischen Gesamtbevölkerung. Entscheidend ist aber in unserem Beispiel, dass der Staat Kalifornien sich gegen Bush entschieden hat. Der Bundesstaat Kalifornien hat gesagt: Unsere Mehrheit will Gore. Und da unsere Bevölkerung im Gegensatz zu anderen Staaten recht groß ist, bekommen wir auch mehr Wahlmänner.

Kann ein Präsident also ein legitimer Präsident sein, wenn die Mehrheit der Bevölkerung ihm die Stimme verweigert hat? Ja, er kann. Dies ist das Ergebnis des Föderalismus und der Selbständigkeit der einzelnen Bundesstaaten. Aus Angst vor Zentralismus wurde bei der amerikanischen Verfassung jedem Bundesland Mitsprache und Bedeutung beigemessen, egal, wie groß oder wie klein dieses war.
Auch im Tennis kann ein Spieler mehr einzelne Spiele in einem gesamten Match gewinnen, aber trotzdem nach dem Matchball als Verlierer dastehen. Nach einem 7:5 im ersten Satz, 1:6 im zweiten und 6:4 im dritten hat sich auch noch kein Mensch nachträglich beschwert, das der Verlierer ja mehr Spiele gewonnen habe und somit eigentlich der Sieger sein müsste. Denn im Tennis ist es die Selbständigkeit jedes einzelnen Satzes, die diesen Sport erst so interessant macht. Genauso verhält es sich mit der amerikanischen Präsidentschaftswahl.
Auch bei der Wahl zum US-Präsidenten gibt jeder eigenständige Staat seinen Senf zu der Wurst hinzu. Und die Menge des Senfes ist abhängig von der Bevölkerungszahl des einzelnen Staates. Was soll daran nicht stimmen? Das der Verlierer in einem Staat mit vielen Einwohnern gut gekämpft hat und es fast geschafft hätte? Der Staat hat gegen ihn entschieden. Zwei Matchbälle abgewehrt und Satz und Sieg für seinen Gegner.

Viel denkwürdiger als das eigentliche Wahlsystem aber sind die Begleiterscheinungen der diesjährigen Präsidentschaftswahl. Man mag sich wundern über die Dauer, die es braucht, um den neuen Präsidenten zu bestimmen, und man kann lächeln über die Aussage Russlands Präsidenten Putin, der den Amerikanern Hilfe bei der Auszählung der Stimmen angeboten hat. Den Kopf schütteln allerdings muss man angesichts der weiteren Umstände in dem für die Wahl so entscheidenden Bundesstaat Florida: Urnen in potentiell demokratischen Vierteln werden vergessen und außer Acht gelassen. Wahlzettel sind so unübersichtlich, dass ein korrektes Ausfüllen kaum denkbar ist, insbesondere für ältere Leute. Bürgern, die so ein falsches Kreuz (bzw. Loch, denn anstatt eines Kreuzes muss ein Loch in den Wahlzettel gestanzt werden) gemacht haben, wird ein neuer Wahlzettel vorenthalten mit der Begründung, es gäbe nicht genug. Korrigierten die Wähler ihren Irrtum selbst durch ein zweites Loch im Wahlzettel, wurden diese Wahlzettel annuliert. 19.000 Wahlstimmen, meist wohl demokratische, wurden deswegen für ungültig erklärt.

Und das alles in Florida, einem Staat, in dem der Bruder von dem republikanischen Kandidaten Bush der Gouverneur ist. Die amerikanische Wahl, zumindest die Ereignisse in Florida, erinnern eher an die Wahl in einer Bananenrepublik und nicht an die Supermacht USA.
Im Gegensatz zu irgendeinem anderen Staat ist in den USA allerdings mehr Geld im Spiel. Geld regiert, eine wirklich unabhängige Demokratie gab es noch nie. Viel zu stark sind Lobbyisten und andere Interessengruppen. Unter den fünf größten Wahlkampfspendern sind so bekannte Firmen wie At&T, Microsoft und Phillip Morris.- Unter den offiziellen Spendern.
Der Kandidat mit den besten Wahlkampfmitteln steht am Ende auch meist als Gewinner da. Bush hatte fast doppelt so viele Spendengelder zur Verfügung wie Gore, und dieses Geld setzte er für seinen öffentlichen Auftritt geschickt ein. Mittlerweile glauben 69% aller Amerikaner, dass Bush Präsident wird, darunter auch die Mehrheit der Gore-Wähler.
Wir blicken gespannt in die neue Welt und sind froh, von Kokainaffären und Spendensumpf abgelenkt zu werden. Am Ende wird es in altbewährter Showmanier heißen "And the winner is.. ." - nur hoffentlich warten die damit noch ein bis zwei Wochen.

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